
Wieder einmal haben sich Helfer aus der Rhön auf die strapaziöse Tour Richtung Schweden gemacht. Ihr Ziel: Birkhühner zu fangen und sie in die Rhön zu bringen, wo sie ausgewildert werden. Im Land der offenen Fernen sollen sie sich vermehren und helfen, den bedrohten Bestand hier zu erhalten.
Wie ist der aktuelle Birkwildbestand in der Rhön?
Der Bestand des Birkwilds beschränkt sich weitgehend auf das Naturschutzgebiet Lange Rhön. Bei der jährlichen Zählung im Frühjahr registrierten 70 ehrenamtliche Helfer heuer acht Birkhähne und zwei Birkhennen, 54 sogenannte Begleitarten wie Raubwürger oder Bekassinen – und außerdem zwei Wölfe. Torsten Kirchner, Gebietsbetreuer für die Lange Rhön und Organisator der Zählung, hatte dieses Ergebnis erwartet, wobei er das Ergebnis bei den Hähnen für realistisch, das für die Hennen – wegen extrem schlechten Wetter – als nur bedingt aussagekräftig einstufte. Seine Einschätzung: Die Population hält sich auf niedrigstem Niveau einigermaßen stabil. Allerdings nur dank der schwedischen Zuzüge.
Was sind Gründe für den niedrigen Bestand an Birkwild in der Rhön?

Birkwild hat durchaus eine Funktion als Nahrung für verschiedene andere Tiere, deshalb ist ein Rückgang des Bestandes übers Jahr normal. Ein Problem für die Population in der Rhön besteht darin, dass zu wenig Nachwuchs diesen Rückgang ausgleicht. In den vergangenen Jahren haben wohl keine Jungtiere überlebt. Kirchner sieht dafür mehrere Gründe: Da ist zum einen das inzwischen oft extrem ungünstige Wetter, zum zweiten die große Zahl der Fressfeinde.
Als wichtiger Grund für das Nichtüberleben des Birkwild-Nachwuchses wird Nahrungsmangel angenommen. Aufgrund des Klimawandels sinkt die Zahl der verfügbaren Insekten –gerade auch zur Schlupfzeit. Aber genau da benötigen die Jungtiere Insekten als Nahrung. Und dann gibt es noch die Störungen durch Menschen, die sich nicht an die Regelungen im Schutzgebiet halten. Nicht nur während der Brutzeit, sondern inzwischen ganzjährig und das Tag und Nacht, beklagt Kirchner.
Warum werden Birkhühner aus Schweden in die Rhön gebracht?
Nach einem kleinen Aufschwung Anfang der 2000er-Jahre nahm der Birkwildbestand ab 2007 erneut dramatisch ab. Als ein Problem wurden damals genetische Verarmung und Inzucht aufgrund der zu geringen Anzahl der Tiere angenommen. Nachdem einige bürokratische Hürden überwunden waren, machten sich 2010 erstmals Freiwillige aus der Rhön nach Schweden auf, um von dort Birkhühner in die Rhön zu bringen. Mit den schwedischen Tieren sollte also nicht nur der Bestand des Birkwilds erhöht, sondern auch sein Genpool aufgefrischt werden.

Wie viele Tiere wurden inzwischen schon aus Schweden eingeführt?
Seit 2010 wurden – mit Unterbrechungen in den Corona-Jahren – 13 Fangaktionen aus der Rhön nach Schweden unternommen. Hier sind die Vögel so zahlreich, dass jährlich 30.000 bei der Jagd erlegt werden. Da scheint die Zahl von 264 der Wildvögel gering, die in die Rhön gebracht und hier ausgewildert wurden.
Wie wird das Projekt bewertet?
Auch wenn sich der Bestand des Birkwilds in der Rhön durch die Schwedischen Tiere nicht signifikant erhöht hat, gilt das Projekt als erfolgreich. Nicht zuletzt, weil in den Jahren zwischen 2013 und 2018 sowie 2021 auch Nachwuchs registriert wurde. Nach Einschätzung der Oberen Naturschutzbehörde bei der Regierung von Unterfranken ist es dadurch gelungen, "den Genpool in der Rhön aufzufrischen". Zudem sei das Aussterben der Birkhühner verhindert worden. Damit sei die Methode deutlich erfolgreicher als zum Beispiel das Auswildern gezüchteter Tiere.

Wie verlief die Fahrt nach Schweden heuer?
Diesmal machten sich elf Helfer aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Hessen und Bayern in vier Fahrzeugen zu diesem "Abenteuer der besonderen Art", wie es Kirchner bezeichnet, zu den 1700 Kilometer entfernten Fangplätzen nach Mittelschweden auf. Der Zeitpunkt war günstig, denn das Balzgeschehen dort war auf dem Höhepunkt. Allerdings waren die Bedingungen schwierig, da viele Wege wegen der Witterung nicht befahrbar waren. Das bedeutete anstrengende Fußmärsche. Letztlich war die Aktion aber doch erfolgreich. Das Fang-Kontingent wurde ausgeschöpft. Es gelang, neun Hähne und 14 Hennen zu fangen und in der Rhön auszuwildern.
Wie läuft so eine Fangaktion ab?
Die Helfer leben unter einfachsten Bedingungen, ohne Strom oder fließendes Wasser in einer Forsthütte. Nachts um 1 Uhr heißt es für sie Aufstehen, dann geht es mit Autos in Richtung der Fangplätze. Es folgt ein etwa eineinhalbstündiger, kräftezehrender Fußmarsch mit schwerem Gepäck. Am Fangplatz sind dann alle so durchgeschwitzt, dass sie sich umziehen müssen. Die Fangkörbe müssen "scharf gestellt", die Tarnzelte bis 3 Uhr bezogen werden. Dann beginnt die Balz.
Drei bis vier Stunden müssen die Fänger nun in der Kälte ausharren: Löst ein Huhn den Fangmechanismus aus und klappt der Fangkorb über ihm zu Boden? Hat das geklappt, werden am Ende die gefangenen Tiere eingesammelt und in Kisten den weiten Weg zu den Fahrzeugen zurückgetragen. Wieder am Quartier angekommen, werden sie transportfähig gemacht und die entsprechenden Papiere ausgefüllt. Es folgt eine eineinhalbstündige Fahrt zum Veterinär, dem die gefangenen Hühner bis spätestens zehn Uhr vorgestellt werden müssen. Um den Stress für die Tiere möglichst gering zu halten, startet dann ein Auto direkt in die Rhön. Die zurückgebliebenen Helfer bereiten die nächste Fangnacht vor.

Wer bezahlt die Schweden-Fahrt?
Die meisten der Teilnehmer, so sie keine Rentner sind, unternehmen die Schweden-Fahrt an Urlaubs- oder freien Tagen. Kosten für Treibstoff, Tierarzt oder Unterkunft werden weitgehend gesponsort oder aus Mitteln der Wildlandstiftung und des Birkwildhegerings bestritten. Für die Tiere muss nichts bezahlt werden. Auch wenn manche Kosten, zum Beispiel für die Nutzung von Dienstfahrzeugen nicht trennscharf zu ermitteln sind, geht Torsten Kirchner von einer höchstens dreistelligen Summe an öffentlichen Mitteln aus, die für die Fahrt anfallen.
Warum werden weiterhin Tiere in die Rhön gebracht, wenn der Bestand hier nicht zunimmt?
Ein Birkwild-Vorkommen belegt die hohe naturschutzfachliche Wertigkeit des Lebensraumes. Dies wiederum rechtfertigt die Förderung von Maßnahmen für den Schutz und Erhalt dieses Lebensraums. Neben der Auffrischung des Gen-Pools geht es bei "Translokation" daher um den Erhalt eines Birkwild-Vorkommens in der Rhön überhaupt. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Population sich mittelfristig wieder erholen kann. Das Birkhuhn sei ein wichtiges Schutzgut des Europäischen Vogelschutzgebiets "Bayerische Hohe Rhön", heißt es dazu vonseiten der höheren Naturschutzbehörde. Es bestehe daher eine rechtliche Verpflichtung zum Erhalt beziehungsweise zur Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes. Neben den Auswilderungen sei vor allem eine weitere Verbesserung des Lebensraums der Birkhühner unabdingbar.
Gibt es Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation?
Dafür, dass sich die Überlebensbedingungen für das Birkwild in der Rhön verbessern, sieht der Gebietsbetreuer einige Hoffnungsschimmer. Zum einen habe die Bejagung der Fressfeinde wie Waschbären, Fuchs und Wildschweinen in jüngerer Zeit einige Fortschritte gemacht. Auch würden immer mehr Wiesen in der oberen Rhön Insekten schonend gemäht. Und nicht zuletzt hofft Kirchner darauf, dass die dauernden Störungen durch Touristen, die sich nicht an die Regeln halten, durch eine Modernisierung des Besucherlenkungskonzepts eingedämmt werden können.

Wird es in den kommenden Jahren weitere Schweden-Fahrten geben?
Das ist unsicher. Die aktuelle Genehmigung ist jetzt abgelaufen. Ob eine neue bei den schwedischen Behörden beantragt wird, entscheidet die Obere Naturschutzbehörde. In den nächsten Monaten sollen die Erfahrungen und Ergebnisse der Auswilderungen einer eingehenden Bewertung unterzogen werden, heißt es von ihrer Seite. Dazu finde auch ein Austausch mit anderen internationalen Projekten in den Niederlanden und Belgien statt. "Erst nach Vorliegen dieser Projektbewertung kann über das weitere Vorgehen bzw. einen weiteren Fangantrag entschieden werden. Letztlich entscheiden die schwedischen Naturschutzbehörden auf der Basis unserer Projektbewertung und anhand eigener Kriterien, ob weitere Fanggenehmigungen erteilt werden."