zurück
Lohr
Keine Nachfolge: Lohrer Frauenarztpraxis schließt nach 30 Jahren
Frauenärztin Angela Weismantel (von links) mit Stephanie Endres, Monika Höfling und Andrea Karl (vorne) einem Teil ihres Teams. Wenn sich nicht noch ein Nachfolger findet, schließt die Praxis zum 30. Juni.
Foto: Monika Büdel | Frauenärztin Angela Weismantel (von links) mit Stephanie Endres, Monika Höfling und Andrea Karl (vorne) einem Teil ihres Teams. Wenn sich nicht noch ein Nachfolger findet, schließt die Praxis zum 30. Juni.
Bearbeitet von Monika Büdel
 |  aktualisiert: 10.02.2024 09:24 Uhr

30 Jahre nach der Eröffnung ihrer Praxis für Frauenheilkunde in Lohr schließt Angela Weismantel (67). Bislang hat sich niemand gemeldet, der die Praxis übernehmen möchte. Wir haben mit der Ärztin über ihre Anfangszeit, ihre Erfahrungen in drei Jahrzehnten und ihre Zukunft gesprochen.

Frage: Frau Weismantel, Sie haben nach dem Abitur zunächst ein Semester Jura studiert. Warum sind Sie zur Medizin gewechselt?

Angela Weismantel: Jura stellte sich für mich als ein etwas zu trockenes Fachgebiet heraus. Da ich immer schon von Naturwissenschaften fasziniert war, habe ich mich dann für Medizin entschieden.

Was hat Sie an der Frauenheilkunde gereizt?

Weismantel: Es ist eine positive Erfahrung, Patientinnen in schwierigen wie auch in sehr schönen Phasen ihres Lebens zu begleiten und sie zu unterstützen.

Bevor Sie sich in Lohr niedergelassen haben, waren Sie an der Universitätsklinik in Erlangen tätig. Wie kam es zur Entscheidung, sich niederzulassen und eine eigene Praxis zu gründen?

Weismantel: 1989 wurde mein Sohn geboren. Deswegen habe ich meinen Vertrag an der Uni-Frauenklinik Erlangen nicht verlängert. Ich hatte eine bestimmte Vorstellung, wie ich als Frauenärztin tätig sein wollte. Der Klinikbereich war damals noch eine männerdominierte Welt. Ich wollte in der ambulanten Tätigkeit selbstbestimmt Entscheidungen treffen und einen persönlicheren Umgang mit den Frauen pflegen. Außerdem spielte die Familie eine Rolle: In der Praxistätigkeit entfielen die Nachtdienste und die Sprechzeiten konnte ich flexibler einteilen.

Sie haben damals als junge Familie in Würzburg gelebt. Warum hat es Sie nach Lohr gezogen? Ob Krankenhaus oder Arztpraxen – Ärzte scheinen nicht gerade davon zu träumen, in Lohr zu arbeiten.

Weismantel: Die Mutter meines Mannes, der am Lohrer Gymnasium unterrichtet hat, lebte in Lohr. Sie konnte unseren Sohn betreuen, während ich arbeitete. Es waren zunächst vor allem logistische Gründe. In Würzburg wäre ich auch gerne geblieben, aber es war die richtige Entscheidung. Das Angebot, Belegbetten am Lohrer Krankenhaus zu übernehmen, habe ich damals ausgeschlagen. Das hätte wieder Bereitschaftsdienst und Nachtdienst bedeutet, was ich mit Kleinkind nicht leisten wollte. Die Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus hat trotzdem gut funktioniert.

Welche Auswirkungen hat die Schließung der Geburtshilfe in Lohr auf Ihre Arbeit und Praxis gehabt?

Weismantel: Keine.

War es Ihrer Meinung nach richtig, die Geburtshilfe am Klinikum Main-Spessart zu schließen?

Weismantel: Auf alle Fälle. Die Menschen, die eine Geburtshilfe im Landkreis fordern, erwarten einen hohen medizinischen Standard. Das dafür erforderliche medizinische Fachpersonal zu bekommen, ist schwierig. Bessere fachärztliche Versorgung kann man nur durch Zentralisierung erreichen.

Andererseits boomen gerade Geburtshäuser.

Weismantel: Ja, manche Frauen entscheiden sich dafür, was man in einer Stadt mit Nähe zu einer geburtshilflichen Abteilung vertreten kann.

Sie waren die erste Frau, die eine Praxis für Frauenheilkunde im Landkreis Main-Spessart eröffnet hat. In den Folgejahren kamen fünf weitere dazu – alle, grob gesagt, Generation Babyboomer. Jetzt finden Sie keine Frau (und auch keinen Mann), die Ihre Praxis übernehmen möchte. Woran liegt das?

Weismantel: Ich habe mich seit mehr als zwei Jahren intensiv um eine mögliche Nachfolge für meine Praxis bemüht, hatte auch mehrere aussichtsreiche Optionen, die dann leider an persönlichen Umständen oder auch rechtlichen Sachzwängen scheiterten. Als ich mit der Facharztausbildung angefangen habe, gab es in der Klinik ein, zwei sogenannte Alibifrauen. Das hat sich inzwischen eher ins Gegenteil gewendet. Früher galt das Fach als operatives und damit anstrengenderes Fach, also als eher etwas für Männer. Das hat sich geändert. Die Frauen möchten aber häufig Teilzeitarbeit, weil an ihnen immer noch die Familie hängt. Dieses Phänomen sieht man auch in anderen Bereichen. Heute achten Frauen wie Männer mehr auf die Work-Life-Balance. Und was in meinem Fall dazu kommt: der Standort Lohr. Hierher kommt nur jemand, der Bezug zur Region hat. Es gibt auch woanders attraktive Praxen zum Übernehmen. Viele gehen lieber in die größeren Städte. Im Umkreis von München suchen Ärzte Praxen, in Franken ist es umgekehrt.

Und im Rückblick: Haben sich in Lohr doch noch Vorzüge aufgetan?

Weismantel: Anfangs hat mir das städtische Umfeld etwas gefehlt. Aber vor allem im Sommer bin ich gerne in Lohr. Im Winter schätze ich die Angebote einer größeren Stadt. Jemand, der neu hierherkommt, muss erst mal Fuß fassen und soziale Kontakte knüpfen. Aber das ist auf dem Land nicht schwierig und hier zu leben ist sehr familienfreundlich. Wer seine Facharztausbildung in der Großstadt macht, dem fehlt meist der Bezug zum Leben in ländlicher Umgebung.

Gab es in den 30 Jahren etwas, was Ihre Arbeit besonders beeinflusst hat? Neue Therapien zum Beispiel?

Weismantel: Es haben sich manche Therapien verändert, was sich aber nicht grundlegend auf meine Arbeit im Praxisalltag ausgewirkt hat. Wesentliche Fortschritte und Veränderungen von medikamentösen und operativen Therapien finden sich eher im stationären Bereich.

Wie sieht es mit Veränderungen im Gesundheitswesen aus?

Weismantel: Ständig neue rechtliche Vorgaben und Auflagen im Bereich Digitalisierung, Dokumentation und Datenschutz kosten viel Zeit und bringen den Patientinnen wenig. Aber trotzdem kann man seinen Weg finden. Als Facharzt in der Klinik ist man frei von dem unternehmerischen Risiko, hat geregelte Arbeitszeiten und soziale Absicherung. Das ist für sehr viele attraktiv. Eine Praxis möchte nur der betreiben, dem eine selbstbestimmte medizinische Tätigkeit wichtig ist.

Was waren Freud und Leid in den 30 Jahren Ihrer Tätigkeit?

Weismantel: Junge Frauen bei ihrer Familienplanung und Schwangere zu begleiten ist etwas sehr Positives. Aber es gibt auch tragische Ereignisse, vor und nach der Geburt eines Kindes. Daneben gibt es im gynäkologischen Alltag zahlreiche schwere Krankheitsbilder. Viele Patientinnen kenne ich seit Jahrzehnten, sie sind mit mir älter geworden und ich mit ihnen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Klinik. Die Arbeit mit meinen Patientinnen hat mich immer bestärkt, weiterzumachen. Genervt hat schon öfter mal die Abhängigkeit von Softwarefirmen.

Was haben Sie besonders gerne gemacht?

Weismantel: Schwangere betreut, Menschen bei Kinderwunsch beraten, Frauen in schwierigen Situationen beraten und unterstützt. Spannend fand ich immer, wenn es neue Fragestellungen gab, wenn ungewöhnliche Probleme zu lösen waren.

Fällt es Ihnen schwer, die Praxis aufzugeben? Es ist Ihr Lebenswerk.

Weismantel: In Anbetracht der aktuellen Pandemie mit erschwerten Arbeitsbedingungen fällt der Ablöseprozess leichter. Es hat sich herumgesprochen, dass ich Ende Juni schließe. Viele wollen noch mal einen Termin haben. Dazu kommen Patientinnen von der Gynäkologiepraxis in Lohr, die schon vor Wochen geschlossen hat. Richtig wehmütig werde ich wahrscheinlich, wenn die Praxis aufgelöst ist. Es hängt viel Herzblut daran. Auch für meine Mitarbeiterinnen bedauere ich, dass sie sich nun einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder und es taucht eine Kollegin oder ein Kollege auf, die oder der im letzten Moment doch die Praxis übernehmen möchte. Das wäre wunderbar. Meine Unterstützung in jeder Form wäre gewiss.

Was haben Sie vor, wenn Sie ab Juli frei über Ihre Zeit verfügen können?

Weismantel: Ich möchte zum Beispiel Freunde, die in Deutschland verstreut sind, besuchen. Dafür hatte ich während meiner Berufstätigkeit zu wenig Zeit. Sicher werde ich eine neue Herausforderung suchen und manches ausprobieren. Ich möchte weiterhin Neues lernen, etwas Sinnvolles tun.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lohr
Arztpraxen
Familien
Frauenheilkunde
Geburtshilfe
Gynäkologinnen und Gynäkologen
Klinikum Main-Spessart
Krankenhäuser und Kliniken
Patienten
Schwangere
Universitätskliniken
Ärzte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top