"Uns hat ein Tsunami getroffen", sagt der Frauenarzt Theoklitos Konstantinidis. Bisher führte er eine von drei Frauenarztpraxen in Lohr, bald wird seine Praxis die einzige sein. Den Tsunami an neuen Patientinnen, die aktuell an die Tür seiner Praxis klopfen, könne er gerade so bewältigen. "Natürlich verteilen sich die Patienten auch auf die anderen Praxen im Kreis, aber sehr viele sind zu uns gekommen."
Seine Lohrer Kollegin Dunja Reitz gab ihre Praxis vor wenigen Wochen überraschend und ohne alle Patienten zu informieren auf. Und Angela Weismantel geht, wie angekündigt, zum 30. Juni in den Ruhestand – eine Nachfolge für ihre Praxis gibt es nicht.
"Wir brauchen noch ein bisschen Zeit, aber bis Ende des Jahres können wir hoffentlich viele Probleme lösen", sagt Konstantinidis. Er bemüht sich, den Kassensitz von Dunja Reitz in seine Praxis zu holen. Den würde seine bisher angestellte Ärztin übernehmen und ihre Stunden aufstocken. Außerdem arbeitet Konstantinidis gerade daran, seine Praxis räumlich zu vergrößern, sodass hier zwei Ärzte parallel arbeiten können. Anfang 2022 könnte alles unter Dach und Fach sein, bis dahin möchte Konstantinidis eventuell noch einen weiteren Arzt oder Ärztin anstellen.
Main-Spessart bisher überversorgt
Ob der Kassensitz in Konstantdinidis' Praxis wandert, entscheidet der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bisher war Main-Spessart mit elf Frauenärzten offiziell überversorgt, der Versorgungsgrad lag laut Kassenärztlicher Vereinigung (KVB) bei 119 Prozent. Die Region war daher bisher "gesperrt", das heißt, neue Ärzte konnten sich nicht niederlassen. Auf Nachfrage der Redaktion bestätigt die KVB, dass ohne die Praxen Reitz und Weismantel der Versorgungsgrad unter den Grenzwert von 110 Prozent sinken wird. Liegt eine Region unter diesem Schwellenwert, erlaubt der Gesetzgeber neue Niederlassungen.
Mit Sorge blickt Konstantinidis auf die nächsten fünf Jahre: Vier der verbleibenden Frauenärzte im Landkreis sind über 60 und werden früher oder später ihre Praxen abgeben wollen. "Es ist schwierig, hier im ländlichen Raum eine Praxisnachfolge zu finden", sagt Konstantinidis. Die Kassenärztliche Vereinigung möchte hier keine Prognose wagen, schließlich gebe es für niedergelassene Ärzte keine feste Altersgrenze mehr.
Dass es schwierig ist, Nachfolger für Einzelpraxen zu finden, bestätigt jedoch auch die KVB. Jüngere Ärztinnen und Ärzte wurden eine Anstellung in einer größeren Einrichtung wie einer Gemeinschaftspraxis oder einem Medizinischen Versorgungszentrum bevorzugen. Konstantinidis sieht die Ursache für das Problem auch darin, dass viele weibliche Frauenärzte ihren Beruf für die Familie zurückstellen. "Immer mehr Frauen gehen in die Gynäkologie, und das ist eine gute Sache." Eine eigene Praxis zu übernehmen sei für viele Ärztinnen mit Familie aber weniger attraktiv als eine Anstellung. "Man ist als Arzt eben auch der Geschäftsführer", sagt Konstantinidis. "Ich habe das am Anfang auch nicht gern gemacht."
Belastung für Frauenärzte ist enorm
Dr. Susanne Franke, Frauenärztin in Karlstadt, pflichtet ihm bei: Jede Woche komme eine neue E-Mail von der Kassenärztlichen Vereinigung, auf die sich die Praxis einstellen müsse. "Ich konnte da reinwachsen, aber ein junger Kollege, der zum ersten Mal eine Praxis übernimmt..." Sie könne verstehen, dass das abschreckt. "Wir sind ja Ärzte und keine Datenschutzexperten."
Auch sie hat Patienten aus Lohr übernommen, dazu kommen im Moment Impftermine und die Tatsache, dass jetzt viele Patienten Termine nachholen, die sie in Zeiten von hohen Inzidenzen abgesagt haben.
Aus ihrer Sicht spielt auch der Standort eine wichtige Rolle bei der Suche eines Nachfolgers: "Jemand, der nicht in Lohr aufgewachsen ist, keine Beziehung zu der Stadt hat, der will dort nicht unbedingt eine Praxis übernehmen. Und dann müsste ja auch noch der Lebenspartner einen Job in der Region bekommen." In Karlstadt sehe die Situation anders aus, von hier könne man auch gut nach Würzburg pendeln.
Klinikum Main-Spessart: Gynäkologe dringend gesucht
Auch dem Klinikum Main-Spessart in Lohr fehlt seit einiger Zeit ein Gynäkologe, die ganze Abteilung Frauenheilkunde ist daher aktuell "ruhend gestellt", teilt Klinikumssprecher Martin Koch auf Anfrage der Redaktion mit. Eine Facharzt-Stelle sei seit langem ausgeschrieben, es habe jedoch noch keine qualifizierten Bewerbungen gegeben. Der Bewerbermarkt bei Fachärzten für Gynäkologie sei "bundesweit sehr schwierig".
Das hat auch Folgen für Arztpraxen, die einen Nachfolger brauchen: Gynäkologen werden nicht in Lohr ausgebildet, sondern beispielsweise in Aschaffenburg und in Würzburg. Dr. Karl-Heinz Günther, Vorsitzender vom Ärztlichen Kreisverband Main Spessart, erklärt: "Wenn also jetzt jemand in Lohr eine Frauenarztpraxis hat und die zumacht, dann bringt das nichts, wenn er die Klinik anruft." Ohne Abteilung gibt es dort auch keine Gynäkologen, die sich eventuell niederlassen möchten.
Klinikumssprecher Koch betont: "Ziel ist es, die Abteilung so schnell wie möglich zu eröffnen." In anderen klinischen Bereichen entwickle sich die Bewerberlage gerade gut. Im Klinikum sei man davon überzeugt, dass sich diese Entwicklung positiv auf die Vakanz in der Frauenheilkunde auswirken wird "und wir vielleicht schon bald positive Nachrichten haben". Ob es im Klinik-Neubau eine Gynäkologie geben wird? Darüber könne man noch keine verlässliche Aussage treffen, so Koch weiter.