"I can't breathe", "Ich kann nicht atmen" - diesen Satz sagte der mit Handschellen gefesselte und wehrlos auf dem Boden liegende Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota, als er im Todeskampf einen auf seinem Nacken knienden weißen Polizisten anflehte, von ihm abzulassen. George Floyd starb, Massenproteste in den USA, auf der ganzen Welt von zehntausenden Menschen gegen Rassismus und für Menschenwürde sind im Moment die Folge.
"I can't breathe", "Ich kann nicht atmen" - dieser jetzt ikonisch für die Anti-Rassismus-Bewegung stehende Satz gilt genauso für die mehr als 10 000 Zwangsarbeiter, die im Zweiten Weltkrieg unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Schweinfurter Industrie eingesetzt wurden. Die Erinnerung an diese Menschen am Leben halten und die richtigen Lehren daraus zu ziehen, dieser Aufgabe hat sich unter anderem die Initiative gegen das Vergessen verschrieben, die mittlerweile seit 20 Jahren besteht.
„Junge Leute müssen wissen, was passiert ist, nur daraus können sie Schlüsse ziehen“, ist der Sprecher der Initiative, Klaus Hofmann, überzeugt. Sehen, nachdenken, die richtigen Schlüsse ziehen, das kann man auch in Corona-Zeiten sehr gut an der wahrscheinlich wichtigsten Errungenschaft der Initiative in den vergangenen Jahrzehnten, dem Ende September 2011 eingeweihten Gedenkort "Drei Linden" und dem rund 2,5 Kilometer langen Rundweg, dem so genannten "Lagerweg". Sieben Tafeln informieren über den Schrecken, der hier einst herrschte. Wo sich heute Gras im Wind wiegt und bei Sonnenschein das gemächlich dahinfließende Main-Wasser glitzert, standen einstmals die Barracken der Zwangsarbeiter in der Industrie.
Auf der Tafel vor dem vom Künstler herman de vries gestalteten Gedenkort steht ein Zitat von Leonardo Calossi, einst selbst Zwangsarbeiter bei Kugelfischer, das er bei einem Besuch in Schweinfurt vor 17 Jahren sagte. Es ist ein Zeugnis großer Kraft: "Man sagt, die Geschichte sei eine Lehrmeisterin. Nun, wenn sie tatsächlich Lehrerin für unsere Zukunft ist, machen wir die furchtbare Lektion, die sie uns in jenen Jahren des kollektiven Wahnsinns erteilt hat, zu unserem geistigen Besitz. Gehen wir guten Mutes und mit Verantwortungsbewusstsein, mit Achtung vor dem Menschen – vor einem jeden Menschen – mit Gerechtigkeitssinn und Liebe ans Werk und lassen wir die Begabung des Menschen erstrahlen, jenes denkenden Wesens, das zum moralisch und materiell Guten tendiert."
Auf der steinernen halbrunden Bank, umsäumt von drei Linden, steht der Spruch, der wie kein anderer das Leitmotiv der Initiative gegen das Vergesssen ist: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", Artikel eins des deutschen Grundgesetzes.
Klaus Hofmann und seine Mitstreiter Werner Enke und Johanna Bonenegel erinnern sich noch gut daran, wie viel Arbeit es war, bis der Gedenkort und der Weg möglich waren, bis sich auch die Schweinfurter Großindustrie zu Beginn des neuen Jahrtausends (!) endlich ihrer Verantwortung stellte in Bezug auf die Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg. Die Hartnäckigkeit der Initiative aber lohnte sich, am Ende gab es den Weg, die sieben Tafeln und den Gedenkort - außerdem hatten alle Bewerber um das Oberbürgermeisteramt im Wahlkampf 2010 ihre Unterstützung zugesagt, der heutige OB Sebastian Remelé (CSU) fand dann bei der Einweihung und dem Empfang, an dem auch ehemalige Zwangsarbeiter teilnahmen, angemessene Worte.
Forschen, Zusammentragen, Analysieren, Veröffentlichen - so könnte man die Arbeit der Initiative beschreiben, die schon zu Zeiten als DGB-Jugend in den 1980er Jahren genau hinschaute, was in Schweinfurt in Sachen Nationalsozialismus geschah. 1984 entstand das erste Buch "Nach dem Krieg war keiner Nazi", dem zwei Jahre später die zweite Auflage folgte und 1989 das Buch "Verschickt und verschollen" über das Schicksal der jüdischen Bevölkerung in der Wälzlagerstadt.
Schon in den 1980er Jahren begannen die Stadtführungen von Klaus Hofmann zum Thema Nationalsozialismus, bei denen auch noch viele Zeitzeugen dabei waren, "die erzählt haben, wie sie es damals erlebten", erinnert sich Hofmann. Damals gab es auch die ersten von der Initiative angestoßenen Diskussionen über die Rolle von Willy Sachs im Dritten Reich.
Dass der Stifter des 1936 eingeweihten Willy-Sachs-Stadions und Großindustrielle noch immer als Ehrenbürger der Stadt geführt wird, ist der Initiative nach wie vor ein Dorn im Auge aufgrund der vielfältigen Verflechtungen Sachs' mit führenden Nationalsozialisten, unter anderem SS-Chef Heinrich Himmler. Gerade mit dieser stringenden und mit zahlreichen Fakten untermauerten Position aber machte sich die Initiative nicht nur Freunde in Schweinfurt, spürte Widerstand aus der Bevölkerung und auch aus dem CSU-geführten Rathaus.
Bei der Erforschung des Schicksals der über 10 000 Zwangsarbeiter in Schweinfurt leistete die Initiative echte Pionierarbeit. Rund 6000 sind namentlich bekannt, mit einigen konnte man Anfang der 2000er bei mehreren Reisen in die Ukraine, Belgien, Frankreich und Italien auch persönlich sprechen, sich ihre Lebensgeschichte erzählen lassen und so auch herausfinden, wie die Verhältnisse für sie in Schweinfurt waren.
Im August 1944 waren es in ganz Deutschland 7,5 Millionen Menschen aus etwa 20 Ländern, in Schweinfurt annähernd 12 000, die als Zwangsarbeiter von den Nationalsozialisten verschleppt worden waren. Alle Schilderungen über die Entbehrungen in den Lagern und vor allem über den fürchterlichen Hunger glichen sich.
Dem Anspruch der Initiative, vor allem junge Menschen zum Nachdenken zu bewegen, am meisten gerecht wird wohl das Gedenken an die im März 1945 ermordete junge Zwangsarbeiterin Zofia Malczyk. Dafür engagieren sich seit 2007 die Schüler des Bayernkollegs, seither gibt es den Gedenkstein in der Gustav-Adolf-Straße, wo Malczyk ermordet wurde.
Seit sechs Jahren gibt es auch die maßgeblich von Johanna Bonengel, der früheren Schulleiterin des Bayernkollegs, gestalteten Geschichtswettbewerbe für Schulen, "ein Weg Kinder und Jugendliche mit einzubinden, sich mit ihrer Geschichte und der ihrer Familien auseinander zu setzen", so Bonengel.
Wünsche für die Zukunft von Seiten der Initiative? Ja, die gibt es: "Mehr Unterstützung auch in der Öffentlichkeit durch die Stadtpolitik", ist ein Punkt, der Klaus Hofmann am Herzen liegt. Und mehr Unterstützung für das Stadtarchiv, damit dort noch mehr in den Akten geforscht werden kann als ohnehin schon, "um die Gefahren der Antidemokraten zu bannen."