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Schweinfurt
Ein Jahr Streiks im Handel: Was hat der Arbeitskampf bei Edeka, Kaufland und Co. gebracht?
Ein Jahr dauert der Streit zwischen Verdi und den Arbeitgebern im bayerischen Handel schon an. Getan hat sich wenig. Wie die Lage ist und wie es jetzt weiter gehen kann.
Im Laufe des vergangenen Jahres kam es immer wieder zu öffentlichen Aktionen von Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi in der Region, wie hier im November 2023 vor der Edeka Zentrale Nordbayern in Rottendorf.
Foto: Patty Varasano | Im Laufe des vergangenen Jahres kam es immer wieder zu öffentlichen Aktionen von Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi in der Region, wie hier im November 2023 vor der Edeka Zentrale Nordbayern in Rottendorf.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:21 Uhr

Seit über einem Jahr verhandeln die Gewerkschaft Verdi und die Arbeitgeber im bayerischen Groß- und Außenhandel über höhere Löhne. Bislang ohne Erfolg. Bis heute ist kein Tarifvertrag in der Logistik zustande gekommen. Auf den Straßen und in den Supermarktfilialen ist vom laufenden Tarifkonflikt inzwischen kaum mehr etwas zu spüren.

In Unterfranken war neben dem Kaufland-Lager in Donnersdorf mit mehr als 500 Beschäftigen vor allem Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen am Lagerstandort im Gochsheim (beide Lkr. Schweinfurt) mit rund 700 Beschäftigten von den Streiks betroffen. 

Welche Bilanz ziehen die Unternehmen, der Landesverband Bayern Großhandel, Außenhandel (LGAD) und die Gewerkschaft heute? Antworten im Überblick.

Streik im Handel: Was ist der derzeitige Stand in den Tarifverhandlungen?

Zehn Verhandlungsrunden liegen mittlerweile hinter der Tarifkommission. Auch das letzte Treffen am 22. März 2024 brachte kein Ergebnis. Die Arbeitgeber hatten Verdi laut Gewerkschaftssekretär Peter König zuletzt in der vierten Tarifrunde am 3. Juli 2023 eine Lohnerhöhung in zwei Schritten bei einer längeren Laufzeit von 24 Monaten angeboten. Der Vorschlag sieht vor, die Gehälter und Ausbildungsvergütungen rückwirkend ab September 2023 zunächst um 5,1 Prozent und ab August 2024 um 2,9 Prozent steigen zu lassen.

Zusätzlich soll eine Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 1400 Euro für Angestellte und 700 Euro für Azubis ausgezahlt werden. Aus Sicht der Gewerkschaft ein Trick: Der LGAD gebe der einmalig ausgezahlten Inflationsausgleichsprämie einen prozentualen Wert, der als dauerhafte Lohnerhöhung dargestellt werde. Zudem steckten im Angebot sogenannte Leermonate ohne Tariferhöhung.

Zehn Treffen ergebnislos: Warum stocken die Verhandlungen?

Nach Ansicht von Verdi unterbreiten die Arbeitgeber den rund 260.000 Beschäftigten im bayerischen Groß- und Außenhandel noch immer kein an die Inflation angepasstes Angebot. "Das ist um so verwunderlicher, da vor allem die Arbeitgeber im Lebensmittelhandel Profiteure in der Corona-Krise und auch in den letzten beiden Jahren waren", sagt König.

Einzelne Unternehmen zahlen seit einiger Zeit unabhängig vom Tarifabschluss freiwillig höhere Löhne. Stefanie Schmitt, Sprecherin von Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen mit Sitz in Rottendorf (Lkr. Würzburg), teilt mit: "Wir haben im Rahmen einer verbindlichen Gesamtzusage unseren Mitarbeitenden eine Gehaltssteigerung von 10,5  Prozent für 2023 und 2024 nach Tarifabschluss fest zugesagt, selbst wenn dieser niedriger ausfallen sollte."

Ihren Höhepunkt erreicht die Streiks im Sommer 2023. Während dieser Zeit klafften große Lücken in den Supermarktregalen einzelner Edeka-Filialen in Unterfranken. 
Foto: Thomas Obermeier | Ihren Höhepunkt erreicht die Streiks im Sommer 2023. Während dieser Zeit klafften große Lücken in den Supermarktregalen einzelner Edeka-Filialen in Unterfranken. 

Zudem zahle Edeka seinen Angestellten im Logistikzentrum in Gochsheim seit Sommer 2023 eine Prämie von 300 Euro brutto pro Monat, sagt Schmitt. Dort sei deshalb "eine Streikbereitschaft kaum mehr gegeben".

Auch Kaufland gibt an, nach einer Erhöhung von 5,3 Prozent im Oktober 2023 ab dem Tarifjahr 2024 insgesamt zehn Prozent mehr Entgelt auszuzahlen. 

Aus Sicht von Gewerkschaftssekretär Peter König sind das "Streikbruchprämien", die die Streikmotivation bei einem Teil der Beschäftigten durchaus hemmen würden. "Diese Erhöhungen ersetzen jedoch keinen Tarifabschluss, da diese jederzeit zurückgenommen werden können." Weil der bayerische Handel kleinteiliger organisiert sei als andere Branchen, sei es "aufwändiger, ökonomischen Druck aufzubauen". 200 streikende Lokführer hätten mehr Druckpotential als mehrere tausend Streikende im Handel.

Wie lange kann ein Streik dauern?

Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DBG) gibt es rechtlich keine Grenzen für die Dauer oder die Anzahl der Wiederholungen eines Streiks. Warnstreiks dauern meist nur eine begrenzte Zeit, begleitend zu Verhandlungen. Sogenannte Erzwingungsstreiks sind dagegen oft unbefristet. Um die Streiks frühzeitig abzuwenden, hatte Edeka im Juli 2023 unter anderem vor dem Arbeitsgericht Schweinfurt gegen Verdi geklagt - und verloren. Im folgenden Berufungsverfahren bestätigte das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Streiks erneut und gab der Gewerkschaft recht.

Wann muss ein Streik geschlichtet werden?

Laut Verdi-Landesbezirkssprecher Nils Schmidbauer gibt es während eines Streiks keine Verpflichtung, ein Schlichtungsverfahren einzuberufen. Ausnahmen müssten jeweils zuvor beschlossen und in den jeweiligen Tarifverträgen festgeschrieben sein - wie zum Beispiel im Tarifvertrag des öffentlichen Diensts. Für den Handel gebe es das nicht, sagt Schmidbauer. Grundsätzlich müssen beide Tarifparteien der Einberufung einer Schlichtungsstelle zustimmen.

Welche Folgen hatte der Streik für Unternehmen und Beschäftigte?

Die aktuelle Tarifauseinandersetzung sei die härteste und längste, die der Handel in Deutschland jemals erlebt habe, sagt Verdi-Sekretär Peter König. "Unsere Aktiven in den Betrieben mussten von ihren Vorgesetzten zum Teil viel Druck aushalten, weil sie ihr Streikrecht wahrnehmen." Ohne die Streiks aber, meint König, hätten Arbeitgeber wie Edeka oder Kaufland nicht freiwillig mehr Lohn gezahlt.

Laut Arbeitgeberverband LGAD setzt sich der Groß- und Außenhandel aus über 70 unterschiedlichen Branchen und verschiedenen Betriebsgrößen zusammen. "Die Betroffenheit ist daher so unterschiedlich, wie die einzelnen Branchen selbst unterschiedlich sind", sagt Verbandssprecherin Elena Hary.

Für die Unternehmen hält sich den Aussagen nach der finanzielle Schaden offenbar in Grenzen. So bemisst Edeka laut Sprecherin Stefanie Schmitt die entstandenen Kosten durch die Streiks auf einen "niedrigen zweistelligen Millionenbetrag". Die Streikaktivitäten hätten Edeka im vergangenen Jahr etwa 1,5 Prozent Umsatz gekostet. Auch der Warenfluss sei seit einiger Zeit wieder stabil und die Versorgung der Märkte in Unterfranken damit voll gewährleistet.

Über ein Jahr Tarifstreit: Wie geht es nun weiter?

Laut LGAD-Sprecherin Elena Hary ist derzeit kein neuer Verhandlungstermin für einen Tarifvertrag im Groß- und Außenhandel in Bayern terminiert. Der Arbeitgeberverband habe deshalb seinen Mitgliedern eine Entlohnungsempfehlung gegeben: "Damit sollen berechtigte Einkommensentwicklungen der Beschäftigten sowie Planungssicherheit für die Unternehmen gewährleistet werden." Die Empfehlung sieht eine rückwirkende Lohnerhöhung von 5,1 Prozent ab Oktober 2023 und 2,9 Prozent ab Mai 2024 vor. Die Umsetzung des Vorschlags ist freiwillig.

Die letzte Arbeitsniederlegung in Unterfranken gab es während des Ostergeschäfts im März. In den Logistikzentren von Kaufland und Edeka in Donnersdorf und Gochsheim plant Verdi jetzt weitere Streiks für die umsatzstarke Zeit um Pfingsten. "Wir stimmen gerade die Termine ab", sagt Gewerkschaftssekretär Peter König.

Im Hamburger Einzelhandel konnten Verdi und die Arbeitgeber bei den Tarifverhandlungen im inzwischen erste Einigungen erzielen. Eine Blaupause für den Tarifstreit in Bayern? "Ob wir das auch im Großhandel übernehmen können, wird sich noch zeigen", meint König, der das Ergebnis aber als positives Signal deutet.

 
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