Den Platz kennt er schon lange. Zwischen Hexenhaus und Hochrhönstraße hat Edgar Hetterich ein weites Blickfeld über die Elsquellen Richtung Ilmenberg. Seit Jahren hält er hier am jeweils letzten Samstag im April Ausschau nach Birkwild. Einen balzenden Birkhahn oder eine Henne hat der Hobby-Ornithologe aus Werneck bei der alljährlichen Frühjahrszählung der Raufußhühner an dieser Stelle allerdings noch nicht gesehen. Und auch heuer war es wieder nichts.
Dennoch, unzufrieden ist der passionierte Vogelschützer nicht, als er sein Spektiv gegen 8 Uhr am Morgen wieder abbaut. Im Gegenteil. "Es war wieder ein schönes Abenteuer", lautet sein Resümee. Zum wievielten Mal er das schon erlebt hat, kann er gar nicht genau sagen. Mehr als 30 Jahre seien es in jedem Fall, dass er zur Zählung komme.
Mehr als 70 Zählstellen
Begonnen hat das "Abenteuer" auch diesmal wieder am Freitagabend. Da werden unten in Oberelsbach die rund 70 Zählplätze vergeben. Seinen kennt Edgar Hetterich ja schon. Dann geht's hoch zum Parkplatz an der Schornhecke. "Wenigstens einige Stunden schlafen", deutet er auf einen Schlafsack im Heck seines Kombis. Gegen 3 Uhr ist dann die Nacht um. Helene Günzel vom Kreisverband Schweinfurt des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), dessen Kassier Hetterich ist, hat auch heuer wieder Kaffee und Kuchen vorbereitet, damit die Zähler gestärkt und aufgewärmt gegen 4 Uhr ihre Plätze einnehmen können.
Jetzt hängt viel vom Wetter ab, und da hat es der Wettergott heuer mit den Vogelfreunden gut gemeint. Während im Tal Nebel und Nieselregen einen miesen Tag ankündigen, erleben die Birkwildzähler oben auf der Langen Rhön einen traumhaften Sonnenaufgang bei fast wolkenlosem blauem Himmel. Und, fast noch wichtiger, bei guten Sichtverhältnissen. Und hier geht dem Vogelfreund offensichtlich das Herz auf. Schließlich ist die Lange Rhön nicht nur Lebensraum für das Birkwild, sondern auch für viele andere seltene, teils vom Aussterben bedrohte Vogelarten. Mehr als 15 verschiedene hat Hetterich heuer registriert. Bekassine, Wiesenpieper, Wendehals oder Dorngrasmücke sind nur einige von ihnen. Das entschädigt offensichtlich leicht dafür, dass wieder kein Birkhahn dabei war.
Gemeinsames Abschluss-Frühstück
Damit ist der Hobby-Ornithologe, der schon als Jugendlicher den Lohn aus seinem Ferienjob in der Gochsheimer Gurkenfabrik (230 Mark) für sein erstes Fernglas ausgab, und sich heute vor allem für den Schutz von Ortolan oder Wiesenweihe im Schweinfurter Raum engagiert, nicht alleine. Das wird beim traditionellen Abschluss der Birkwildzählung, einem gemeinsamen Frühstück der rund 130 Zähler, die wieder aus ganz Deutschland angereist sind, deutlich. Bei frischen Brötchen und Bergen von Rührei werden da in der Sennhütte im großen Kreis die Erfahrungen ausgetauscht.
So hat zum Beispiel auch Sandro Kirchner keinen Birkhahn balzen sehen. Der Landtagsabgeordnete, der zum vierten Mal dabei ist, schwärmt aber ebenso von dem Naturerlebnis und dem herrlichen Sonnenaufgang wie Bärbel Ludwig von der Bergwacht oder Klaus Spitzl. Der diesmal ebenfalls "erfolglose" Naturpark-Geschäftsführer ist allerdings schon seit 1992 immer bei der Zählung dabei, weil es für ihn "Ehrensache" ist, wie er betont. "Man kann in 20 Jahren nicht immer Glück haben", lautet die Bilanz von Förster Joachim Urban. Aber er hat an diesem Morgen immerhin 21 Vogelarten beobachtet.
Mehr "Glück" hatte da Wolfram Brauneis, der seit zehn Jahren aus Eschwege in die Rhön kommt, um bei der Zählung dabei zu sein. Schon am Vorabend, als er seinen Zählplatz am Ilmenberg erkundete, konnte er ein Birkhuhn beobachten. Bei der eigentlichen Zählung waren es dann zwei Hähne, von denen er begeistert berichtet. Michael Dormann hat nicht nur drei Birkhähne beobachtet, sondern auch seine bislang wärmste Zählung erlebt. Vor zwei Jahren, so der Oberelsbacher Fachbetreuer für Umweltbildung, habe noch im Schnee gelegen. Vom "Klassiker", wie er es nennt, berichtet Thomas Stahl: Den ganzen Morgen war am Zählplatz des Bambergers vom Birkwild keine Spur gewesen, auf dem Heimweg hätten sich dann neben seinem Auto ein Hahn und drei Hennen niedergelassen.
Seit mehr als 40 Jahren dabei
Mit dabei war mit Lothar Herzig auch heuer wieder ein Urgestein des Natur- und Vogelschutzes, vor allem in der hessischen Rhön. Sei 1976 beobachtet er - anfangs noch privat - den Bestand des Rhöner Birkwilds: "Damals waren es noch weit mehr als hundert." Mit großer Sorge sieht er die nun überall zurückgehenden Zahlen bei den verschiedensten Vogelarten und führt dabei aktuell den Kiebitz an. Nur noch in der Langen Rhön fänden sich nennenswerte Bestände verschiedener Arten, verweist er auf die enorme Bedeutung dieses Naturschutzgebietes.
Ob er sich wie Lothar Herzig weit über 40 Jahre für die Rhöner Vogelwelt engagieren wird, ist nicht klar. Nils aus Schöllkrippen könnte es aber schaffen. Zwar ist der junge Mann aus Schöllkrippen im Spessart diesmal "erst" zum vierten Mal dabei. Aber er ist auch erst zwölf Jahre alt. Und der wohl jüngste Zähler hat gemeinsam mit seinem Vater immerhin drei Hennen und einen Hahn beobachtet, wie er stolz berichtet.
Drohne abgestürzt
Während gut gelaunte Zähler den Morgen beim Frühstück und Erfahrungsaustausch ausklingen lassen, hat Florian Guthknecht richtig Stress. Der renommierte Naturfilmer ist dieser Tage mit dem Wildland-Schutzgebietsbetreuer für die Lange Rhön, Torsten Kirchner, und einem Filmteam in der Rhön unterwegs. Im Auftrag des Bayerischen Fernsehens und von Arte produziert er eine umfangreiche Dokumentation über das Rhöner Birkwild, die Bemühungen zu seinem Schutz und zur Rettung des Bestands. Da dürfen Aufnahmen der von Kirchner seit Jahren organisierten Zählung natürlich nicht fehlen. Allerdings stürzte während der Dreharbeiten am Samstagmorgen eine mit hochwertiger Kameratechnik ausgestattete Drohne am Ilmenberg ab. Nun muss schnellstens Ersatz beschafft werden. Denn direkt nach der Zählung und der Auswertung werden nicht nur Torsten Kirchner und weitere Ehrenamtliche noch am Mittag nach Mittelschweden aufbrechen. Auch das Filmteam will sie begleiten, wenn dort wieder schwedische Birkhühner gefangen und später in der Rhön ausgewildert werden.
Trotz des Unfalls hat Guthknecht einen höchst positiven Eindruck von der Rhön und den Menschen hier gewonnen. Der Zusammenhalt vieler Rhöner, ihr Elan und ihr Engagement bei der Rettung des Birkwilds haben ihn regelrecht begeistert. Für den Filmemacher hat der Satz eines seiner Interviewpartner das Thema auf den Punkt gebracht: "Stirbt das Birkhuhn aus, stirbt ein wichtiges Stück Heimat."