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Schweinfurt
Flucht aus Syrien, Neuanfang in Schweinfurt: Wie aus Beraas Leben eine Doku geworden ist, die Preise gewinnt
Ein Filmteam der Berufsschule Alfons Goppel hat die Geschichte zweier Syrerinnen verfilmt. Wie es für sie war, vor der Kamera über sich zu reden.
Der Dokumentarfilm 'Beraa' gewinnt auf dem Dokumentarfilmfest München den 2. Platz in der Kategorie Jugendfilmwettbewerb. Die Filmgruppe algo mit den Preisen: (von links) Beraa Hussein, Katarina Weigler, Filmlehrerin Sabine Otter und Alaa Tahhan.
Foto: Anand Anders | Der Dokumentarfilm "Beraa" gewinnt auf dem Dokumentarfilmfest München den 2. Platz in der Kategorie Jugendfilmwettbewerb.
Autorenköpfe Volos       -  Julia Rüther
Julia Rüther
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:45 Uhr

Beraa Hussein hat ein altes und ein neues Ich. Ihr altes Ich war Lehrerin in Syrien und ist gerne schwimmen, tanzen und joggen gegangen. Ihr neues Ich flüchtete 2018 mit ihrer Familie vor dem Krieg, geht jetzt in Schweinfurt wieder zur Schule und kämpft mit ihren traumatischen Erlebnissen.

Gemeinsam mit Alaa Tahhan, Katarina Weigler und Sabine Otter hat sie einen Dokumentarfilm über ihren neuen Alltag in Deutschland gedreht. Die drei sind Mitglieder der Filmgruppe algo des Beruflichen Schulzentrums Alfons Goppel in Schweinfurt. Seit 15 Jahren dreht man dort Filme, sagt Sabine Otter, Gründerin und Leiterin der Filmgruppe. Die Mitglieder wechseln regelmäßig, da die Schülerinnen und Schüler meist nur für zwei Jahre auf der Schule sind.

Entstanden sind so zwei Dokumentarfilme – einer über Beraa Hussein, einer über Alaa Tahhan, die 2017 nach Deutschland kam. In dem Film erzählen sie von den Herausforderungen, in einem fremden Land ein neues Leben aufzubauen, wie es ist, wieder zur Schule zu gehen und stets von den Erfahrungen des Kriegs begleitet zu werden.

Die Filme "Beraa" und "Alaa" wurden auf den Filmtagen bayerischer Schulen 2022 und dem Jugendfilmfestival Unterfranken (Jufinale) 2023 ausgezeichnet. "Beraa" gewann zudem den zweiten Platz des Jugendfilmwettbewerbs des 38. Dokumentarfilmfestivals (DOK.fest) München 2023. Hierfür sollten sich Kinder und Jugendliche dokumentarisch mit einem Thema auseinandersetzen, das sie bewegt. Insgesamt wurden 72 Kurzfilme eingereicht. 

Für Hussein stand bereits vorher fest: "Ich habe schon gewonnen, als wir den Film gedreht haben. Denn für mich war es wichtig, meine Gefühle zu zeigen und nicht mehr ständig darüber nachdenken zu müssen." Dabei redet sie eigentlich nicht gerne über sich selbst und auch über den Krieg wollte sie anfangs nicht sprechen.

Der Krieg sollte ursprünglich keine Rolle in den Dokumentarfilmen spielen

Sabine Otter hat schon einige Filme über geflüchtete Männer gedreht, jedoch nie über Frauen, denn viele von ihnen würden nicht über ihre Erlebnisse sprechen wollen. "Ich fand das immer schade, weil Frauen nochmal ein ganz anderes Päckchen zu tragen haben: allein, wenn man in Deutschland ein Kopftuch trägt." Fünf Jahre lang sei sie auf der Suche nach Protagonistinnen gewesen, bis sie Tahhan und Hussein traf. 

Der Film sollte zunächst ausschließlich Frauen mit Fluchterfahrung in Deutschland porträtieren und zeigen, wie sie sich integriert haben. Über den Krieg wollten sie nicht sprechen, darauf hatte sich die Gruppe ursprünglich geeinigt.

Sabine Otter (Links) und Beraa Hussein (Mitte) nehmen den 2. Preis in der Kategorie Jugendfilmwettbewerb des Dokumentarfilmfests (DOK.fest)  in München entgegen.
Foto: Jan Röder/DOK.fest München | Sabine Otter (Links) und Beraa Hussein (Mitte) nehmen den 2. Preis in der Kategorie Jugendfilmwettbewerb des Dokumentarfilmfests (DOK.fest)  in München entgegen.

Während der mehrmonatigen Vorbereitungszeit kam das Thema dennoch auf und ließ die Gespräche intensiver werden. Dadurch hätte sich ein starkes Vertrauen zwischen den Gruppenmitgliedern entwickelt, sodass sich Hussein und Tahhan schließlich doch dazu bereit erklärten, über ihre Erfahrungen im Krieg zu sprechen.

Das Projekt schaffte eine enge Verbundenheit innerhalb der Gruppe

Bis heute fragt sich Hussein, wie sie das eigentlich geschafft hat. Denn genau wie Tahhan hat auch sie viel Schlimmes erlebt, und für beide sei es sehr schwierig gewesen, darüber zu sprechen. "Vielleicht habe ich es gemacht, weil die Gefühle raus wollten und das Vertrauen so stark war", überlegt sie.

Tahhan hat sogar viel erzählt, was sie nicht einmal ihrer Familie anvertraut hat. "Deshalb waren sie erstmal schockiert. Aber dann haben sie verstanden, dass ich als Jugendliche nicht darüber sprechen wollte." Sie glaubt, es sei wichtig gewesen, ihre Gefühle erst einmal zu ignorieren, um weiterzukommen.

Katarina Weigler, die hinter der Kamera stand und den Film mitgeschnitten hat, empfand den Dreh als sehr ergreifend: "Auch wenn man durch die Kamera geschaut hat und nicht direkt vor Beraa oder Alaa saß, hat es einen mitgenommen, ihre Geschichten zu hören." Nach dem Projekt seien sie "richtig verbunden gewesen", und Hussein spricht von einer Freundschaft, die dadurch entstanden sei.

Weitermachen anstelle in der Opferrolle zu verharren

Mit den Dokumentationen möchten die Vier auf die Kriegssituation in Syrien aufmerksam machen, über die viele Menschen kaum etwas wüssten. Gleichzeitig möchten Hussein und Tahhan für andere arabische Frauen beispielhaft vorangehen und zeigen, dass sie nicht bloß Opfer sind, sondern aus ihrem Leben etwas machen können. 

"Wacht auf!", mahnt Hussein: "Trotz aller Schwierigkeiten habe ich es geschafft. Es dauert zwar, aber wir bleiben nicht stehen, sondern laufen weiter." Und Tahhan rät: "Egal, wie schlimm es ist, was ihr erlebt habt: Es vergeht. Glaubt an euch, egal, was ihr von anderen hört oder was ihr erlebt habt."

Die beiden Syrerinnen wollen jetzt nach vorne blicken, sich auf die Zukunft konzentrieren. Aktuell sind beide in Ausbildung: Tahhan zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin und Hussein zur Kinderpflegerin. Anschließend möchte sie als Erzieherin arbeiten.

Ihre Familie unterstütze sie dabei: "Meine Kinder und mein Mann sind stolz auf mich und haben bemerkt, dass ich seit dem Film stärker bin. Wenn ich etwas will, dann sage und mache ich es jetzt auch." Und so ist sie am Ende des Films zuversichtlich, dass ihr altes Ich vor dem Krieg zurückkommt. 

 
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