
Christof Wahlefelds Büro liegt ein wenig außerhalb. Das Theater der Stadt Schweinfurt ist wegen Sanierung bis 2025 geschlossen, also residiert der Intendant in der Kulturvilla Museum Otto Schäfer in der Judithstraße - einem der edleren Wohnviertel der Stadt. Von hier aus begleitet Wahlefeld, seit gut zwei Jahren im Amt, die Sanierung, gestaltet vor allem aber das Programm in der Ersatzspielstätte "Theater im Gemeindehaus". Das Evangelische Gemeindehaus in der Friedenstraße wurde dafür angemietet und mit Bühnentechnik und aufsteigenden Sitzreihen für 400 Gäste ertüchtigt.
Hier findet das Hauptprogramm des Gastspielhauses statt: Schauspiel, Konzert und sogar Oper in kleinerem Format sind hier möglich. Im April gibt es hier etwa "Notre-Dame de Paris" nach Victor Hugo in französischer Sprache (11.), "Furor" aus Maßbach (12.), Peter Shaffers "Amadeus" (16.) oder modernen Tanz mit der Compagnie Hervé Koubi (30.). Und wo das Haus tatsächlich zu klein ist, finden Theaterfahrten statt, etwa zu den Bamberger Symphonikern oder ins Staatstheater Meiningen.
"Natürlich muss sich auch ein Gastspielhaus weiterentwickeln", sagt Wahlefeld. Theater müsse greifbarer werden. "Das Konzept, ich biete an, ihr kommt, das stirbt." Zwar werde der klassische Theaterabend - noch - geschätzt. "Aber der Wunsch nach mehr, der ist da, das merken wir."
Partizipation ist das Schlüsselwort - das Publikum soll und darf mitmachen
Partizipation ist deshalb das Schlüsselwort - das Publikum soll und darf mitmachen. Christof Wahlefeld hat dafür gleich mehrere neue Formate eingeführt: den Theaterball, das "Rudelsingen" und die Quiz-Night nach dem Vorbild des englischen Pub-Quiz. Die fröhlichen Rate-Abende zwischen den wertvollen Erstausgaben im Museum Otto Schäfer, jeden ersten Dienstag, haben sich in kürzester Zeit zum Renner entwickelt. Die Termine sind auf Monate ausverkauft.

Nun könnte man argumentieren, dass ein Quizbesuch noch nichts mit einem Museumsbesuch zu tun hat. Das ist Wahlefeld freilich bewusst, wie er im Gespräch zugibt: "Es ist ein langer Weg, bis man jemanden, der mit Theater oder Museum überhaupt nichts am Hut hat, dazu bewegt, in ein Museum oder Theater zu gehen. Man kann nicht erwarten, einmal Quiz-Night-Besuch und dann kommt jemand zu Goethes 'Faust'. Es geht darum, dass sich die Leute wohlfühlen und einfach mal kommen."
Wen also die Quiz-Night noch nicht gleich zum "Faust" bringt, der oder die könnte immerhin die erste Eigenproduktion des Schweinfurter Theaters überhaupt besuchen: "Cry Baby", ein Stück über Leben und Sterben der legendären Sängerin Janis Joplin (1943-1970), Ikone der Hippie-Bewegung und Neuererin der Rockmusik. Wahlefeld hat es als Fünf-Personen-Stück in seiner Zeit als künstlerischer Betriebsdirektor in Bielefeld geschrieben, wo es mehrere Spielzeiten lief. Für Schweinfurt hat er eine Zwei-Personen-Version entwickelt (Sängerin/Darstellerin und Pianist), die am 27. April im Museum Otto Schäfer Premiere feiern wird.
Hin- und hergerissen zwischen Exzess und der Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben
"Wir werden dafür eine richtige Bühne einbauen", sagt der Intendant und Autor, der auch Regie führen wird. "Es ist erst meine dritte Regiearbeit in 20 Jahren Theater, die Aufregung ist entsprechend groß." Wobei ausdrücklich nicht geplant sei, eine Janis-Joplin-Replik auf die Bühne zu stellen. "Es soll kein Biopic werden. Wir wollen ein Gefühl vermitteln für den Menschen, für die gigantischen Widersprüche ihrer Persönlichkeit und für die Tragik ihres Lebens."

So sei Janis Joplin zeit ihres nur 27-jährigen Lebens, das mit einer Überdosis Heroin endete, hin- und hergerissen gewesen zwischen Kunst und Exzess einerseits und einer mehr oder weniger geheimen Sehnsucht nach der Geborgenheit eines bürgerlichen Lebens andererseits. "Vielleicht erkennen wir darin ja auch unsere eigenen Lebenslügen", sagt Wahlefeld. "In jedem von uns schlummern uneingestandene Wünsche und Träume."
Die Musikwelt habe Janis Joplin viel zu verdanken: "Sie hat die Grenzen zwischen weißer und schwarzer Musik aufgehoben und die alten Zuschreibungen wie Blues, Rock oder Country überflüssig gemacht."
Eine Mischung aus Zitaten, gespielten Passagen und theatralen Momenten
Die Schauspielerin, Sängerin und Musicaldarstellerin Laura Mann wird Janis Joplin spielen (am Klavier: Jan Reinelt). "Sie ist optisch weit von Janis entfernt", sagt Wahlefeld. "Dadurch kommen wir gar nicht erst in die Versuchung, eine Kopie zu schaffen. Aber sie hat Stimmbänder aus Stahl und jede Menge Dreck in der Stimme, wenn sie möchte."
Und so soll es eine Mischung aus Zitaten, gespielten Passagen und theatralen Momenten werden. "Zum Schluss wollen wir die Zuschauerinnen und Zuschauer auf einen Drogenrausch mitnehmen - erst das wohlige Gefühl und dann die Qual des kalten Entzugs. Das ist für die Regie die größte Herausforderung."
Natürlich könnte das Projekt baden gehen, sagt Wahlefeld - "das akzeptiere ich auch". Deshalb fänden eben zunächst nur zwei Abende in der kleinen Spielstätte Museum Otto Schäfer mit 100 Plätzen statt. Der Vorverkauf jedenfalls deutet nicht auf einen Flop hin: Der erste Abend ist praktisch ausverkauft, für den zweiten gibt es nur noch Restkarten.
"Cry Baby - Leben am äußersten Rand der Wahrscheinlichkeit", Museum Otto Schäfer, Schweinfurt. 27. & 28. April, jeweils 19.30 Uhr. Karten unter theater-schweinfurt.de