Seit dem ersten Tag des Kriegs in der Ukraine bekommt Nils Brennecke mehr Anrufe als sonst. Und mehr WhatsApp-Nachrichten. Auch mehr Mails. "Erst von Freunden, dann von entfernten Freunden, dann von Fremden", berichtet der 47-Jährige. Dabei stellen Freunde wie Fremde ihm dieser Tage alle die gleiche Frage; manche im Scherz, manche im Ernst: "Du, Nils, für den Fall eines Falles – hättest du in deinem Bunker ein Plätzchen für mich frei?"
Als der Bund seine zivilen Bunker abstieß, griff Nils Brennecke zu
Der Grund für die zahlreichen Anfragen: Nils Brennecke besitzt einen Bunker. Er liegt in der Ernst-Sachs-Straße in Schweinfurt-Oberndorf, ragt als sogenannter Hochbunker fast 20 Meter in die Höhe, hat sechs Geschosse mit jeweils 400 Quadratmeter Nutzfläche, zwei Treppenhäuser, zwei Ausgänge plus einen unterirdischen Notausgang und bietet Platz für bis zu 1800 Menschen. Als nach 2007 in Deutschland die allgemeine Bedrohungslage durch atomare, biologische und chemische Angriffe als extrem gering eingeschätzt wurde und die damalige Bundesregierung beschloss, alle ihre wartungsintensiven, aber ungenutzten zivilen Bunker zu verkaufen, umzubauen oder abzureißen, griff Brennecke zu.
"Ich habe durch Zufall davon gehört und dann beschlossen, ein Gebot abzugeben", erzählt der 47-jährige Schweinfurter, der mal Hotelfachmann gelernt hat, Zeitungsredakteur war, bei der Bundeswehr als Unteroffizier Truppenbetreuungssendungen lenkte, später bei einem Würzburger Privatradio moderierte und heute als Marketingmanager arbeitet. "Ich wollte den Bunker aus zwei Gründen: Aus dem Gebäude wollte ich ein Bunker-Museum machen. Und auf dem Gebäude für mich und meine Frau ein Penthouse errichten." Aus dem Penthouse wurde nichts: "Zu hohe Investitionskosten". Das private "Deutsche Bunkermuseum" aber haben Nils Brennecke und seine Frau Petra 2008 gekauft und 2014 eröffnet.
Fünf Grad im Winter, kein Handyempfang und Luft, die nach Beton riecht
Kalt, kälter, Bunker: Kaum hat Brennecke die dicke, drucksichere Bunkertür zum Erdgeschoss geöffnet, fröstelt es die Besucher – und das trotz Wintermantel. Mehr als fünf Grad "warm" wird es hinter den bis zu drei Meter dicken Bunkermauern zu dieser Jahreszeit nie. Handyempfang: unmöglich. Und die Luft riecht merkwürdig, wonach bloß? "Feuchtigkeit, Beton, einfach der Muff von 80 Jahren. Typische Bunkerluft eben", sagt Brennecke.
Seine Schritte hallen laut auf den Stahlbeton-Treppen, als er durch das riesige Gebäude aus dem Jahr 1941 führt, das offiziell 1022 Menschen Schutz bieten sollte: So war es damals berechnet, für exakt diese Zahl an Menschen sollte der Sauerstoff zwölf Stunden reichen. "Hier in diesem Gebäude ging es nur darum, den Bombenhagel abzuwarten, auszusitzen und dann wieder nach Hause zu gehen." Brennecke zufolge quetschten sich im Zweiten Weltkrieg bei zahlreichen Fliegerangriffen auf die wegen der Kugellagerproduktion kriegswichtige Stadt Schweinfurt aber zeitweise bis zu 1800 Menschen im Hochbunker zusammen. "Der Bunker mit seinem 1,40 Meter dicken Stahlbetondach hielt. Schützte sogar gegen eine 250-Kilo-Bombe, die auf den Bunker fiel. Viele Menschen haben hier drin Angriffe überlebt", sagt der Bunker-Eigner.
1941 gebauter Bunker rettete im Zweiten Weltkrieg vielen Schweinfurtern das Leben
Notrationen, Volksgasmasken, Not-Aborte: Brennecke lässt die Exponate aus dem Zweiten Weltkrieg hinter sich, führt die Besucher weitere graue Treppen hoch – in die Zeit des Kalten Kriegs. Brenneckes Bunker gehört zu jenen rund 500 Zivilschutzbunkern in ganz Deutschland, die in den 80er Jahren für den Fall eines atomaren Angriffs hochgerüstet wurden, die Wasseranschlüsse, Telefon und Elektrizität bekamen – und Luftfilteranlagen. Sie hätten im Falle eines atomaren Angriffs heiße, brennende und radioaktiv verseuchte Luft einerseits kühlen, andererseits filtern sollen.
"Aus der technischen Sicht des Jahres 1983 ist der Bunker atombombensicher", hat Brennecke in seinem Bunker-Magazin geschrieben. Jetzt steht der Bunkereigner im obersten Stockwerk, wo die Luftfilter samt den Überdruckventilen installiert sind, öffnet eine graue Klappe und lässt die Besucher im Schein einer Taschenlampe hindurchsehen: "Sand, sehen Sie, nichts als Sand. Das waren die Filter. Mehr nicht." Sandfilter gegen atomare Verseuchung.
Welchen Sinn würde es im Falle eines Falles machen, in Brenneckes Bunker Schutz zu suchen? Diese Frage hört der 47-Jährige derzeit öfter; er mag sie nicht: "Im Falle eines atomaren Angriffs überlebt man heutzutage hier drin vielleicht ein bisschen länger. Aber auch nur ein paar Minuten länger als die anderen. Und dann?" Brennecke stapft über die grauen Betontreppen durch die tote Bunkerluft nach draußen, verriegelt die Drucktür, schaut über die Wiese neben dem Bunker, unter dem früher ein unterirdischer Fluchtgang verlief. "Wenn man überlebt und der erste macht dann die Tür auf: Draußen ist alles verbrannt, draußen ist alles verseucht, draußen ist alles kaputt. Was dann?"
Bekommt Brennecke bald einen Anruf vom Bund?
Nichtsdestotrotz geht der Schweinfurter Bunker-Besitzer aktuell davon aus, dass bald - sehr bald - Bundesbeamte Interesse an seinem Bunker zeigen könnten. Medienberichten zufolge soll das Bundesinnenministerium dieser Tage angekündigt haben, eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Schützräume machen und den Rückbau von Bunkern in Deutschland überprüfen zu wollen.
Über einen Anruf eines Behördenvertreters in den nächsten Tagen würde sich Brennecke nicht wundern.