
Den Dingen methodisch auf den Grund gehen. Erklärungen finden, Entwicklungen aufzeigen und dann weiterdenken: Was bedeuten diese Erkenntnisse? Wie wirken sie sich auf uns, unsere Gesellschaft aus? Müssen wir Konsequenzen ziehen? Und wenn ja, welche? Forscherinnen und Forscher beschäftigen sich seit Jahrhunderten mit diesen Fragen.
Dieser Forschergeist, diese Neugier sind stark mit Schweinfurt verbunden. 1652 gründeten vier Ärzte hier die Leopoldina-Akademie. Johann Lorenz Bausch, Johann Michael Fehr, Georg Balthasar Metzger und Georg Balthasar Wohlfahrt setzen auf Vernetzung, auf Teamarbeit. Die Leopoldina ist mittlerweile Nationale Akademie der Wissenschaften, sitzt in Halle.
Die Verbindung nach Schweinfurt ist aber nach wie vor stark. Zum Beispiel, wenn der Carus-Preis der Stadt Schweinfurt, dotiert mit 10.000 Euro, verliehen wird. Er geht seit 1962 alle zwei Jahre an den oder die Träger der Carus-Medaille des Vorjahres. Mit der Medaille wiederum, benannt nach dem Arzt, Forscher und Künstler Carl Gustav Carus (1789–1869), zeichnet die Leopoldina bedeutende Forschungen aus.
Der Carus-Preis wird alle zwei Jahre verliehen
Wirtschaftswissenschaftlerin und Leopoldina-Mitglied Nicola Fuchs-Schündeln, Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt, befindet sich also in bester Gesellschaft, als sie in der Rathausdiele den Carus-Preis entgegennimmt. Albert Einstein, Marie Curie, Charles Darwin waren Mitglieder der Leopoldina. Nicht wenige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben nach dem Carus-Preis den Nobelpreis bekommen. Christiane Nüsslein-Volhard, zum Beispiel, Stefan Hell, Emmanuelle Charpentier, Svante Pääbo.
Nicola Fuchs-Schündeln ist die erste Wirtschaftswissenschaftlerin, die den Carus-Preis erhält. Sie hat sich mit "Arbeitsstunden im internationalen Vergleich beschäftigt". Als sie ihre Forschung vorstellt, wird schnell klar, dass hinter den Zahlen und Prozentsätzen Entwicklungen stehen, die für das soziale System, den Wirtschaftsstandort Deutschland, bedeutend sind. "Auch für Schweinfurt als Industriestadt ist das wichtig", sagt Oberbürgermeister Sebastian Remelé bei seiner Laudatio. Freude zur Forschung, Bereitschaft zum Aufstieg und ein positives Verhältnis zur Arbeit habe Deutschland zu dem gemacht, was es einmal war. Beim positiven Verhältnis zur Arbeit sieht Remelé momentan Defizite.
Wie viele Stunden arbeiten Menschen im internationalen Vergleich?
Wie viele Menschen im arbeitsfähigen Alter arbeiten? Wie viele Stunden arbeiten sie? Fuchs-Schündeln hat das im internationalen Vergleich untersucht. Generell sei die Wochenarbeitszeit pro Person gesunken, quer durch alle Altersgruppen, in allen Ländern. Gründe? Zum einen gestiegene Einkommen. "Wenn wir reicher werden, wollen wir nicht nur mehr Güter, sondern auch mehr Freizeit konsumieren."
Zweiter Grund: Steuern. Je höher die Besteuerung, desto unattraktiver werde Arbeit. Fuchs-Schündeln hat sich aber auch damit beschäftigt, wie viele Stunden verheiratete Frauen arbeiten. Viele verheiratete Frauen in Deutschland arbeiten, die Erwerbsquote sei hoch. Allerdings sei auch der Teilzeit-Anteil hoch. "Deutschland hat das Steuersystem mit den niedrigsten Arbeitsanreizen für verheiratete Frauen."

Die Wirtschaftswissenschaftlerin sieht hier einen Ansatz, um Arbeitskräftemangel zu begegnen. Ehegattensplitting ändern, Minijobs abschaffen, kostenlose Mitversicherung bei der Krankenkasse des Partners reformieren. Würden verheiratete Frauen in Deutschland mehr arbeiten, würde das die Rentensysteme entlasten.
Homeoffice als positiver Faktor
Um das zu erreichen, müssten auch die sogenannten Fixkosten der Arbeit berücksichtigt werden. Dahinter verbirgt sich zum Beispiel Pendeln. Fällt das weg, steige die Bereitschaft und die Möglichkeit, mehr zu arbeiten. Fuchs-Schündeln setzt auf diese Ansätze: Homeoffice, flexible Gestaltung der Arbeitszeit, Gig Economy (ein Arbeitsmarktmodell, das sich durch befristete und flexible Arbeitsverhältnisse auszeichnet), progressive Normen. Progressive Normen setzen würde zum Beispiel heißen: "Es ist okay, dass eine Mutter arbeitet."
Die Arbeitsstunden pro Person werden weiter sinken. "Die Gesellschaft und der Wirtschaftsstandort stehen vor großen Herausforderungen." Ohne Wachstum sei auch der Sozialstaat schwieriger umsetzbar. Nicola Fuchs-Schündeln setzt auf Digitalisierung und KI, Künstliche Intelligenz. "Das ist eine ganz große Chance, keine Bedrohung. Wir können auch mit weniger Stunden produktiv sein." Bei all dem gilt, was Leopoldina-Generalsekretärin Franziska Hörnig in ihrer Begrüßung als Kernpunkt von Fuchs-Schündelns Forschung sieht: "Der Mensch steht im Mittelpunkt".