
Deutschland mangelt es an ärztlichem Nachwuchs. Gerade in ländlichen Regionen wird es laut Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) immer schwieriger, bei Praxisaufgaben eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu finden. Eine Entwicklung, die auch im Landkreis Main-Spessart deutlich zu spüren ist.
Bereits im vergangenen Jahr hatte diese Redaktion über die angespannte Lage der frauenärztlichen Versorgung in der Region berichtet. Nach zwei Praxisschließungen in Lohr fühlten sich die verbliebenen Praxen in der Region von den neuen Patientinnen und Patienten zum Teil regelrecht überrannt. "Uns hat ein Tsunami getroffen", beschrieb der Lohrer Frauenarzt Theoklitos Konstantinidis die Situation damals im Gespräch mit dieser Redaktion.
Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Lage in den Frauenarzt-Praxen im Landkreis noch einmal verschärft. Was bedeutet das für die Versorgungssituation in Main-Spessart? Was hat sich in den Praxen getan? Droht der Region nun die Unterversorgung?
Nochmal weniger Ärztinnen und Ärzte und längere Wartezeiten
Bis 2021 war der Landkreis Main-Spessart mit Frauenärztinnen und -ärzten offiziell überversorgt und damit für neue Niederlassungen gesperrt. Laut KVB lag der Versorgungsgrad bei 119 Prozent. Das hat sich mittlerweile geändert. Mit der Schließung der Praxen von Dunja Reitz und Angela Weismantel in Lohr sank der Versorgungsgrad deutlich auf rund 109 Prozent und damit unter den Schwellenwert von 110 Prozent, sodass neue Niederlassungen wieder möglich wurden. Aktuell sei für die Region somit wieder ein halber frauenärztlicher Sitz verfügbar, teilt die KVB auf Nachfrage mit.
Doch seit der letzten Berechnung der KVB Anfang des Jahres ist die Zahl der niedergelassenen Frauenärztinnen und -ärzte in der Region erneut gesunken. Die Gynäkologin Inga Frauenschuh hat ihre Gemeinschaftspraxis in Karlstadt verlassen. Eine Nachfolge sei aber auch hier nicht in Sicht, sagt Frauenärztin Susanne Franke, die die Praxis nun alleine betreibt. Der bürokratische Aufwand sei einfach zu hoch. "Wir haben jetzt erst einmal damit zu tun, die Patienten meiner Kollegin unterzubringen", sagt sie, "damit haben wir schwer zu kämpfen." Neue Patientinnen und Patienten könne sie deshalb aktuell nur bedingt aufnehmen, etwa bei Notfällen, im Falle einer Krebserkrankung oder einer Schwangerschaft.
Versorgungsgrad in Main-Spessart sinkt voraussichtlich auf unter 1o0 Prozent
Damit sei die Zahl der praktizierenden Frauenärzte und -ärztinnen im Landkreis laut KVB auf neun gesunken. Der Versorgungsgrad werde nun voraussichtlich auf unter 100 Prozent fallen. Dennoch sieht die KVB die Region Main-Spessart gemäß den gesetzlichen Vorgaben "in der Frauenheilkunde momentan weder als unterversorgt noch als überversorgt an", teilt die Vereinigung auf Nachfrage mit. Man verweist jedoch darauf, "dass die von den Menschen vor Ort empfundene Versorgungssituation von den Bundesvorgaben durchaus abweichen kann".
Eine Einschätzung, für die der Lohrer Frauenarzt Theoklitos Konstantinidis wenig Verständnis aufbringen kann. "Vielleicht ist das noch keine Unterversorgung aber es wird ja nicht besser", sagt er. Seiner Meinung nach fehlt es den Bedarfsberechnungen an Weitsicht. "Wenn ich sehe, dass hier schon drei Gynäkologen im Rentenalter sind, macht das keine große Hoffnung", sagt er, "im ländlichen Bereich Nachfolger zu finden, ist extrem schwierig. Wir leben in unbestimmten Zeiten."
Im vergangenen Jahr hatte Konstantinidis noch gehofft, bis Jahresende viele Probleme lösen zu können. Jetzt fällt seine Einschätzung ernüchternder aus. Zwar habe er den zusätzlichen Kassensitz von Dunja Reitz erhalten, statt der erhofften zwei neuen Ärztinnen oder Ärzte konnte er jedoch lediglich eine neue Kollegin in Teilzeit finden. "Das reicht einfach nicht", sagt er, "damit ist der Versorgungsmangel nicht behoben. Wir brauchen mehr Leute."
Situation könnte sich mit Gesetzesänderung weiter verschärfen
Zwar müsse sich trotz der angespannten Lage niemand Sorgen machen, keinen Termin zu bekommen, sagt Susanne Franke. Gerade auf nicht dringende Vorsorge-Termine müssten die Patientinnen und Patienten aufgrund der hohen Auslastung mittlerweile allerdings deutlich länger warten. "Jetzt haben wir eben nicht schon im nächsten Monat einen Termin, sondern erst nach drei oder vier Monaten", sagt sie. Und die Situation könnte sich weiter verschärfen, befürchtet Konstantinidis.
Viele Praxen hätten im Zuge der TSVG-Neupatienten-Regelung, die Ärztinnen und Ärzten finanzielle Anreize für die Versorgung von Neupatientinnen und -patienten bietet, ihre Stunden aufgestockt. Sollte Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Regelung tatsächlich wie angekündigt streichen, würden viele Kolleginnen und Kollegen ihre Sprechzeiten wieder reduzieren, vermutet Konstantinidis. "Wenn das passiert, würde ich auch weniger arbeiten", sagt er, "wir bewegen uns am Limit. Warum soll ich mehr Stunden einbringen, wenn es nicht vergütet wird?"
Klinikum Main-Spessart findet keine Gynäkologen und Gynäkologinnen
Noch angespannter zeigt sich die Lage am Klinikum Main-Spessart. Auch ein Jahr nach dem letzten Bericht, ist die Gynäkologie-Abteilung nach wie vor unbesetzt und damit inaktiv. "Trotz Stellenanzeigen und Headhunter haben wir bis jetzt keine qualifizierten Bewerbungen vorliegen", teilt Franziska Schön, Sprecherin des Klinikums, auf Anfrage mit. Insgesamt vier gynäkologische Fachärzte oder-ärztinnen bräuchte es für eine Wiedereröffnung der Abteilung.
Dennoch sei auch im geplanten Neubau des Klinikums wieder eine Gynäkologie-Station vorgesehen – allerdings mit einem speziellen Konzept. "Wir bemühen uns darum, die Gynäkologie als Belegabteilung neu zu etablieren, sodass niedergelassene Ärzte die Leistungen unseres Krankenhauses zur Behandlung ihrer stationären Patienten nutzen können", heißt es seitens des Klinikums. So wolle man die ambulante und stationäre medizinische Behandlung und Betreuung trotz Fachkräftemangel gewährleisten. Sollten sich aber doch noch qualifizierte Kräfte für die vakanten Stellen finden, werde man die Abteilung wieder reaktivieren – "auch vor Fertigstellung des Neubaus", teilt die Klinikleitung mit.
Überraschend kommt der sich zuspitzende Ärztemangel laut KVB nicht. Einen Grund sieht die Vereinigung in der geringen Anzahl an Medizinstudienplätzen. "Es werden viel zu wenige Ärztinnen und Ärzte ausgebildet, um die aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheidenden Ärztinnen und Ärzte adäquat ersetzen zu können", teilt die KVB mit.
Zudem werde der Nachwuchs durch "immer neue Zumutungen, wie beispielsweise den enormen bürokratischen Aufwand einer fehlgesteuerten Digitalisierung des Gesundheitswesens inklusive Sanktionsdrohungen für die Praxen" von einer Niederlassung abgeschreckt. Mittlerweile stelle auch der fehlende Nachwuchs an medizinischen Fachangestellten die Praxen zunehmend vor Herausforderungen. Die Prognose für die ärztliche Versorgung auf dem Land könne daher auch weiterhin "leider nicht sehr optimistisch" ausfallen.
Dieses Potenzial kann nur gehoben werden, wenn grössere Praxiseinheiten entstehen, in denen sich diese Ärztinnen auch in Teilzeit-Anstellung wiederfinden können.
Work-live-balance in der Medizin.