Spätestens 2050, so die Macher des neuen Standortauswahlgesetzes, soll endgültig feststehen, wo das deutsche Endlager für hochradioaktiven Müll sein soll. Selbst wenn der Ort schon früher feststehen sollte, dann steht es 2050 mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht zur Verfügung. Aber die Betriebsgenehmigung für die Zwischenlager an den Standorten der Atomkraftwerke werden dann abgelaufen sein. In Grafenrheinfeld ist das 2046 der Fall. Der Müll muss jedoch weiterhin gelagert werden, bis er auf Dauer im Endlager verschwinden kann. In jedem Fall ist das eine große Aufgabe für die nächste Generation. Dazu gibt es jede Menge Fragen.
Welche Zwischenlager gibt es in Deutschland?
Bis 2002 sind die abgebrannten Brennelemente entweder in die Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien) oder in die zentralen Zwischenlager nach Ahaus (NRW) und Gorleben (Niedersachsen) gebracht worden. Wegen der Proteste gegen die Transporte hat die rot-grüne Bundesregierung entschieden, dass an zwölf AKW-Standorten Lager gebaut werden, unter anderem in Grafenrheinfeld. Zudem gibt es in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) ein Lager hauptsächlich mit Material aus den AKW der ehemaligen DDR.
Was zeichnet die Sonderfälle Brunsbüttel und Obrigheim aus?
Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Anwohnerklagen dem Zwischenlager in Brunsbüttel die Betriebserlaubnis entzogen. Befürworter und Gegner streiten sich über den Betrieb, den die Landesregierung in Kiel bis 2018 dulden will. Betreiber Vattenfall hat eine Neugenehmigung beantragt. Am abgeschalteten AKW Obrigheim gibt es kein Zwischenlager. Einen nachträglichen Bau lehnt die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart ab. Die Brennelemente sollen nach Neckarwestheim gebracht werden. Momentaner Favorit ist der Transport über den Neckar. Dies wäre der erste Atommülltransport auf einem Binnengewässer in Deutschland. Atomkraftgegner halten ihn für zu gefährlich und lehnen ihn ab.
Wie sind die Standortlager aufgebaut?
Es gibt zwei Arten von Gebäuden: Hauptsächlich in Norddeutschland stehen Hallen nach dem Steag-Konzept. Wände und Decken bestehen aus Stahlbeton zwischen 1,2 und 1,6 Metern Stärke. Damit sollen die dort geparkten Castoren geschützt werden, deren Stahlmantel eine weitere Schutzfunktion hat. Nach Berechnung bleibe eine abstürzende Verkehrsmaschine in den Wänden stecken, so Physiker Wolfgang Neumann (Hannover).
Im Süden, auch in Grafenrheinfeld, sind die Hallen nach dem WTI-Konzept gebaut. Die Wände sind mit 80 Zentimetern deutlich schwächer; ein Flugzeug könne sie laut Neumann durchschlagen. Die Schutzfunktion üben ausschließlich die Castoren aus. Das Lagerprinzip ist bei beiden Konzepten gleich: Eindringende Luft nimmt die Wärme an den Behälterwänden auf und führt sie über Lüftungsschlitze ins Freie.
Wie sicher sind die deutschen Standortlager?
Dennis Köhnke von der Technischen Universität Braunschweig, der als Experte für Stahlbetonbau Lager verschiedener Länder verglichen hat, spricht von einem „hohen technischen Standard“ in Deutschland. Auch der Chef der Abteilung für Zwischenlager am Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE), Michael Hoffmann, hält den Schutz für angemessen. Er deutet aber auch Sympathien für ein Reparaturkonzept an, sollten die Lager länger als die für 40 Jahre genehmigte Betriebsdauer weitergenutzt werden.
Wie soll die Sicherheit erhöht werden?
2011 ist entschieden worden, die Gebäude nachzurüsten. Für Grafenrheinfeld ist bekannt, dass eine zehn Meter lange Zusatzmauer vor den seitlichen Flanken gebaut werden soll. Wahrscheinlich als Schutz gegen einen Flugzeugabsturz und panzerbrechende Waffen. Die Details unterliegen der Geheimhaltung. In den Standortlagern sollen zudem Maßnahmen getroffen werden, die verhindern, dass jemand ins Innere eindringen kann. Etwa um eine Bombe zu zünden.
Der Castor hat zwei Deckel, deren Funktion ständig überprüft wird. Ist der obere Deckel undicht, kann er problemlos ausgetauscht werden. Ist der innere Deckel defekt, wird von außen ein sogenannter Fügedeckel aufgebracht, damit der Castor über zwei funktionstüchtige Absicherungen verfügt. Bislang ist noch kein solcher Fall bekannt geworden. Die Frage ist offen, ob dieses Konzept auch bei einer Lagerung zwischen 40 und 100 Jahren ausreicht. Michael Hoffmann vom BfE sagt: „Wir werden uns damit befassen müssen, ob das dann noch vertretbar ist.“
Was hat die „heiße Zelle“ damit zu tun?
Eine heiße Zelle ist ein abgesicherter Raum im Lager, in dem ein Brennelementbehälter geöffnet werden kann, ohne dass Strahlung unkontrolliert freigesetzt wird. Zum Beispiel, um bei einem Leck auch den inneren Deckel austauschen zu können. Kritiker wie Physiker Wolfgang Neumann fordern in jedem Fall eine „heiße Zelle“, auch um stichprobenartig nachzuschauen, wie sich das radioaktive Material im Castor verhält und in welchem Zustand sich die Aufbauten der Brennelemente befinden. Gerade, wenn man sie länger als geplant zwischenlagert. Kraftwerksbetreiber Preussen-Elektra erklärte gegenüber dieser Redaktion, dass eine „heiße Zelle“ nur für den Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen benötigt werde. Sie sei im Zwischenlager nicht erforderlich und daher auch nicht vorgesehen, da dort ausschließlich umschlossene Stoffe gehandhabt würden.
Kann man die Zwischenlager länger nutzen als 40 Jahre?
Ja, aber. Das zuständige Bundesamt rechnet mit neuen Genehmigungsverfahren. Voraussetzung ist allerdings eine Klärung, dass die Lager autonom betrieben werden können. Denn in einigen Bereichen (wie etwa bei der Notstromversorgung) hängen sie bislang von den Kraftwerken ab, die aber abgebaut werden. „Entmaschung“ nennen Experten den Prozess. Allerdings hat sich laut Michael Hoffmann vom BfE bis heute recht wenig getan. Preussen-Elektra erklärt, dass in Grafenrheinfeld erste Projekte eines autarken Lagerbetriebs begonnen haben. Dabei gehe es in erster Linie um technische Schnittstellen. Kritiker wie Physiker Neumann fordern weitere Nachrüstungen oder Neubauten wie etwa in Lubmin. Keine Erfahrungen gibt es, welchen Alterungsprozessen Castoren ausgeliefert sind. Laut Kraftwerksbetreiber Preussen-Elektra sei die Funktion für 40 Jahre nachgewiesen, es gebe aber noch sicherheitstechnische Reserven, weswegen eine längere Aufbewahrung von Brennelementen „sicher möglich“ sei. Es ist unklar, wie sich das radioaktive Material über die Jahre verhält. Wenn es zerbröselt, wie manche annehmen, wäre ein Transport der Behälter in ein Endlager ausgeschlossen.
Braucht man künftig alle Lager?
Nein. Es wäre auch vorstellbar, dass in Deutschland eine Handvoll zentrale Zwischenlager definiert werden, die das Material aufnimmt. Das setzt allerdings die Wiederaufnahme von Atommülltransporten voraus.
Über wie viel Atommüll reden wir eigentlich?
Laut Thorben Becker vom BUND gibt es in Deutschland 34 630 Brennelemente in 1900 Behältern, wenn 2022 das letzte AKW vom Netz geht. Der atomare Abfall wiegt 10 445 Tonnen. Dazu kommen noch die Überbleibsel, die aus den Wiederaufbereitungswerken La Hague und Sellafield zurückgenommen werden müssen.
Wann wird der erste Castor ins Endlager gebracht?
Das weiß niemand. Optimisten rechnen 2050 damit, Skeptiker gehen davon aus, dass es erst nach der nächsten Jahrhundertwende so weit sein wird.