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Schweinfurt
Antisemitismus: Wie Amelie Glück und ihre Mitschüler gegen Judenfeindlichkeit in Schweinfurt vorgehen wollen
Amelie Glück und ihre Mitschüler setzen sich aktiv für die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte ein. Warum die Schüler den Sozialen Medien dabei den Kampf ansagen.
Schülerin Amelie Glück (17) und ihr Klassenkamerad Marius Ostlinning (16) setzten sich gemeinsam in der Arbeitsgemeinschaft 'Denkzeichen' der Walther-Rathenau-Schulen in Schweinfurt für jüdische Erinnerungskultur ein.
Foto: Marcel Dinkel | Schülerin Amelie Glück (17) und ihr Klassenkamerad Marius Ostlinning (16) setzten sich gemeinsam in der Arbeitsgemeinschaft "Denkzeichen" der Walther-Rathenau-Schulen in Schweinfurt für jüdische Erinnerungskultur ein.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 10.12.2024 02:38 Uhr

Spricht man mit Amelie Glück über die Beweggründe ihres Engagements für die jüdische Erinnerungskultur, so gehen diese alle von einer zentralen Frage aus: Warum wurden Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland verfolgt und ermordet? Doch wer das Warum hinter dem Holocaust, bei dem 6,3 Millionen Juden in Europa von den Nationalsozialisten ermordet wurden, verstehen wolle, müsse sich mit der Geschichte dahinter auseinandersetzen, sagt Glück.  

"Ich halte es für wichtig, dass man diese Vergangenheit nicht vergisst." Auf einem Stuhl neben Glück sitzen ihre beiden 16-jährigen Mitschüler Marius Ostlinning und Julius Jakob. Gemeinsam mit Geschichtslehrer Tobias Heinle arbeiten die drei seit Beginn dieses Schuljahres in der freiwilligen Arbeitsgemeinschaft (AG) Denkzeichen am Walther-Rathenau-Gymnasium.

Walther-Rathenau-Schulen sind Paten des Erinnerungsortes Denkzeichen

Das Thema Erinnerungskultur wurde der Schule, die nach dem deutsch-jüdischen Politiker, Schriftsteller und Unternehmer Walther Rathenau benannt ist, praktisch in die Wiege gelegt, erzählt Heinle. Als Außenminister zu Zeiten der Weimarer Republik wurde Walther Rathenau unter anderem wegen seines Glaubens 1922 von rechtsextremen Anhängern ermordet. Jahre später erfolgte mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten die systematische Verfolgung und Ermordung zahlreicher Juden in Europa.

An die 75 Schweinfurter Jüdinnen und Juden, die dem Wahn in jener Zeit zum Opfer fielen, erinnert seit einigen Wochen der Gedenkort "Denkzeichen" an der Schweinfurter Stadtmauer nahe dem Durchgang zum Chateaudun-Park. Mit seiner Fertigstellung haben die Walther-Rathenau-Schulen die Patenschaft für den Erinnerungsort übernommen und binden diesen nun in ihr pädagogisches Konzept ein. "Die Verknüpfung war sofort da", sagt Heinle. Schülerin Amelie Glück hatte bei der Eröffnungsfeier selbst verfasste Gedichte vorgetragen.

Antisemitismus und Rassismus in Jahrgängen unterschiedlich ausgeprägt

Seit Anfang des Schuljahres trifft sich die AG wöchentlich, um Veranstaltungen zu planen und die Erinnerungskultur noch stärker in der Schulgemeinschaft zu verankern. "Als Schule tragen wir auch eine Verantwortung, Werte zu vermitteln und Vorurteile abzubauen", ergänzt Sprachlehrerin Claudin Pakosch, die auch als Koordinatorin des Gymnasiums im Netzwerk "Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage"ist. Doch die aktuellen Entwicklungen bereiten sowohl Schülern als auch Lehrkräften Sorge.

Die 17-jährige Schülerin Amelie Glück hatte auf der Eröffnungsfeier der Gedenkstätte 'Denkzeichen' mehrere Gedichte vorgetragen.
Foto: Heiko Becker | Die 17-jährige Schülerin Amelie Glück hatte auf der Eröffnungsfeier der Gedenkstätte "Denkzeichen" mehrere Gedichte vorgetragen.

"Der Trend zum sehr konservativen Denken hat zugenommen", sagt Pakosch. Nicht nur, was Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit betreffe. Auch Homosexualität, ein vermeintlich traditionelles Familienbild oder Ausgrenzungen anderer Art würden je nach Jahrgang zu oder sogar abnehmen. Gründe dafür gebe es viele, meint Pakosch. Zu der Schwemme von Falschnachrichten in den Sozialen Medien würden sich die Folgen und Sehnsüchte junger Menschen nach der einschneidenden Zeit der Pandemie gesellen, stellt die Lehrerin fest. "Unsere Aufgabe ist es, das alles zusammenzubringen und den Schülern die Mechanismen von Ausgrenzung aufzuzeigen", fügt AG-Leiter Heinle hinzu.

"Das war die beste Entscheidung, die ich je gefällt habe. Ich halte Social Media für sehr gefährlich, was die Verbreitung rechtsextremer und antisemitischer Inhalte angeht."
Amlie Glück, Schülerin am Walther-Rathenau-Gymnasium

Auch Amelie Glück und ihre beiden Klassenkameraden nehmen einen wachsenden Antisemitismus und Rassismus unter Gleichaltrigen wahr. Gerade in den Sozialen Medien würden menschenverachtende Inhalte rechtsextremer Politiker der AfD immer weiter zunehmen. Unter anderem deshalb hat die 17-Jährige Apps wie Instagram oder TikTok vor Jahren von ihrem Smartphone gelöscht. "Das war die beste Entscheidung, die ich je gefällt habe. Ich halte Social Media für sehr gefährlich, was die Verbreitung rechtsextremer und antisemitischer Inhalte angeht."

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf das Wegsterben von Zeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus sei es umso wichtiger daran zu erinnern, wohin Hass, Hetze und Antisemitismus letztlich führen können, sagen ihre beiden Mitschüler Julius Jakob und Marius Ostlinning. "Wir müssen verstehen, dass es ein Privileg ist, jetzt zu leben und aus der Vergangenheit lernen zu können", so die Elftklässlerin.

Schülerinnen und Schüler planen weitere Aktionen in Schweinfurt

Deswegen plant die AG weitere Aktionen. So wollen die Schülerinnen und Schüler weitere Informationen zu jüdischem Leben in der Stadt zusammentragen und mithilfe von scannbaren Quick Response-Codes (QR) an den jeweiligen Plätzen zum Nachlesen auf dem Smartphone festhalten. Aber auch Veranstaltungen wie der jährliche Walther-Rathenau-Gedenktag oder ein Nachholtermin mit Eytan Tel-Tsur, einem Nachkommen der jüdischen Familie Schmelzer aus Schweinfurt, wolle die AG in den nächsten Monaten vorbereiten.

 
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  • Harald Bach
    "Der Trend zum sehr konservativen Denken hat zugenommen",

    Was ist falsch daran???

    Ein bisschen mehr Toleranz von unserer Neuen Bunten Gesellschaft, allen Gästen dieses Landes (welches von diesen konservativen Menschen aufgebaut wurde),den konservativ Denkenden gegenüber wäre auch nicht schlecht .
    Aber soweit geht das mit der Toleranz halt nicht - die wird immer nur als Einbahnstraße gesehen.
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  • Frank Pfeffermann
    Ich dachte immer, dass progressive, liberal und plural denkende Menschen das Land aufgebaut und vorangebracht haben. Sind wir doch stolz auf eine Jugend, die sich für die Vergangenheit interessiert und die Zukunft gestalten möchte.
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