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Oberelsbach
Nachtwache bei den Schafen: Wie ehrenamtliche Wolfsschützer Rhöner Herden vor Wolfsangriffen schützen
Freiwillige von Wikiwolves wollen Weidetierhalter entlasten. Jede Nacht sind sie bei der Herde von Frank Scharbert. Wie der die Aktion und die Aktivisten sieht.
Schafhalter Frank Scharbert (links) spricht sich mit Wikiwolves-Helfer Mike ab, der in der Nacht seine Herde bewachen wird.
Foto: Thomas Pfeuffer | Schafhalter Frank Scharbert (links) spricht sich mit Wikiwolves-Helfer Mike ab, der in der Nacht seine Herde bewachen wird.
Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 19.07.2024 02:40 Uhr

Vor einer Woche war Frank Scharbert wütend und frustriert. Es war offensichtlich ein Wolf, der seine Schafherde in der Hochrhön angegriffen und zwei Tiere getötet hatte. Doch nicht nur, dass ihn das Geschehen emotional enorm belastete, er hatte auch ein Problem. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wolf nach der erfolgreichen Attacke sein Glück wieder bei der Herde versuchen würde, war hoch. Wie sollte er seine Tiere schützen?

Dass er dafür in der Nacht bei der Herde bleiben musste, war ihm klar. Also wurde die Christbaumbeleuchtung der Familie am Weidezaun befestigt, eine Lampe angeschaltet, ein Radio lief und Frank Scharbert verbrachte die meiste Zeit vor Ort. Das war erfolgreich. Der Wolf ließ sich nicht sehen in dieser Nacht. Aber wie sollte es weitergehen? Auf Dauer war diese Methode nicht durchzustehen. 

Hilfe von einer Seite, mit der der Schäfer eigentlich nichts zu tun haben wollte

Da kam Hilfe von einer Seite, von der es Scharbert nie erwartet hätte und mit der er eigentlich auch nichts zu tun haben wollte. Wolfsschützer meldeten sich. Und die boten ihm an, seine Herde in den kommenden Nächten zu bewachen. Er nahm an und seither reisen Freiwillige der Organisation Wikiwolves an und bewachen die Herde.

Zwei offensichtlich vom Wolf gerissene Schafe fand Frank Scharbert in der vergangenen Woche auf seiner Weide auf der Hochrhön.
Foto: Thomas Pfeuffer | Zwei offensichtlich vom Wolf gerissene Schafe fand Frank Scharbert in der vergangenen Woche auf seiner Weide auf der Hochrhön.

Wikiwolves sieht sich als Plattform für Wolfsfreunde, die Tierhalter bei Bedarf beim Herdenschutz unterstützen. "Was uns vereint ist eine prinzipiell positive Einstellung zur Rückkehr des Wolfs nach Mitteleuropa, und der ganz pragmatische Wunsch, hierdurch betroffenen Tierhaltern Hilfe zu leisten", heißt es dazu von der Organisation.

Die Freiwilligen von Wikiwolves, die seither die Herde von Scharbert bewachen, kommen aus Darmstadt oder Bayreuth, Paderborn oder Forchheim, sind Studenten, Angestellte oder Rentner. Sie treffen am Abend ein und bleiben eine Nacht bei der Herde. Nur am Freitagabend verzögerte sich ihr Einsatz. Bevor sie auf die Weide kamen, wollten sie unbedingt das Spiel der Deutschen Nationalmannschaft sehen. Wie lange die Helfer noch kommen, ist unklar. Klar ist, die Nachtwachen von Wikiwolves können nur eine Übergangslösung sein.

Wenn sich der Wolf nähert, sofort beim Schäfer anrufen 

Am Montagnachmittag fährt Mike - seinen Nachnamen will er nicht öffentlich nennen - nach der Arbeit zweieinhalb Stunden aus Wüstenrot in die Rhön. Er will die Nacht bei der Herde verbringen und am frühen Morgen wieder zurück ins Württembergische. Ab 10 Uhr hat er dort wieder berufliche Termine.

"Schön, dass du da bist", begrüßt ihn Frank Scharbert an der Weide, auf der die Schafe friedlich grasen. "Schön, dass ich da sein darf", dankt Mike, und schnell sind die beiden im Gespräch. Es geht um die Abstellmöglichkeit für Mikes Auto oder Details am Herdenschutzzaun.

Dann die Frage, was zu tun ist, wenn die Anwesenheit des Menschen nicht abschreckend genug ist und sich tatsächlich ein Wolf der Herde nähert. "Dann rufst du mich sofort an, egal welche Zeit!", lautet die klare Ansage von Scharbert. Dass er dann Licht machen und möglichst laut sein soll, ist für den 58-jährigen Freiwilligen, der sich seit drei Jahren bei Wikiwolves engagiert, selbstverständlich. Angst vor dem Wolf hat er nicht: "Ich hab einen Wanderstock, eine Taschenlampe und viel Selbstbewusstsein", sagt er.

Möglicherweise schon einen Angriff verhindert

Dass ein solcher Ernstfall eintreten kann, haben Kollegen von Mike erlebt, die wenige Nächte vor ihm in der Rhön wachten. Gegen 0.30 Uhr hat sich wohl ein Wolf der Herde genähert. Die Anwesenheit von lärmenden Menschen hat ihn vermutlich von einem Angriff abgehalten. Aber die Schafe waren völlig panisch, zwei brachen durch den Zaun. Kaum im Bett, musste Scharbert deshalb wieder hoch zur Herde.

Ein korrekt aufgestellter Zaun ist Voraussetzung für den Schutz der Tiere und für Entschädigungen für den Tierhalter nach einem Wolfsangriff. 
Foto: Thomas Pfeuffer | Ein korrekt aufgestellter Zaun ist Voraussetzung für den Schutz der Tiere und für Entschädigungen für den Tierhalter nach einem Wolfsangriff. 

Es dauert nicht lange und die Diskussion zwischen Wolfsschützer und Schafhalter wird intensiver. Schließlich prallen hier zwei Welten aufeinander. Der Schafhalter mit seiner klaren Forderung, die Wölfe zu dezimieren, und der Mann von Wikiwolves mit einer ebenso klaren Überzeugung, dass es schön ist, dass "die faszinierenden Tiere" wieder da sind und ein Nebeneinander von Weidewirtschaft und Wolf möglich ist. Und genau dazu will er mit seinem Engagement einen Beitrag leisten.

Es gibt aber auch Übereinstimmungen. Mike, selbst Tierhalter, kann sehr gut nachvollziehen, wie es dem Schäfer nach der Attacke auf seine Herde ging. Man ist sich einig, dass ein "schadenstiftender Wolf", der gelernt hat, die Schutzzäune zu überwinden, getötet werden darf. Einig sind sich beide auch, dass Halter, die ihre Weidetiere schlampig oder gar nicht schützen, den Wolf erst "auf den Geschmack bringen" und das Dilemma verursachen, das die anderen Tierhalter nun ausbaden müssen. Aber die grundsätzliche Meinungsverschiedenheit bleibt. 

Ein Frühstück mit frischem Kaffee für jeden Helfer

Auch bei einem Punkt ist Frank Scharbert unnachgiebig. Zwar hat Mike alles, was er braucht, dabei, sagt er. Aber ein Frühstück mit frischem Kaffee von der Familie Scharbert ist für jeden Helfer ein Muss. Und dass die Freiwilligen nicht nur Vegetarier sind, wie in Scharberts Umfeld gewitzelt wurde, sondern die Wurst des gelernten Metzgers durchaus zu schätzen wissen, hat Scharbert in den vergangenen Tagen auch erfahren.

Friedlich grasen die Schafe von Frank Scharbert am Abend auf ihrer Weide. In der Nacht werden sie von Freiwilligen der Plattform Wikiwolves bewacht. 
Foto: Thomas Pfeuffer | Friedlich grasen die Schafe von Frank Scharbert am Abend auf ihrer Weide. In der Nacht werden sie von Freiwilligen der Plattform Wikiwolves bewacht. 

Überhaupt seien die Wolfsfreunde "oft schlechter geredet worden, als sie wirklich sind", so sein Fazit. Gleichzeitig hätten sie in der Rhön erfahren, wie die Realität für die Schäfer ist. Trotzdem hält Scharbert an seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber Wolfsschützern fest. Deshalb "will ich sie gar nicht zu arg loben, aber uns ist sehr geholfen", zeigt er sich durchaus dankbar.

Am Morgen nach der durchwachten Nacht macht sich Mike "ein bisschen müde" auf die Rückfahrt. Es ist ruhig geblieben. Einmal sei die Herde unruhig geworden, berichtet er. Ursache sei wohl ein Reh gewesen. Dann hätten in der Ferne Herdenschutzhunde angeschlagen, was ein Hinweis auf einen durchziehenden Wolf gewesen sein könnte. Ansonsten habe er eine herrliche Sommernacht erlebt und den Sternenhimmel bei einem kalten Bier genossen: "Das war fast schon Urlaub!"

 
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  • Hans Schlunk
    Ich finde gut das gerade die wolfsfreunde die Schafe bewachen vor den wolf.
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  • Hans Schlunk
    Ich finde es gut wenn die Schafe auch von den Menschen bewacht werden aber ich finde Panik zu machen muss man nicht machen
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  • Andreas Gerner
    Zu der Uneinigkeit bzg. der Frage: "Bestand regulieren oder nicht?)

    Dass es ausreicht, nur die Problemwölfe zu erlegen und die übrige Population weiter unreguliert exponentiell ansteigen zu lassen , ist ein Irrglaube.

    https://de.statista.com/infografik/20177/anzahl-der-woelfe-in-deutschland/

    Die wachsende Population liefert dann in logischer Folge einen wachsenden Nachschub an Problemtieren.
    Zudem kommen Faktoren hinzu, dass bei höherer Wolfsdichte das Nahrungsangebot (Rehwild...) dezimiert wird. Der Wolf wird hungriger sein und vermehrt tun, was er nicht soll: sich den Menschen bzw. Siedlungen nähern (Mülltonnen ausräubern wie in Teilen Kanadas) oder eben Weidetiere reißen.

    Zäune oder Hunde bzw andere Vergrämung etc schützen nur in der Statistik. Da der Wolf seine Beutezüge erst mal nur verlagert, solange es ja ungeschützte Weiden gibt.
    Gibt es diese nicht mehr, kommt er um Aufwand und Risiko nicht herum und überwindet alles, was man noch mit vertretbarem Aufwand bauen kann.
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  • Andreas Gerner
    Ergänzung:

    Außerdem:
    Und je höher die Wolfsdichte und Nähe zu Siedlungen, desto häufiger kommt es zu Verpaarungen mit Hunden, also den tendenziell blutrünstigeren Hybriden.

    Heißt zum einen: mehr Risse.
    Zum anderen: Ein Problem für den Wolf.

    Hybridisierung ist nämlich die mit Abstand größte Gefahr für die Art Wolf (präziser: Europäischer Grauwolf).
    Die original DNA des Wolfs verschwindet allmählich, wenn Hunde-DNA eingebracht und (Nachkommen wandern schließlich) in der gesamten Population umverteilt werden.

    https://www.lifewolfalps.eu/de/hybride-sind-eine-bedrohung-fuer-die-wolfspopulation/

    Würde es den Wolfsschützern wirklich und ernsthaft um Artenschutz gehen, müssten sie also FÜR die Regulierung sein.

    Schweden (EU!) reguliert per Quote. Das bewährt sich.
    Deutschland reguliert nicht. Was massive Probleme und Gefahren bereitet. Im rasant steigenden Ausmaß.

    Warum übernimmt man nicht einfach etwas Bewährtes ?

    Ein Bruchteil des Bestandes würde den Arterhalt sichern.
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  • Hans Schlunk
    Ich finde gut das jetzt wache gehalten wird bei den Schafen und Ziegen in der rhön man sollte aber nicht gleich wiederanfangen mit welcher wolf soll geschossen werden, zu erst sollte natürlich in Herbst die problem Wölfin weg und dann sieht man weiter. Weil diskutieren bringt nichts weil die Wolfs Schützer gewinnen trotzdem wenn ihr den Artikel gelesen habt von Österreich dann kennt ihr die Zukunft.
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  • Andreas Gerner
    In Schweden sah es auch erst so aus, als könne nicht reguliert werden. Die Umweltparteien kamen ständig mit dem Mantra der "EU-Vorschriften".

    Dann setzten sich die Pragmatiker durch und hatten die Wählerschaft hinter sich.

    Resultat:

    Es wurde ein Konzept entwickelt, das allen Seiten gerecht wird. So wird jeder Problemwolf direkt entnommen. Darüber hinaus wird jedes Jahr der Gesamtbestand gezählt. Alles was über 450 Tiere in ganz Schweden geht, wird für die Arterhaltung nicht benötigt und ist fortan die Saisonquote. Wo es viele Wölfe "in Schlagdistanz" zu Siedlungen gibt, wird also so lange gejagt, bis die Quote erfüllt ist. So bleibt der Bestand stabil, gesund, scheu. Die Koexistenz und Akzeptanz läuft.

    Das müsste man nur übernehmen.
    Umgerechnet auf Deutschland (30% kleiner und 9x so viel Menschen; weniger Wald) sollten landesweit 300 Tiere dicke ausreichen.

    Jedoch sind es jetzt schon ein Vielfaches davon (~2000). Und bis endlich Vernunft in die Politik einkehrt, noch mal mehr.
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  • Andreas Gerner
    Im Herbst?

    Also wenn die Wölfin die Jagdmethode an die Welpen und womöglich weitere Rudelmitglieder (es ist ja noch nicht bekannt, welcher Wolf von woher aus welchem Rudel oder Einzeltier es war) weitergelehrt hat ?

    Mit Abwarten wird das Problem nicht gelöst, sondern evtl potenziert.
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  • Hans Schlunk
    Ich finde das gut das jetzt wache gehalten wird bei den Schafen und wenn man im Herbst die problem Wölfin erweckt wäre das auch in ordnung aber dann sollte man auch ruhe geben und nicht weiter machen weil es sowieso nichts bringt wenn ihr den artikel von EU Urteil von Österreich kennt dann wisst ihr auch wie es auch bei uns weiter geht in Niedersachsen will man ja die problem wölfe abschießen aber das Gericht entscheidet dauernd anders.
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  • Andreas Gerner
    Quellenangaben fehlen. Bitte belegen Sie Ihre Aussagen mit entsprechenden Links und fügen Sie diese in einen neuen Kommentar ein.
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