
Milenas Platz am Esstisch ist leer. Auch der Rollstuhl steht seit ein paar Monaten unbenutzt in der Ecke. Das bisschen Kraft, das die 17-jährige Buchbrunnerin noch zur Verfügung hat, braucht sie dazu, im Bett zu liegen, zu atmen und die Hoffnung nicht zu verlieren. Milena Riegel möchte so gern wieder aufstehen, herumlaufen – und einfach leben.
Seit Milena Anfang Februar 2022 an Corona erkrankte, ist ihre Welt – und die ihrer Familie – aus den Fugen geraten. Das Covid-19-Virus hat bei der jungen Frau zwei seltene, komplexe und noch weitgehend unerforschte Krankheiten ausgelöst. ME/CFS – die schwerste Form von Post Covid – und POTS (s. Infokasten) haben Milena zum Pflegefall gemacht. Aktuell gibt es für ihre Krankheit keine anerkannte medizinische Therapie. Hoffnung macht ihr und ihren Eltern eine Kampagne: 700 Menschen – Freude, Familie, Sport- und Arbeitskollegen, Buchbrunner, aber auch völlig Fremde – spendeten, um der Familie einen individuellen Therapieversuch zu ermöglichen: Milenas Blut zu "waschen".
"Als würde alle Energie aus ihrem Körper herausgezogen"
Hinter Familie Riegel liegt ein Jahr, in dem die Eltern Marco und Julia Riegel der Verzweiflung oft nah waren. Milena wurde von einem kerngesunden, sportlichen und unternehmungslustigen Mädchen zu einer von Schmerzen geplagten Bettlägerigen. Und niemand wusste zunächst, warum. Geschweige denn, was man dagegen tun könnte. Erst nach einem halben Jahr gab es endlich eine Diagnose.
"Sie hatte ein, zwei Tage Fieber, aber insgesamt einen milden Corona-Verlauf", erinnert sich Milenas Mama Julia Riegel an den Februar 2022. So richtig fit wurde Milena – anders als ihre jüngeren Geschwister Valentina und Samuel – anschließend jedoch nicht. Zunächst sagten die Ärzte: abwarten. Doch der damals 16-Jährigen ging es schlechter; sie konnte kaum noch etwas essen. Nach einer Magen- und Darmspiegelung bekam man diese Problematik einigermaßen in den Griff, aber die Erschöpfung blieb. Milena klappte nach der kleinsten Anstrengung zusammen. Die Ärzte konnten sich das nicht erklären.
Im Mai und Juni schleppte sich Milena auf eigenen Wunsch noch stundenweise in die Schule – sie wollte unbedingt ihren Realschulabschluss machen. Das gelang, doch an den Tanzkurs zum Abschlussball war nicht mehr zu denken. Über den Sommer verschlechterte sich ihr Zustand schleichend weiter. Im Familienurlaub an der Ostsee war Milena schon auf einen Rollstuhl angewiesen. "Es war, als würde alle Energie aus ihrem Körper rausgezogen", sagt Marco Riegel.
Seit einem halben Jahr kann Milena nicht mehr aufstehen

Im September konnte sie kaum noch aufstehen. Die Eltern merkten, dass auch Ärzte oft im Dunkeln tappten und dass die Medizin an ihre Grenzen stieß. Deshalb recherchierten die Riegels auf eigene Faust im Internet, fanden Menschen mit ähnlichem Schicksal, man vernetzte sich. Durch eine Fernseh-Doku erfuhr die Familie von sogenannten Autoantikörpern im Blut, die den eigenen Organismus schädigen.
Um endlich diagnostizieren zu können, was genau Milena so aus der Bahn warf, wurde sie stationär in der Uni-Klinik Würzburg aufgenommen. Seitdem weiß man, dass das Mädchen unter ME/CFS leidet. Doch der Krankenhausaufenthalt hatte auch schlimme Folgen. Milena hatte einen Crash – "so nennt man eine dramatische Zustandsverschlechterung nach Belastung", erklärt Marco Riegel. Jede noch so kleine körperliche oder geistige Beanspruchung führt dazu, dass sie sich völlig am Ende fühlt. "Ihre Körperzellen bilden einfach keine Energie", sagt Marco Riegel. Milena kann aktuell weder laufen noch lange aufrecht sitzen.
Sogar Besuche von Verwandten und Freundinnen sind zu anstrengend

Die 17-Jährige leidet an einem starken Krankheitsgefühl, an Schmerzen in Armen und Beinen sowie extremer Erschöpfung. Dazu kommen Symptome wie Einschlafschwierigkeiten und Alpträume. Julia Riegel stellt fest: "Sie reagiert auf sämtliche Reize wie Licht, Geräusche und Berührungen. Es ist eigentlich unvorstellbar, aber selbst einfache Gespräche, lesen oder kurz telefonieren verschlechtern ihren Zustand."
Besuch von Freundinnen und Großeltern, über die Milena sich sehr freuen würde, sind seit Monaten nicht mehr möglich, weil jedes Gespräch ihr zu viel Energie raubt. "Mit dem bisschen Kraft, das sie noch hat, muss man haushalten", erklärt der Vater. Medizinisch nenne man das Pacing.
"Es fällt uns so schwer, mit ansehen zu müssen, wie sehr sie ihr normales Teenager-Leben vermisst", sagt die Mutter leise. Ein großes Problem ist, dass es für diese Krankheit noch keine zugelassenen Medikamente oder Therapien gibt, welche die Krankenkassen als Kostenträger akzeptieren würden.
Um ihrer Tochter zu helfen, haben die Eltern auf eigene Faust alles Erdenkliche ausprobiert: Sie haben Off-Label-Medikamente – also Arzneimittel, die bisher nur für andere Krankheiten zugelassen sind – gegen Milenas unregelmäßigen Blutdruck und ihren extrem hohen Puls ausprobiert, "leider ohne Erfolg". Außerdem gaben sie viel Geld für Blutuntersuchungen, Heilpraktiker und von Ärzten empfohlene Nahrungsergänzungsmittel aus.
Hoffnung macht eine neue besondere Form von Blutwäsche
"Hoffnung macht uns eine spezielle Form der Blutwäsche, die Immunadsorption", berichtet Marco Riegel. Dabei werden sogenannte Autoantikörper aus dem Blutplasma entfernt. Vielen Patienten, die so behandelt wurden, ging es danach besser – manche sind sogar vollständig genesen. Aber die Blutadsorption ist teuer. Einen fünfstelligen Betrag muss die Familie für die Blutwäschen in jedem Fall aufbringen, Folgekosten nicht eingerechnet – doch woher nehmen? Die Krankenkassen tragen die Kosten wegen der fehlenden Studienlage nicht.
"Es ist uns schwergefallen, um Hilfe zu bitten, aber es ging nicht anders", machen die Eltern deutlich. Auf einer Spendenplattform im Internet beschrieben sie ihre Situation. Ein Link im WhatsApp-Status reichte aus, um eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft in Gang zu setzen. 700 Menschen spendeten insgesamt einen fünfstelligen Betrag. "Dieser Zuspruch hat uns absolut überwältigt", sind sich Julia und Marco Riegel einig. "Wir sind sehr froh, dass das Spendengeld uns die Chance zur Immunadsorption gibt. Aber nicht nur die finanzielle Zuwendung tut uns gut, sondern gerade auch die Anteilnahme der Menschen."
Ein Fußballtag für Milenas Heilung

Letztere zeigte sich auch bei einem großen Benefiz-Fußball-Event. Unter dem Motto "Wir spielen für Milena" organisierten Trainerin Jessica Hußlein, Mannschaftsbetreuerin Patricia Spiegel und Jugendleiterin Jule Gliesing von der SG Buchbrunn-Mainstockheim-Biebelried einen Turniertag, an dem 30 Kinder- und Jugendmannschaften teilnahmen. "Die drei Engel", sagt U11-Trainer Marco Riegel über seine Kolleginnen, deren von vielen Sponsoren geförderter Fußballtag "ein einzigartiges Erlebnis war". Zudem brachte er einen stolzen Betrag für Milenas Therapien ein.
So ging es Anfang März für Milena in einem Bett im Wohnmobil nach Flensburg. In einer Klinik erhielt sie sechs Blutwäschen. Zwischen drei und fünf Stunden dauerte die Prozedur jeweils, je nach Milenas Tagesverfassung. Seit gut einer Woche ist die Buchbrunnerin wieder daheim. Es geht ihr aktuell nicht schlechter und nicht besser als zuvor. Bei anderen Patienten hat es Wochen und manchmal Monate gedauert, bis die Immunadsorption Wirkung zeigte.
Marco und Julia Riegel werden nicht aufgeben. Sie wissen inzwischen: Ihr Kind ist nicht der einzige Mensch mit einem solchen Schicksal. Auf der Internetseite nichtgenesenkids.de zeigt sich, dass es viele Betroffene gibt. "Eine Bundestagsdebatte im Januar über ME/CFS hat uns Betroffenen ein bisschen Hoffnung gemacht: Die Parteien sind sich einig, dass es mehr Aufklärung, Unterstützung für Betroffene und mehr Gelder für die Forschung braucht. Allerdings wird bis zur Umsetzung dieser Willenserklärung noch viel Zeit ins Land gehen."
Weiterhin Geduld wird auch Familie Riegel brauchen. Marco Riegel sagt: "Wir haben ein tolles Umfeld, wir denken positiv. Milena wird diese schreckliche Zeit hinter sich lassen. Und wieder zurück ins Leben kommen."

Auch, dass geringe Überlastung zur (dauerhaften) Zustandsverschlechterung führen kann, ist gut erklärt.
Allerdings sind ME/CFS und POTS (anders als erwähnt) nicht selten.
Es freut mich zu erfahren, dass in der Uniklinik Würzburg ME/CFS mittlerweile endlich diagnostiziert wird.
Schön wäre es, wenn die Erkrankung auch auf den anderen Stationen bekannter werden würde, der Klinikaufenthalt durch besondere Rücksichtnahme nicht mehr zu PENE (der Zustandsverschlechterung, die Leitsymptom bei ME/CFS ist) führen würde und eine Ambulanz für ME/CFS eingerichtet werden würde.
Daher wird mehr Geld für die Erforschung von Therapien bei ME/CFS benötigt, um so herausfinden zu können, welcher Ansatz bei welchem Patienten der richtige ist.
Gegen die Autoantikörper laufen z.B. gerade Studien mit Immunadsorption, BC 007 und Efgartigimod. Allerdings treten die bereits bekannten AAK nicht bei allen Patienten auf und das eigentliche Problem wird im Milieu vermutet, da gesunde Menschen diese AAK ebenfalls haben können.
Unklar ist derzeit auch noch welches Medikament gegen die AAK Neubildung eingesetzt werden sollte, weil eine Immunadsorption sonst beim Anschlagen der Therapie mehrmals jährlich nötig sein kann.
Ich wünsche Milena alles Gute! Bitte bleiben Sie am Thema ME/CFS dran!
Ich denke wirklich, daß in Puncto Corona auch seitens der Politik noch so einiges aufgearbeitet werden sollte!
So präsent wie Corona in den Medien damals war...genauso gut denkt man jetzt, es hätte nie Corona gegeben!
Ich habe dieses Jahr freiwillig auf Fasching und Veranstaltungen größerer Art in Innenräumen verzichtet, nicht immer zum Verständnis meiner Umgebung.
Mir hat eine Infektion trotz Dreifach-Impfung gereicht!
Kämpfe auch noch immer mit meinem Immunsystem.
Für Milena wünsche ich, daß eine Therapie endlich anschlagen möge, ich wünsche ihr viel Kraft und Mut und die Hoffnung nicht aufzugeben!
Wenn ich schon lese: "Die Krankenkassen tragen die Kosten wegen der fehlenden Studienlage nicht."
Jetzt hätte man einen passenden Patienten und trotzdem findet sich niemand der daraus medizinisches Wissen generieren möchte bzw. müssen es die Eltern zahlen damit möglicherweise zukünftig andere davon profitieren! Was soll das?
Unabhäng davon tut mir das Mädchen sehr leid, so ein plötzliches Schicksal in so jungen Jahren wünscht man niemanden. Ich drücke die Daumen. Hoffentlich geht es bald wieder aufwärts!
Schön, das es Freunde, Familie und Vereine gibt die Helfen!
Allerdings reichen diese noch nicht, um die sehr teure Immunadsorption als Behandlung für alle ME/CFS Patienten zuzulassen.
Zudem können wir noch zu schlecht voraussagen, inwiefern der einzelne Patient von der Therapie profitieren oder sich dadurch verschlechtern wird.
Daher ist eine Immunadsorption derzeit ein sehr teures Experiment und deswegen werden auch günstigere Alternativen untersucht.
Beispielrechnung für D, wenn das alle machen würden: (ca. 300 T ME/CFS Patienten vor Corona + ca. 300 T ME/CFS durch Corona) x 15 T € pro Immunadsorption ca. alle 3 Monate = 36 Milliarden € pro Jahr
Und von den Patienten werden dadurch wohl nur wenige wieder arbeitsfähig. Deswegen sind andere Lösungen nötig.
Ich wünsche Milena, dass sie sich wieder vollständig erholt!