
Es ist ein kalter Wintertag im Februar 2025. In der Brombergstraße stehen Menschen Schlange. Die Tafel Schweinfurt öffnet. Anstehen, bis man drankommt. Dann rein in den Laden, der vor allem eines ist: funktional. Kein Wohlfühllicht, keine Musik, kein gemütliches Schlendern durch ein überreiches Angebot. Ehrenamtliche haben kleine Kisten gepackt – mit Gemüse, mit Milch- oder Getreideprodukten. Alles, was da ist. Was die Tafel ausgeben kann, ist das, was der Handel an die Tafel Schweinfurt spendet. Viel kommt aus dem Edeka-Großlager in Gochsheim.
An diesem Tag kehrt einer der Fahrer, die die Spenden einsammeln, mit einem leeren Wagen zurück. Die erhoffte Ladung gab es nicht. Die Mengen, die gespendet werden, sind in den letzten Jahren kleiner geworden, die Menschen, die auf die Hilfe der Tafel angewiesen sind, immer mehr. So viele, dass pro Kunde nur noch einmal in der Woche eingekauft werden kann. "Wir können nur das ausgeben, was wir bekommen", sagt Ernst Gehling, Vorsitzender der Tafel Schweinfurter. 3500 Menschen werden von ihr aktuell unterstützt.

Der Milchbrei von der Palette am Ende der kleinen Lebensmittelausgabe, der knapp am Mindesthaltbarkeitsdatum ist, findet an diesem Tag genug Abnehmer. Außerdem gibt's Gemüse, weitere Milchprodukte, Backwaren, ein wenig Süßes. Ein Junge, der an diesem Tag mit seiner Mutter zur Tafel gekommen ist, freut sich. Es gibt Schokolade und eine Tüte Gummibärchen.
Warum alle Befragten mit gutem Grund anonym bleiben wollten
Wer hierher kommt, dessen Armut ist sozusagen bescheinigt. Nur Menschen mit einem Tafelausweis, ausgestellt von Diakonie und Caritas auf Basis des Nettoeinkommens, können hier für ein paar Euro einkaufen. In Zeiten, in denen die Preise so extrem gestiegen sind, eine Entlastung, ohne die es für die meisten schwierig bis unmöglich wäre, über die Runden zu kommen. Viele von ihnen wollen nicht, dass alle es wissen. Armut ist und bleibt ein Stigma.
Auch deshalb bleiben die Menschen anonym, die uns erzählt haben, wie es ist, arm zu sein. Es sind teils bewegende Schicksale, ein Spiegel der Gesellschaft der Stadt Schweinfurt und Deutschlands.

Nicht jedem, nicht jeder sieht man an, dass das Geld knapp ist. Warum auch. Für Ernst Gehling hat das etwas mit Selbstrespekt zu tun. Damit, sich die Würde zu erhalten. Böse Worte über diejenigen, die bei der Tafel einkaufen und angeblich dicke Autos fahren – Gehling kennt sie und kann sie nicht mehr hören. Wenn das Auto das einzige geblieben ist, was manche haben, warum sollten sie es für wenig Geld verkaufen. Vor allem dann, wenn die Zukunft vage ist.
Ein Leben in Sicherheit: Für 1200 Menschen aus der Ukraine bietet Schweinfurt genau das
Wie bei Irina B. Ihren Namen haben wir ebenso geändert wie den aller anderen. Irina ist 38, gelernte Friseurin, seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in Deutschland. In Schweinfurt haben sie und ihre beiden Kinder Schutz gefunden, ein Leben in Sicherheit, mit Schule, Kita, Normalität. Irinas Mann ist in der Ukraine. Ob und wann sie einmal nach Hause zurückgehen kann? Es gibt keine Antwort, so wie "niemand weiß, wie lange dieser Krieg dauert". Ihre Sprachkurse hat Irina abgeschlossen, jetzt dürfte sie arbeiten. Die 38-Jährige ist zuversichtlich, dass sie etwas finden wird. Ob als Friseurin? Sie weiß es nicht.
Irina B. ist eine von rund 1200 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Schweinfurt leben. Teilweise, wie sie aktuell noch, von Bürgergeld. Die Kritik daran kann Irina B. verstehen. Es gebe auch Menschen, die nicht arbeiten wollten, sagt sie, in allen Gruppen. Mit dieser Meinung steht die Ukrainerin an diesem Tag nicht alleine. Einige, die bei der Tafel einkaufen, auch selbst Bürgergeld beziehen oder Aufstocker sind, weil ihr Einkommen so niedrig ist, denken so.
Die Höhe des Bürgergeldes ist gerichtlich festgelegt – auf das Existenzminimum
Die Menschen schneller arbeiten lassen, mehr Druck auf diejenigen, die nicht mitziehen – die Diskussion um das Bürgergeld, vorangetrieben von konservativen Politikerinnen und Politikern, wirkt. Auch wenn die Zahl der "Totalverweigerer" klein ist; deutschlandweit im niedrigen fünfstelligen Bereich liegen soll. Die Höhe des Bürgergelds hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, auf das Existenzminimum. In Schweinfurt sind Menschen aus der Ukraine die drittstärkste Gruppe im Bürgergeld, hinter Deutschland und Syrien. Heißt es im Sozialbericht der Stadt für 2023.
Adil S. ist 18, seit drei Jahren in Deutschland. Der junge Syrer hat hier, in Schweinfurt, seinen Schulabschluss gemacht, an einer Mittelschule. Sein Ziel: eine Ausbildung. Für den Traumberuf, Kfz-Mechatroniker wird es nicht reichen. "Ich bin zu schlecht in Mathe." Adil will weitersuchen, arbeiten gehen. Den Teilzeitjob in einem Imbiss macht er, um nicht mehr auf Bürgergeld angewiesen zu sein. Seine Miete übernimmt der Staat, Wohngeld. Fühlt er sich arm? "Ja, ein bisschen schon", sagt Adil.
Nach dem Sozialbericht der Stadt sind inzwischen etwas mehr als die Hälfte der Bürgergeldempfänger Ausländer. Mit ein Grund dafür: der Krieg in der Ukraine. Aber nicht nur. Schweinfurt ist multikulturell. 41,5 Prozent der Menschen hier haben eine doppelte Staatsbürgerschaft oder einen ausländischen Pass.
Sozialbericht der Stadt: Vermittlung in den Arbeitsmarkt bei Eltern schwierig
Im Dezember 2023 gab es 2342 "Bedarfsgemeinschaften" im Bürgergeld: 1280 Singles, 493 Alleinerziehende, 535 Partnerschaften. Mindestens 36 Prozent der Bedarfsgemeinschaften haben Kinder. Das erschwere die Vermittlung mindestens eines Elternteils in den Arbeitsmarkt, weil Betreuungsmöglichkeiten in vielen Altersstufen auch weiterhin fehlten, heißt es im Bericht.
Die Zahl der Menschen im Bürgergeld in Schweinfurt ist hoch, höher als im Landkreis, höher als im bayerischen Schnitt. Auch Kinderarmut ist ein Problem. Schweinfurt mit seinen etwas über 56.000 Einwohnern fehlt der Speckgürtel. Das durchschnittliche verfügbare Jahreseinkommen in der Stadt ist rund 1000 Euro niedriger als im Landkreis. Im Vergleich: In Würzburg liegt der Unterschied Stadt-Land bei 100 Euro. Menschen, die besser verdienen und es sich leisten können, leben in Schweinfurt oft in den Stadtrandgemeinden, im Eigenheim.
Vorurteile, die weh tun: Für manche sind sie "Menschen fünfter Klasse"
Doch auch hier gibt es Armut. Waltraud K. ist 82 und kein einsamer Mensch, hat Freunde, Bekannte. Dass sie bei der Tafel Schweinfurt einkauft, weiß niemand. Waltraud K. hat gearbeitet bis sie 75 war, hat Haushalte geführt, aber "keiner wollte mich anmelden". Heute lebt sie von einer kleinen Witwenrente, "ungefähr die Hälfte geht für Miete drauf". Die Tafel ist für sie wichtig. Doch auch wenn Waltraud K. dankbar ist, sagt sie, "mein ganzer Bekanntenkreis darf das nicht erfahren". Für die seien Menschen, die zur Tafel gehen, "Menschen fünfter Klasse". Oft genug hat Waltraud K. herablassende Kommentare gehört. Obwohl es, wie sie sagt, "jeden treffen kann". Armut.
Gisela S. geht es ähnlich. Die 67-Jährige hat als Putzfrau gearbeitet, immer und lange. Gut bezahlt war das nicht. Die Rente ist schmal. Am Anfang, sagt Gisela S., "war es schon schlimm, hierherzukommen". Sie habe sich geschämt, dann aber gesehen, dass sie nicht alleine ist.
Allein mit Hund, so beschreibt Monika H. ihr Leben in der Stadt. Die 72-Jährige, die einmal an einer Uni gearbeitet hat, kam wieder nach Schweinfurt, um die Eltern zu pflegen. Einen neuen Job hat sie in der alten Heimat nie gefunden. Mit 900 Euro Rente kommt man nicht weit. "Einen Platz im Pflegeheim könnte ich mir nicht leisten", sagt sie und packt ihre Einkaufstüten. Der Hund wartet.
Oft arbeiten Frauen in Jobs, die schlecht bezahlt sind – und das hat Folgen
Oft sind es Alleinerziehende, Frauen, die Teilzeit gearbeitet haben und/oder in Jobs, die schlecht bezahlt sind, die heute von Bürgergeld leben oder ihre Rente damit aufbessern müssen. Auch das nimmt der Sozialbericht der Stadt zur Kenntnis. Die meisten Erwerbsfähigen der 25-bis 55-Jährigen im Bürgergeld sind Frauen. Doch nicht jeder bezieht Bürgergeld, auch wenn er vielleicht ein Recht darauf hätte. Wie viele Menschen Bürgergeld oder (bei Älteren) Grundsicherung empfangen, sagt noch nichts darüber aus, wie knapp das Geld bei manchen ist, die vielleicht gerade so über der Einkommensgrenze liegen.

Wie bei Susanne F., 51, verheiratet, fünf Kinder, drei leben noch zu Hause, ein Gehalt. Die Tafel, sagt sie, "gibt uns Halt". Drei, vier Mahlzeiten in der Woche könne sie daraus machen – und damit Geld sparen. Denn das fehlt "hinten und vorne". Susanne F. geht offen damit um, dass sie zur Tafel geht, kennt aber Leute, die sich scheuen, diese Hilfe anzunehmen. Susanne F. engagiert sich im sozialen Bereich, ehrenamtlich, soweit sie es kann. Gesundheitlich ist sie angeschlagen, kann nicht mehr arbeiten.
"Ich wollte schon was aus meinen Leben machen"
Eine Krankheit, die das Leben aus der Bahn wirft. Auch Aina M. hat das erlebt. Krebs. Die Diagnose kam 2020, dann Chemo, Bestrahlung. Früher hatte die Alleinerziehende "immer zwei Jobs", heute kann sie gerade als geringfügig Beschäftigte arbeiten. Mehr geht aktuell nicht. Seitdem muss Aina M., "jeden Cent fünfmal umdrehen". Deshalb sei sie dankbar dafür, dass es die Tafel gibt. Fühlt sie sich arm? Natürlich, sagt die 54-Jährige, "ich wollte schon was aus meinem Leben machen".

Aina M. ist 1999 als Spätaussiedlerin von Kasachstan nach Schweinfurt gekommen, ebenso wie ein anderer, der an diesem Tag bei der Tafel einkauft: Juri K., 36, gelernter Automatisierungstechniker. Der 36-Jährige ist aktuell auf Jobsuche, nachdem er seinen Integrationskurs abgeschlossen hat. Bewerbungen hat Juri K. schon einige geschrieben, bisher ohne Erfolg. Bis es klappt, hilft die Tafel. Denn alleine mit Bürgergeld würden er und seine Familie mit den beiden Kindern nicht hinkommen.
Wenn das Bafög hinten und vorne nicht reicht
Ähnlich geht es Jessica W., 19, Studentin. Für die Schule, das Bayernkolleg, ist sie nach Schweinfurt gezogen. Das Geld ist knapp, das Bafög reicht nicht. Gut, dass es die Tafel gibt, sagt sie. Ein Nebenjob, der ihre finanzielle Lage verbessern könnte, sei aktuell nicht drin. Die Schule fordert Jessica W. gerade komplett.
Auch Manuela S. Aufmerksamkeit kreist um ein Thema: ihren sieben Jahre alten Sohn. Das Leben mit ihm, es ist schön, aber herausfordernd. Ihr Sohn hat ein Handicap, besondere Schul- und Therapiezeiten, sagt Manuela S., "das macht kein Arbeitgeber mit". Wenn er älter ist, will die 39-Jährige wieder arbeiten. Gerade leben die beiden von Unterhaltsvorschuss, dazu kommen Wohngeld und Bürgergeld.
Das kennt Manuela S. seitdem sie 18. ist. Die gelernte Verkäuferin war immer wieder geringfügig beschäftigt, mal als Reinigungskraft, mal als Kassiererin, gehörte erst zu den Aufstockern. Heute leben sie und ihr Sohn komplett vom Bürgergeld. In der Diskussion mit Menschen, die nicht arbeiten wollen, in einen Topf geworfen zu werden, das stößt Manuela S. bitter auf. "Jeder denkt, dass alle kein Bock haben zu arbeiten", sagt sie. Was die 39-Jährige sich wünscht? "Dass alles besser wird, aber glauben tu' ich's nicht."