
Das Leben von Jüdinnen und Juden ist auch in Deutschland bedroht wie lange nicht. Der Antisemitismus kenne "keinerlei Dämme mehr", sagt Josef Schuster. Seit genau zehn Jahren ist der Würzburger Arzt Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der 70-Jährige stammt aus einer Familie mit langer fränkisch-jüdischer Tradition. Für sein Engagement als Mahner gegen Menschenfeindlichkeit jeder Art ist Schuster vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit der Ehrendoktorwürde der Uni Würzburg.
Im Interview spricht der Zentralratspräsident über die Verunsicherung in der jüdischen Gemeinschaft, allzu milde Gerichtsurteile, Fernsehbilder als Brandbeschleuniger - und die wenigen Lichtblicke.
Josef Schuster: Definitiv nicht. Was wir heute erleben, hätte ich 2014 mir im Albtraum nicht vorstellen können. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und der Krieg gegen den Terror von Israel in Gaza und im Libanon hatten eine Explosion des Antisemitismus auf europäischen, insbesondere auch auf deutschen Straßen zur Folge.
Schuster: Dass rund 20 Prozent der Menschen, die in Deutschland leben, antijüdische Ressentiments haben, wissen wir seit Jahrzehnten. Diese Zahl hat sich zuletzt nicht wesentlich verändert, aber viele, die sich früher nicht getraut haben, ihre Judenfeindlichkeit offen auszusprechen, trauen es sich jetzt. Man sagt alles, was man denkt. Es gibt keinerlei Dämme mehr. Diese 20 Prozent sind sehr laut – und zum Teil auch gewaltbereit.
Schuster: Dass Jüdinnen und Juden auch in Westeuropa so bedroht sind, ist eine neue Qualität, ja.
Schuster: Wenn ich die Lösung hätte, eine Art Allheilmittel, käme ich vermutlich als Friedensnobelpreisträger infrage. Ich habe diese Lösung nicht. Von politischer Seite, das muss ich klar sagen, wird viel getan. Problematisch sind aus meiner Sicht zwei Dinge: Das sind zum einen die sozialen Medien, die ganz bewusst Hass in die Gesellschaft tragen. Aber ich sehe auch eine Verantwortung bei den klassischen Medien, allen voran den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Bilder generell, aber ganz konkret die aus dem Nahen Osten, wirken einfach mehr als Worte. Das dort transportierte negative Israel-Bild ist häufig ein Brandbeschleuniger für den Extremismus in Deutschland.
Schuster: Bilder, die aus Gaza kommen, die Verletzte zeigen. Jeder Verletzte in Gaza tut mir genauso leid wie ein verletzter Israeli. Allerdings wird bei der Bildauswahl häufig einfach vergessen, dass die Menschen dort von der Hamas, von den eigenen Leuten, ganz bewusst als menschliche Schutzschilde benutzt werden. Abschussrampen und Terrorzentralen werden unter Wohnhäusern, Krankenhäusern und Schulen angelegt. Viele dieser Gebäude werden gar nicht mehr in dieser Form genutzt und trotzdem heißt die Meldung: "Angriff auf Schule". Fatal sind auch übernommene Narrative der Terrorgruppen.

Schuster: In Würzburg hätte ich wenig Bedenken, ein religiöses Symbol als Schmuckstück zu tragen. Meine Kinder aber leben in Frankfurt und München. Dort würde ich raten, so eine Kette zumindest nicht in allen Stadtvierteln offen zu zeigen.
Schuster: Ja, das hat sich verändert. Ich erinnere mich, Anfang 2015, kurz nachdem ich das Amt übernommen hatte, habe ich in einem Radiointerview gesagt, dass das Tragen einer Kippa in einigen Stadtvierteln von Berlin absolut nicht ratsam ist. Das gab damals einen Aufschrei in den Medien. Dabei war das innerhalb der jüdischen Community eine Binsenwahrheit. Heute sorgt so eine Äußerung nicht mehr für Schlagzeilen.
Schuster: Die Punkte, die der Zentralrat für wesentlich hält, um jüdisches Leben in Sicherheit zu ermöglichen, finden sich in der Resolution wieder. Dass die AfD zugestimmt hat, liegt wohl daran, dass der migrationsbedingte Antisemitismus benannt wird. Gut wäre es gewesen, wenn in der Resolution genauso der linksextreme und rechtsextreme Antisemitismus benannt worden wäre – dann hätte die AfD wohl Schwierigkeiten gehabt. Die Linke hat sich enthalten. Viel bemerkenswerter finde ich die Ablehnung durch das BSW.
Schuster: Mir ist sie nicht bekannt. Aber dieses Nein macht deutlich, wie dieses Bündnis tickt.
Schuster: Dazu stehe ich.
Schuster: Es geht nicht darum, einzelne Personen zu durchleuchten. Es geht darum, sicherzustellen, dass Projekte, die gefördert werden, keine antisemitischen Narrative verbreiten. Es muss klar sein: Antisemitismus ist keine Meinung. Dafür kann nicht die Kunst- und Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werden. Es geht nicht um Verbote, es geht um die Förderung durch Steuergeld.

Schuster: Warum eigentlich? Es ist doch gar nicht so schwer, das zu unterscheiden. Ich empfehle die sogenannte Drei-D-Theorie. Demnach hat die legitime Kritik an Israel ihre Grenzen, wo Israel dämonisiert wird, wo an Israel Doppelstandards angelegt werden, die man an andere Länder nicht anlegt – und wo Israel delegitimiert, also dem Staat das Existenzrecht abgesprochen wird. Mit diesen drei D kommt man gut klar. Natürlich ist es völlig unstrittig, dass man die Politik von Premier Netanjahu kritisieren kann – so wie man nicht alle Entscheidungen des deutschen Bundeskanzlers oder der Kanzlerin in Deutschland gut finden muss. Genau das ist Demokratie.
Schuster: Es ist eine Erfahrung, die ich auch mache. Klar ist aber auch, dass meine persönliche Haltung zu Israel keine objektive ist. Und zwar allein deshalb, weil nach israelischem Recht jeder Jude in der Welt die Möglichkeit hat, zu jedem Zeitpunkt nach Israel einzuwandern. Israel ist der sichere Zufluchtshafen für uns alle. Hätte es einen solchen schon in den 1930er Jahren gegeben, wäre sehr viel Leid verhindert worden.
Schuster: Diese Option war nach dem 7. Oktober für viele keine reale Perspektive mehr. Es kommt jetzt auf die Entwicklung auch in Deutschland an. Es bleibt eine Option.
Schuster: Das ist richtig. Von mir haben Sie auch noch nicht gehört, dass ich es für notwendig halte, dass Jüdinnen und Juden Deutschland verlassen. Das sage ich auch heute nicht. Unabhängig davon ist es gut zu wissen, dass Israel, wenn es zu Problemen kommt, eine Alternative ist.
Schuster: Ich könnte mir vorstellen, bei einer erheblichen Regierungsbeteiligung extremer Parteien könnte für Juden ein Leben in Deutschland unmöglich werden.
Schuster: Wir brauchen keine schärferen Gesetze. Wir brauchen aber eine Justiz, die die bestehenden Gesetze glasklar anwendet. Ich habe ein Problem damit, dass bei antisemitischen Straftaten häufig nicht das Strafmaß in seiner ganzen Breite ausgeschöpft wird. Zu oft wird dann von Gerichten auf mildernde Umstände verwiesen - wie die Fluchterfahrung oder die schwere Jugend eines Beschuldigten. Da gibt es dann Bewährungsstrafen von wenigen Monaten. Darüber lacht der Täter doch. Ich finde, eine Strafe muss abschreckende Wirkung haben. Da hat die Justiz eine hohe Verantwortung.
Schuster: Ja, die gibt es. Viele Menschen erklären im Internet, in Mails ihre Solidarität mit der jüdischen Community. Diese Stimmen sind meist leiser als die negativen, aber sie machen Hoffnung. Ich freue mich auch, wenn ich beispielsweise sehe, wie viele Leute zur Gedenkstunde am Jahrestag der Reichspogromnacht hier in Würzburg gekommen sind. Vor wenigen Wochen haben wir Richtfest der Jüdischen Akademie gefeiert, die in Frankfurt entsteht. Das sind Lichtblicke.
Schuster: Es ist in Teilen gelungen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass mir schon 2014 klar war, dass das meist ein frommer Wunsch bleiben wird. Die Rolle des Mahners gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit nimmt – wie bei allen meinen Vorgängern – deutlich mehr Raum ein.
Schuster: Was ich überhaupt nicht vermisse, ist das Klingeln des Weckers früh um 6 Uhr. Jetzt klingelt er um 7.30 Uhr. Das ist schon ein Stück mehr an Lebensqualität – nach über 30 Jahren Praxis. Was die Medizin betrifft, habe ich mir ja ein bisschen Arbeit erhalten. Zwei- bis dreimal im Monat bin ich weiterhin als Notarzt beim Roten Kreuz tätig.
Ort zu machen über ein Problem, dass ja nicht erst seit dem letzten Raketenüberfall entstanden
ist, sondern eine lange lange Vorgeschichte hat. Illegale Landeinnahme, Vertreibung u.
Zerstörung. Missachtung von UN-Resolutionen. Allein zwischen 2015 und 2022 hat die
UN-Vollversammlung 140 (!) israelkritische Resolutionen verabschiedet, die beispielsweise
den Siedlungsbau in palästinensischen Gebieten oder die Annexion der Golanhöhen betreffen.
Eine Medaille hat immer 2 Seiten u. man sollte eher aufeinander zugehen als Mauern bauen.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/israel-un-verhaeltnis-100.html
https://www.dw.com/de/israel-und-die-un-ein-schwieriges-verh%C3%A4ltnis/a-68642332
https://de.wikipedia.org/wiki/Resolution_446_des_UN-Sicherheitsrates
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_UN-Resolutionen
Nein! Netanjahu ist ein Kriegsverbrecher, der in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch Legitimation genießt (v.a. auch in Deutschland nicht) und gegen den zurecht ein internationaler Haftbefehl vorliegt - der Vergleich ist also völlig absurd.