
24 Stunden Bereitschaft. Circa 350 Notrufe im Jahr. Etwa 60 Prozent davon führen an ein Sterbebett. Diese drei Zahlen spiegeln einen Teil des Alltags eines Klinikseelsorgers wider. Rund 30 Jahre lang gehörten sie zum Alltag von Pfarrer Harald Richter. Am Sonntag, 15. September, wird er nun im Rhön-Klinikum in Bad Neustadt in den Ruhestand verabschiedet.
Trotz seiner nicht immer einfachen Aufgabe werde er seinen Beruf vermissen, sagt er. Vor allem die Begegnungen mit den Menschen und Gespräche mit den Patientinnen und Patienten. Von diesen habe er in all den Jahren viel gelernt, insbesondere wie sie so manches Schicksal tragen. Sei es eine schwere Erkrankung oder auch eine gerade erhaltene schlechte Diagnose.
Der Lebensgarten des Seelsorgers und der des Patienten
Pfarrer Richter begreift Klinikseelsorge als ein Geben und Nehmen. Gerne beschreibt der 65-jährige Sälzer diese mit dem Bild zweier Menschen an einem Gartenzaun. Auf der einen Seite ist der Lebensgarten des Seelsorgers und auf der anderen der des Patienten. Der Patient lädt den Seelsorger ein, durch seinen Garten zu gehen, und dieser geht dorthin, wo er hingeführt wird. Das kann ein schöner Apfelbaum, aber auch ein stacheliger Dornenbusch sein. "Es geht nicht darum, dass ich von meinem Garten erzähle, sondern, dass ich mir den des Patienten anschaue", führt Harald Richter aus. Oft seien es die Erkrankten selbst, die den Schlüssel dafür geben, wie ein Gespräch abläuft.
Wie sehen diese Begegnungen aus? Schwer kranke Menschen würden vor allem Sicherheit benötigen, sagt der evangelische Seelsorger. Sie würden jemanden brauchen, der ihnen sagt: "Ich kenne mich aus. Ich bin jetzt für Dich da. Ich helfe Dir und gemeinsam schaffen wir es." Diese Sicherheit würden neben dem individuellen Dialog vertraute Rituale, wie Gebete oder Psalmen vermitteln. Aber auch Lieder. "Musik kann Dinge anrühren, die ich mit Worten nicht erreiche."
Aufenthalte in Papua-Neuguinea und in den USA
Harald Richter wurde 1958 in Nürnberg geboren. Er studierte in Erlangen evangelische Theologie. Ein Studienjahr absolvierte er am Missions- und Diasporaseminar in Papua-Neuguinea. "Das war für mich eine sehr wichtige Zeit. Sie öffnete den Blick für die Welt und dafür, wie unterschiedlich Glauben gelebt wird", meint Richter dazu.
Seine erste Station als Vikar war Augsburg, wo er zusammen mit seiner Frau – ebenfalls Pfarrerin – tätig war. "In dieser Zeit wurde mir verstärkt bewusst, dass mich Krankenhäuser, insbesondere Intensivstationen, verunsichern. Ich traute mich da nicht heran", schildert der 65-Jährige seine damalige Gemütslage. Ihm sei klar gewesen, dass er sich den Ängsten stellen müsse.
So bewarben sich er und seine Frau für eine Klinikseelsorge-Ausbildung in Houston in den USA. "Das war eine sehr fordernde Ausbildung", blickt Richter zurück. Zwei Jahre lang war er in einem Unfallkrankenhaus, in einem Traumazentrum, tätig und wurde dort mit schweren Verkehrsunfällen oder auch Gewaltverbrechen konfrontiert.
Tätigkeit am Predigerseminar in Nürnberg
Schließlich kam aus seiner Heimatstadt Nürnberg die Anfrage, ob er am dortigen Predigerseminar die Ausbildung für junge Vikare in der Klinikseelsorge übernehmen möchte. Somit ging es zurück nach Deutschland. Sieben Jahre lang hatte er diese Stelle inne, dann verlockte es ihn nach einer Veränderung. Und so kam er zur Kur- und Klinikseelsorge am Rhön-Klinikum in Bad Neustadt. Das war 1997. Was einst als "Selbsttherapie" begann, wurde letztendlich zu einer fast 30-jährigen Tätigkeit in der Krankenhausseelsorge.
"Ich habe es nie bereut. Das war mein Ort", betont Pfarrer Richter. Die Klinikseelsorge sei eine sehr erfüllende Aufgabe. Die Arbeit sei stets spannend gewesen, mit immer neuen Schwerpunktsetzungen. Hauptsächlich war er in der Kardiologie tätig, aber auch in der Psychosomatik und in der Reha. Die Kontakte zu Patienten, Angehörigen und Kollegen seien sehr abwechslungsreich und der Blick auf die existenziellen Fragen des Lebens sei herausfordernd. Gefallen habe ihm auch die ökumenische Besetzung der Klinikseelsorge. "Wir haben hier eine sehr gute Zusammenarbeit und profitieren voneinander."

Gab es besonders bewegende Momente in den vergangenen 27 Jahren? "Es gibt Patienten, die in außergewöhnlicher Weise ans Herz wachsen und die man nicht vergisst. Wo etwas ganz Dichtes entstanden ist und was einen lange begleitet", antwortet darauf Pfarrer Richter.
Das Kirchenkabarett "Das weißblaue Beffchen"
Einen Ausgleich zu seiner Arbeit, die viel mit Krankheit und Tod zu tun hat, hat Harald Richter unter anderem in dem Kirchenkabarett "Das weißblaue Beffchen" gefunden. "Ich lache gerne", sagt er. Viele Jahre hat er selbst auf der Bühne gestanden. Heute schreibt er noch Texte und kümmert sich um Organisatorisches.
Ein weiteres Hobby von ihm ist die Astronomie. "Wenn ich an den Teleskopen schraube, vergesse ich alles. Das ist sehr heilsam." Und natürlich habe ihm auch immer die Familie geholfen. Harald Richter hat zwei Töchter und ein Enkelkind. Insgesamt sei es wichtig, nicht komplett im Beruf aufzugehen.
Zwei überregionale Posten hatte Harald Richter inne: Er war Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für evangelische Krankenhausseelsorge Bayern und stellvertretender Vorsitzender der Konferenz für Krankenhausseelsorge in der evangelischen Kirche in Deutschland. Beide Ämter haben ihm großen Spaß gemacht. "Es war interessant, einen Blick über die Grenzen Bad Neustadts und Bayerns hinauszuwerfen."
Wie sehen die Pläne für den Ruhestand aus? Harald Richter hat eine Ausbildung in Supervision. Hier will er auch weiter aktiv bleiben und Menschen helfen, ihr berufliches oder ehrenamtliches Handeln zu reflektieren. "Und wer weiß, was sich sonst noch anbietet." Es könne durchaus etwas Neues wachsen. "Es ist vieles möglich, aber was, weiß ich noch nicht."