Länger als ursprünglich geplant werden wohl die Castor-Behälter mit hochradioaktivem Material in den dezentralen Zwischenlagern lagern. Auch in Grafenrheinfeld. Die Physikerin Oda Becker fordert verstärkte wissenschaftliche Untersuchungen an den Behältern und deren Umfeld. Atomkraftkritiker aus Schweinfurt schließen sich dieser Forderung an. Sie hatten die Wissenschaftlerin zu einem Vortrag in Schweinfurt eingeladen, dem 40 Besucherinnen und Besucher folgten, darunter auch eine Delegation der BGZ (Gesellschaft für Zwischenlagerung), die die Zwischenlager betreibt.
Wie ist die Ausgangslage?
Um die hochumstrittenen Transporte von abgebrannten Brennelementen aus deutschen AKW vorerst zu stoppen, sind nach dem Willen der Bundesregierung an den meisten AKW-Standorten Zwischenlager gebaut worden. 16 Lagerstätten gibt es in der Bundesrepublik. Eine davon steht neben dem abgeschalteten AKW in Grafenrheinfeld mit Namen BZR. Eröffnet 2006, inzwischen bestückt mit 54 Castoren. Verwahrt werden sie von der bundeseigenen Gesellschaft BGZ. Ursprünglich war die Zwischenlagerung für 40 Jahre vorgesehen. Weil aber die Suche nach einem Endlager, das erst in einigen Jahrzehnten aufnahmebereit sein dürfte, neu gestartet worden ist, werden die Behälter wohl viel länger als geplant an den Standorten verweilen. Vielleicht sogar 100 Jahre lang.
Wie schirmen Castoren die gefährliche Strahlung ab?
Die Castoren bestehen aus einer 40 Zentimeter starken Metallhülle, in denen die Brennstäbe eingestellt sind. Die Schwachstelle für einen möglichen Austritt von Material und Strahlung sind die Dichtungen der Deckel. Zwei Deckel sind übereinander geschraubt, der Luftdruck dazwischen wird überwacht. Nimmt er ab, ist ein Leck zu vermuten. Ist die Dichtung des äußeren Deckels betroffen, wird er ersetzt. Ist der innere Deckel undicht, wird von außen ein sogenannter Fügedeckel zusätzlich montiert, um wieder zwei funktionierende Deckel zu haben, wie BGZ-Hauptabteilungsleiter Süd Jürgen Bruder erläuterte. Für alle Castor-Modelle seien Fügedeckel vorhanden. Zwar hat bislang noch nie eine Dichtung versagt, doch dieser Umstand reicht Physikerin Becker nicht aus, weil das Materialverhalten in einem Zeitraum jenseits der 40 Jahre nicht bekannt ist.
Warum soll es neue Forschungen geben?
Die Pläne und Ausrichtung des Lagerkonzepts, der Behälter und der Sicherung seien eben für jene 40 Jahre ausgelegt gewesen, sagt Becker. Was aber passiert, wenn das strahlende Material länger in den Behältern aufbewahrt wird, sei wissenschaftlich nicht untersucht. Dies müsse nun erforscht werden, um auf neuer Datenbasis eine Neubewertung des Lagerungskonzepts vornehmen zu können.
Was soll laut Becker erforscht werden?
Für die Physikerin sind die sogenannten Hüllrohre von besonderem Interesse, die die eingelagerten Brennstäbe umschließen. Ihr Zustand sei im Betrieb nicht überprüfbar. Es müsse erforscht werden, wie sich das Material über lange Jahre verhalte und was passiert, sollte es porös werden und sich dann der hochradioaktive Brennstoffabfall am Boden der Castoren sammelt. Weiterhin fordert sie neue Überlegungen zum Schutz der Zwischenlager von außen. Zwar seien die Gebäudemauern, auch in Grafenrheinfeld, verstärkt und die Zugänge erschwert worden, doch zu allem entschlossene Terroristen dürften sich davon nicht abhalten lassen, sagt Becker. Oder wenn sich kriegerische Parteien gegenüberstehen, wie dies 2022/23 beim ukrainischen AKW Saporischschja der Fall gewesen ist. Falsche Annahmen zur Sicherheit hätten nach einem Gerichtsurteil dazu geführt, dass das Zwischenlager Brunsbüttel seit zehn Jahren ohne gültige Genehmigung betrieben werde: „Ich warne davor, dass es nach Auslaufen von Betriebserlaubnissen ungenehmigte Zwischenlager in Deutschland gibt.“ Die Genehmigung für Grafenrheinfeld läuft bis 2046.
Was sind die Kernforderungen der Kritikerinnen und Kritiker?
Physikerin Becker und die Atomkraftkritiker von Bund Naturschutz und Aktionsbündnis gegen Atomanlagen sind sich einig: Neben der Erforschung, wie sich Materialien und Atommüll nach langen Jahren der Einlagerung entwickeln, brauche es auch eine Messung der Raumluft in den Lagergebäuden. Jedes Lager müsse zudem mit einer Reparatureinheit ausgestattet werden, in der im Notfall Castoren geöffnet, inspiziert und repariert werden können oder gar der Inhalt umgepackt werden kann. Solche sogenannten „heißen Zellen“ gibt es in Deutschland derzeit nicht. Baukosten: voraussichtlich in hoher zweistelliger Millionenhöhe pro Einheit.
Warum gibt es Kritik am BGZ-eigenen Forschungsprojekt?
Auch die BGZ beschäftigt ein Forschungsteam, auch um aktuelle Daten für eine geplante Verlängerung der Genehmigung für Grafenrheinfeld vorlegen zu könne. Als „enttäuschend“ bezeichnet Becker das BGZ-Projekt, dessen neuesten Stand das Unternehmen erst wenige Tage vor der Schweinfurter Veranstaltung in Berlin vorgestellt hatte. Die BGZ erläutere dort wortreich, was man alles nicht erforschen wolle, so Becker. Die BGZ-Vetreter weisen darauf hin, dass es sich um ein dauerhaftes Projekt handelt, das ständig fortgeschrieben werde. Immerhin bekräftigten BGZ und Becker, im Dialog bleiben zu wollen.
Wie ist die Bevölkerung bei einem massiven Störfall im Zwischenlager abgesichert?
Für eine Havarie des AKW Grafenrheinfeld, als es noch in Betrieb war, existieren spezielle Schutz- und Evakuierungspläne. Ob sie auch für das Zwischenlager gelten oder es eigene Pläne gibt, blieb in der Veranstaltung offen. Trotz Einladung hatte das Landratsamt als zuständige Katastrophenschutzbehörde niemanden zu dem Termin entsandt. Dies kritisierte ein Besucher sehr stark.
Welche Rolle spielen Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit?
Kritik gab es von Edo Günther (Bund Naturschutz), dass der AKW-Betreiber Preussen-Elektra zum alljährlichen „Kraftwerksgespräch“ nur Personen aus Kommunalpolitik, Organisationen und Medien einlade. Aber keine „kritische Gruppen“. Er erneuerte die Forderung nach einem „Runden Tisch“ zu AKW-Rückbau und Zwischenlagerung. BGZ-Pressesprecher Stefan Mirbeth versicherte, dass man den Dialog mit der Bevölkerung suche. Man lade Besucherinnen und Besucher auf Wunsch gerne ins Zwischenlager ein. Kontaktdaten wurden vor Ort ausgetauscht.
Hinweis: Neben dem Brennelemente-Zwischenlager (BZR) gibt es in Grafenrheinfeld noch das Abfall-Zwischenlager (AZR), in dem schwach- und mittelradioaktive Stoffe aus dem laufenden Rückbau des AKW gesammelt werden. Letzteres ist von der beschriebenen Diskussion nicht umfasst.
Sinnvoll wäre es jetzt ein Endlager zu bauen weil viel sicherer als die Halle in Grafenrheinfeld wäre jedes tiefe Loch in der Erde.
So wie es bei uns läuft wird Grafenrheinfeld aber zum Endlager und irgendwann zum Katastrophenfall.