
Es war in der Nacht des 10. Novembers 1938: Im nationalsozialistischen Deutschland werden Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte zerstört und tausende Juden von Soldaten der SA und SS verschleppt und getötet. Die Reichspogromnacht markierte den Beginn des Holocausts und damit eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte.
Auch in Schweinfurt wurden unter der Terrorherrschaft des NS-Regimes zahlreiche Jüdinnen und Juden getötet, geschlagen und verschleppt. An 75 von ihnen wird nun täglich an der Schweinfurter Stadtmauer nahe dem Durchgang zum Chateaudun-Park an sie erinnert. Mehr als 300 Menschen sind zur Übergabefeier des Erinnerungsorts an die Stadtgesellschaft gekommen.
"Wir wollen nicht schweigen, wir wollen erinnern", erklärte Johanna Bonengel, Sprecherin der Initiative gegen das Vergessen, welche den Gedenkort in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Steff Bauer geplant und verwirklicht hat. "Wir haben viel Herzblut in die Arbeit gesteckt", verdeutlichte Bonengel. Die Initiative ist eine ehrenamtliche Arbeitsgruppe, die sich spendenbasiert unter dem Dach der Disharmonie seit mehr als vierzig Jahren mit der Zeit des Nationalsozialismus in Schweinfurt auseinandersetzt.
Denkmal gegen Entmenschlichung und Judenhasser
Das Denkmal solle ein Zeichen gegen Entmenschlichung und Judenhasser sein – auch und gerade in der heutigen Zeit, bekräftigte Bonengel. Zusammen mit dem von ihr und Hannes Helferich verfassten biografischen Gedenkbuch führt der Erinnerungsort durch die Lebensgeschichte von 75 Jüdinnen und Juden, die bis 1942 in Schweinfurt lebten. Ab April 1942 wurden sie in drei Schüben über Würzburg in die Konzentrations- und Vernichtungslager des von Deutschland besetzten Polen deportiert. Keiner von ihnen kehrte zurück.

Die Namen der Menschen stehen alphabetisch geordnet auf flachen Säulen, die Namenstafeln tragen. Darauf enthalten sind die wichtigsten Lebensdaten, die zuletzt freiwillig gewählte Wohnadresse und der Ort der Ermordung der jeweiligen Person. Als Material haben die Macher Cortenstahl ausgewählt. Ein Material, das den Lauf der Zeit spürbar machen und eine Einheit mit den Steinen der ehemaligen Stadtmauer bilden solle, so Bonengel. Ein QR-Code am Denkmal führt zur Homepage der Initiative und den Daten der 75 Verstorbenen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger haben für das Projekt gespendet.
Redner warnen vor Antisemitismus durch AfD
"Alle haben es gewusst. Alle waren dabei. Und alle haben auch gewusst, wer es war", verdeutlichte Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung und ehemaliger Bayerischer Kultusminister, der ebenfalls als Redner zur Feier gekommen war. Laut einer aktuellen Erhebung würden 15 Prozent der Deutschen davon ausgehen, dass ihre Vorfahren im Widerstand waren. Und auch heute müsse die Bundesrepublik wieder darüber nachdenken, wohin Antisemitismus führen könne.
Daran, dass dieser in Deutschland allgegenwärtig und aktueller denn je ist, lässt Spaenle keine Zweifel. "Juden werden in Europa und auch in Deutschland wieder gejagt", sagte er mit Blick auf die jüngsten Angriffe auf Angehörige des jüdischen Sportvereins Maccabi Tel Aviv in Amsterdam und Berlin. "Wenn Menschen sich fürchten müssen, weil sie Juden sind und angegangen werden, dann ist das Erinnern wichtig." Ebenso wichtig sei es, im Angesicht des rechtsextremen Sprachgebrauchs von AfD-Politikerinnen und Politikern zueinanderzustehen und den Opfern des Nationalsozialismus durch das Schaffen von Denkorten ihre entrissenen Namen zurückzugeben.
Rabbinerin Antje Yael Deusel wirbt um Rückhalt
In seiner Rede kam Oberbürgermeister Sebastian Remelé auf die Verbrechen der Nazis in Schweinfurts Partnerstadt Luzk zu sprechen. Dort hatten deutsche Polizisten während der Besetzung der Ukraine 20.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer auf martialische Art und Weise getötet. Nach den Geschehnissen der vergangenen Wochen mahnte er an, aufmerksam zu bleiben. Der Antisemitismus sei zurückgekehrt – "auch durch eine unkontrollierte Zuwanderung", so der OB.
"Nicht Mauern machen Städte, sondern Menschen", erklärte hingegen Antje Yael Deusel, Rabbinerin aus Bamberg. Der Gedenkort stehe symbolisch für die Jüdinnen und Juden, die einst gewaltsam aus der örtlichen Stadtgesellschaft gerissen wurden, nachdem sich ihre Mitmenschen zuvor von ihnen abgewandt hatten. "Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gleichgültig." Ehrengast Eytan Tel-Tsur, der als Sohn eines jüdischen Schweinfurter Opfers extra aus Israel einreisen wollte, ließ sich aufgrund von Krankheit entschuldigen. Seinen Dank an alle Beteiligten übermittelte er in einem Brief über Rabbinerin Antje Yael Deusel.

Dankbar, aber auch mahnend zeigte sich Schulleiterin Kerstin Petz von den städtischen Walter-Rathenau-Schulen in ihrem Wortbeitrag. Die Schulen übernehmen fortan die Patenschaft für den Erinnerungsort und integrieren das Denkmal in ihren Lehrbetrieb. Vor allem in Richtung der AfD sagte sie: "Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen", so Petz. Auf die aktuellen Geschehnisse um den Krieg in Nah-Ost wurde auf der Veranstaltung nicht eingegangen.