
Premiere im Theater Schloss Maßbach: "Furor" des erfolgreichen Autorenpaars Lutz Hübner und Sarah Nemitz, uraufgeführt 2018. Während dieses Schauspiels sieht man Szenen, die eine ganze Vorurteile-Fabrik in Gang setzen. Und das ist gut so, weil sie in die Irre führen – beste Voraussetzungen für Aha-Erlebnisse.
Die junge Regisseurin Stella Seefried ("Elling") hat das Kammerspiel im Intimen Theater inszeniert, im kargen Ambiente eines schwarzgrau melierten Souterrainzimmers (Bühne: Wolfgang Clausnitzer, Kostüme: Elissa Liebhardt). Die Ausgangssituation: Erst drei Wochen nach dem schweren, selbstverschuldeten Verkehrsunfall ihres 17-jährigen Sohnes bekommt die alleinerziehende Mutter (Anna Katharina Fleck) Besuch vom Fahrer des am Unfall beteiligten Wagens.
Ressentiments und Vermutungen werden aktiviert, ob man nun will oder nicht
Der Berufspolitiker und designierte OB-Kandidat (Ingo Pfeiffer) – offensichtlich ein geerdeter Pragmatiker – bietet der Frau, anfangs etwas ungelenk, Hilfe bei der Rehabilitation des jungen Mannes an, dem ein Bein amputiert werden musste. Zugleich bittet er die Mutter, die Presse außen vor zu lassen.
Schon in diesem Stadium dürften die Zuschauer und Zuschauerinnen ihre sensiblen Antennen ausfahren: "Ein ehrgeiziger Politiker fürchtet einen Skandal und bangt um seine Karriere? Alles schon mal dagewesen. Da könnte doch was faul sein!" Ressentiments und Vermutungen werden aktiviert, ob man nun will oder nicht.

In dem Maße jedoch, in dem das anfängliche Misstrauen der Mutter und die Unsicherheit des Politikers schwinden, sind auch die Zuschauer bereit, Vorurteile zu relativieren. Bis der Cousin des Verunglückten (Yannick Rey) auftaucht, ein Paketbote, und dem Geschehen eine radikale Wendung gibt. Ab diesem Zeitpunkt wird die Geschichte erschreckend aktuell. Und das, obwohl das Stück schon vor der Eskalation von Verschwörungsschwurbeleien entstanden ist. Man denke nur an die Ermordung Walter Lübckes.
Zwei unversöhnliche Welten treffen aufeinander. Dem Publikum bleibt nichts anderes übrig als kräftig mit seinen eigenen Ressentiments ins Gericht zu gehen. Sonst würde es den Faden verlieren, der zu einer wahrhaftigen Beurteilung des Geschehens führt. Das ist der gordische Knoten, der gelöst werden muss, um nicht vom Gebräu aus Ohnmachtsgefühlen, Dummheit, Wut, Hass, Ignoranz und Naivität überwältigt zu werden, das der in seiner Bitterkeit gefangene junge Mann über seinen Gegner schüttet, um ihn in die Enge zu treiben.
Die Dialoge sind lebensnah, die Dramaturgie verdichtet sie zum aufgeladenen Schlagabtausch
Die virale Gemeinschaft des von ihm beschworenen "Volkes" hat das Urteil bereits gefällt: "Lügner", "Volksverräter". Ein Furor, der im realen Leben schon lange aus allen Kanälen rechtsradikaler Milieus tönt. Die stählerne Einheitsgesellschaft, die daraus entstehen sollte, mag man sich im schlimmsten Albtraum nicht vorstellen.

Die Handlung steuert auf ein unwägbares Ende zu. Bestenfalls auf eines, in dem Courage und Entschiedenheit einer menschenfreundlichen Gesinnung eine bedeutende Rolle spielen. Die Dialoge sind lebensnah, die Dramaturgie verdichtet sie bis zum emotional gefährlich aufgeladenen Schlagabtausch.
Anna Katharina Fleck, Ingo Pfeiffer und Yannick Rey agieren in dieser Atmosphäre bewundernswert agil, weil sie das permanente Hin und Her von Worten, Gesten und mimischen Extremen glaubhaft beherrschen. Am Ende gibt es Standing Ovations. Und das kommt nicht alle Abende vor im Intimen Theater. Also: Hingehen. Hingucken. Und die eigenen Ressentiments abklopfen.
Vorstellungen im Intimen Theater und auf Gastspielen bis 14. April. Infotelefon (09735) 235. www.theater-massbach.de