24 Minuten. So lange dauerte der erste von 22 Luftangriffen, den die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs über Schweinfurt geflogen haben. Die Folgen der Bombenhagel zwischen 1943 und 1945 sind jedoch bis heute spürbar. Am Samstag hielt die Entschärfung einer 500 Kilogramm schweren Fliegerbombe in der Ernst-Sachs-Straße in Schweinfurt Anwohnerinnen und Anwohner in Atem. Gut 1500 Menschen mussten im Umkreis von 500 Metern um den Fundort der Bombe ihre Wohnungen verlassen. Der Hauptbahnhof war für mehrere Stunden gesperrt.
Immer wieder werden bei Bauarbeiten Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg freigelegt. Expertinnen und Experten aus der Kampfmittelbeseitigung, den Behörden und der Industrie erklären, wie viele Bomben im Schweinfurter Untergrund liegen, wie sie mit der Gefahr umgehen und warum Situationen wie die am Wochenende besonders gefährlich sind.
Wie gefährlich war der Bombenfund am Samstag?
"Extrem gefährlich", sagt Andreas Heil von der Tauber Spezial-Tiefbau GmbH und Kampfmittelräumung aus Nürnberg, die mit der Entschärfung des Blindgängers am Samstag befasst war. Laut dem Experten wurde das Gelände, auf dem gebaut wurde, im Vorfeld der Arbeiten nicht ausreichend auf Sprengkörper untersucht, obwohl sogenannte Kampfmittelsondierung im Vorfeld von Bauarbeiten verpflichtend sind.
Die Bombe wurde während Fräsarbeiten auf der Asphaltdecke einer Lagerfläche entdeckt und war am äußeren Mantel durch die Fräse beschädigt worden. Das löste zunächst Sorgen aus, zumal unklar war, inwieweit sie sich tatsächlich noch entschärfen ließ, erklärt Stadtsprecherin Kristina Ditz. Das hängt auch mit dem Zustand des Blindgängers zusammen. Die Bombe war seit 1944 im Erdreich gelegen und dort Erosion und Feuchtigkeit ausgesetzt.
Bei derartigen Arbeiten muss aus Sicht der Behörden nicht zwingend mit einem Bombenfund gerechnet werden. Die Bombe lag vielmehr außergewöhnlich nah an der Oberfläche. Eine Sondierung des Geländes lag der Stadt nicht vor.
Immer wieder kommt es vor, dass bei Baumaßnahmen Bomben detonieren. Zuletzt ereignete sich ein solcher Vorfall 2006 auf der A3 Würzburg-Frankfurt. Auch dort kam bei Bauarbeiten – ähnlich wie am Wochenende in Schweinfurt – eine Asphaltfräse zum Einsatz. Der Fahrer der Baumaschine auf der A3, die den Zünder der Bombe auslöste, starb bei der Explosion.
Können sich Blindgänger selbstständig entzünden?
Laut dem Kampfmittelexperten gibt es Zündsysteme, die sich selbstständig entzünden können. Eine Detonation ohne äußere Einwirkungen sei bei der Schweinfurter Bombe in der Ernst-Sachs-Straße aufgrund des speziellen Aufschlagzünders jedoch unwahrscheinlich gewesen, so Heil.
Werden Blindgänger mit der Zeit immer gefährlicher?
Ja. Grund dafür ist, dass sich die Kampfmittel mit der Zeit verändern, altern und korrodieren. Um Situationen wie die in Schweinfurt zu verhindern, ist es daher hilfreich, vor Baumaßnahmen eine historische Rekonstruktion des Kriegsgeschehens des Ortes vorzunehmen.
Welchen Schaden kann eine 500 Kilogramm-Bombe verursachen?
Laut Heil besitzen Bomben dieser Größe eine enorme Sprengkraft. Mit einem Inhalt von rund 225 Kilogramm TNT-Sprengstoff stellen sie eine Gefahr für alle Menschen im Umkreis von einem Kilometer dar. Der Evakuierungsradius bei der Bombe in Schweinfurt ließ sich nur dank einer schweren Containerburg, die um die Entschärfung herum aufgestellt wurde, auf 500 Meter reduzieren.
Warum hat sich die Entschärfung der Bombe in Schweinfurt hingezogen?
Zunächst wurde der Zünder der Bombe gereinigt. Als dieser sich als zerrissen erwies, entschieden die Sprengstoffexperten ein Wasserschneidegerät einzusetzen, um den Zünder freizuschneiden. Anschließend wurde der Zünder vor Ort gesprengt.
Wie viele Blindgänger werden auf dem Stadtgebiet Schweinfurt noch vermutet?
Über die genaue Anzahl, wie viele Bomben im Schweinfurter Untergrund noch begraben liegen, lässt sich aus Sicht des Kampfmittelexperten nur spekulieren. Zuletzt wurde im Jahr 2013 ein 250 Kilogramm schwerer Blindgänger in Bergrheinfeld entdeckt. Statistisch lässt sich jedoch nicht darstellen, wie viele Bomben in der Region noch liegen. Bayernweit geht Heil von Tausenden weiteren Blindgängern aus.
Als Industriestandort war die Stadt das Ziel heftiger Fliegerattacken. Bei Arbeiten im Erdreich muss daher immer mit einem potenziell gefährlichen Fund gerechnet werden, sagt Holger Laschka, Pressesprecher von SKF. Bei Tiefbauarbeiten beauftragt die Firma regelmäßig die Kampfmittelbeseitigungsfirma aus Nürnberg mit präventiven Untersuchungen.
Auch andere Industriebetriebe wie die Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF) achten beim Bauen auf mögliche Bomben und lassen das Erdreich vorher überprüfen, erklärt Pressesprecherin Fabiola Wagner. Als ZF seinen Parkplatz in der Ernst-Sachs-Straße mit einer Photovoltaikanlage überdachen ließ, wurde das Gelände zuvor ebenfalls auf Bomben kontrolliert.
Welche Firmen und Betriebe waren von der Entschärfung betroffen?
In Industriebetrieben wie ZF, SKF und Schaeffler arbeiten aktuell aufgrund der hohen Auftragslage am Wochenende und an Feiertagen Menschen in den Werkhallen im Schichtbetrieb, erklären die Unternehmen auf Anfrage. Sowohl bei ZF als auch bei SKF musste am Samstag die zweite Samstagsschicht abgesagt werden. Am Sonntag konnten die ersten Schichten ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Das Werksgelände von Schaeffler war nur am Rande von den Evakuierungen betroffen, sagt Pressesprecher Marco Bosch. Dennoch wurden einzelne Bereiche geräumt. Aus Sicht der Industrie verlief der Einsatz einhellig professionell und die Zusammenarbeit aller Kräfte mit dem Krisenmanagement reibungslos.
Wie gehen die Unternehmen mit der Gefahr weiterer Bomben um?
Um die Mitarbeitenden vor einer unkontrollierten Explosion zu schützen, haben die Unternehmen Notfallpläne, die im Falle einer Entschärfung eingeleitet werden. So wurden bei SKF Beschäftigte vor der Entschärfung der Bombe am Samstag zum Schutz außerhalb des Absperrradius' verlegt, erklärt Pressesprecher Holger Laschka. Ein potenziell gefährdeter Ammoniak-Tank hinter der Werksmauer zur Ernst-Sachs-Straße wurde zudem durch zwei geparkte, schwere Gabelstapler vor einer möglichen Druckwelle durch eine Bombenexplosion geschützt.