zurück
Lohr
Wie einst der Strom nach Main-Spessart kam
Aus der Geschichte Main-Spessarts (111): Über 20 Jahre hat es gedauert, bis auch das letzte Dorf in den damals vier Landkreisen mit Strom versorgt wurde. Ein Trafo-Türmchen in Lohr markiert einen Meilenstein dieser Entwicklung.
Rund 6000 Isolatoren aus aller Welt hat Lothar Vormwald aus Sendelbach zusammengetragen. Ein Zehntel davon ist im Isolatorenmuseum in Lohr – einem Trafohäuschen aus dem Jahr 1919 – ausgestellt.
Foto: Roland Pleier | Rund 6000 Isolatoren aus aller Welt hat Lothar Vormwald aus Sendelbach zusammengetragen. Ein Zehntel davon ist im Isolatorenmuseum in Lohr – einem Trafohäuschen aus dem Jahr 1919 – ausgestellt.
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:47 Uhr
Einzigartig: Das Isolatorenmuseum in Lohr - ein Trafohäuschen aus dem Jahr 1919.
Foto: Roland Pleier | Einzigartig: Das Isolatorenmuseum in Lohr - ein Trafohäuschen aus dem Jahr 1919.

Es ist das womöglich kurioseste Denkmal im Landkreis. Gemauert auf einer Grundfläche von drei mal drei Metern Außenmaß, mit Wetterfahne um die zwölf Meter hoch, steht es in der Haaggasse unterhalb des Lohrer Schlosses. "Turmartiger Bruchsteinbau mit Pyramidendach, Wetterfahne, bezeichnet ,1920'" heißt es in der Kurzcharakteristik der Denkmalpflege. Der ehemalige Trafoturm, inzwischen 100 Jahre alt geworden, steht für die Elektrifizierung der Stadt und den endgültigen Durchbruch dieser Energie in Lohr. Ein Meilenstein dieser Entwicklung, aber längst nicht der einzige.  

Pioniere und Bummler

Lohr war vergleichsweise spät dran: Marktheidenfeld hing bereits 1903 am Stromnetz. "Von Georg Martin, hier, wurde im Hafenlohrtale bei Windheim ein Elektrizitätswerk errichtet", ist in der Trunk´schen Chronik von Marktheidenfeld festgehalten. "Marktheidenfeld hat seit Januar 1903 elektrische Beleuchtung der Ortsstraßen - bestehend in 25 Lampen - eingerichtet." Öffentliche Gebäude und viele private Häuser seien nun ebenfalls mit elektrischem Strom versorgt.

Marktheidenfeld war die erste Stadt in Main-Spessart die auf Strom setzte. Hier das Trafo-Türmchen in der Hofgasse.
Foto: Roland Pleier | Marktheidenfeld war die erste Stadt in Main-Spessart die auf Strom setzte. Hier das Trafo-Türmchen in der Hofgasse.

In Gemünden überzeugte der damalige Bürgermeister Otto Christin sechs Jahre später einen Privatunternehmer, ein Elektrizitätswerk zu bauen. Karlstadt hatte in jener Zeit bereits Strom von der Portland-Cementfabrik bezogen, dann aber kurioserweise einen anderen Weg eingeschlagen: 1906 hatten sich die Stadtväter den Stromliefervertrag nicht mehr verlängert und stattdessen auf Gas gesetzt - ganz gegen den Trend. Eine Zufallsauswahl aus dem Landkreis: Roden erhielt 1918 Strom, Birkenfeld im Jahr darauf,  Steinfeld folgte 1926.

Wer in Lohr als erstes Strom hatte

Bis das Türmchen gebaut wurde, hatte es Strom in Lohr nur punktuell gegeben: etwa seit 1890 bei Rexroth, ab 1908 auch in der Heil- und Pflegeanstalt. Im repräsentativen, damals hochmodernen Maasebau, 1903/04 erbaut von dem Zementwarenfabrikant Victor Maase, gab es in den Mietwohnungen bereits Einrichtungen für elektrisches Licht. Die Spessarter Hohlglaswerke GmbH, die heute zu Gerresheimer gehörende Glashütte, hatte seit 1906 einen wasserkraftbetriebenen Generator, der Strom fürs Licht in der gesamten Fabrikanlage produzierte.

Die Lohrer Straßen und Plätze aber wurden in dieser Zeit von 85 Gaslaternen ausgeleuchtet - bis die Hohlglaswerke 1919 den Oberen Eisenhammer kaufte, den die Firma Rexroth 19 Jahre davor stillgelegt hatte. Glashütten-Chef Gustav Woehrnitz ließ die Gebäude renovieren, machte daraus Werkswohnungen und ließ in der Hammermühle zwei Turbinen einbauen. Diese erzeugten weit mehr Strom als für den Eigenbedarf der Hütte nötig war: Das Unternehmen belieferte die Kreis AG (später Überlandwerke Unterfranken), die die Stadt ab Dezember 1920 mit Strom versorgte.

Wo das zweite, baugleiche Türmchen stand

Als Zwischenstation brauchte es dafür eben solche Türmchen, wie das in der Haaggasse. Ein zweites, baugleiches stand am früheren Zimmerplatz, wo in den 1930er Jahren die Parteizentrale der NSDAP gebaut wurde, 1990 bis 2017 von der Rettungswache des Roten Kreuzes genutzt, seit 2019 umgebaut zur Zahnarztpraxis.

Der Strom, der in Überlandleitungen mit 9000 Volt Hochspannung angeliefert wurde, wurde in diesen Türmchen 220 Volt Niederspannung transformiert. Die Höhe brauchte es für die überirdischen Stromleitungen, die kleine Grundfläche reichte für den Transformator aus. Dieser machte akustisch auf seine Arbeit aufmerksam:  Die aneinandergelegten Metallplatten in seinem Kern erzeugten durch Vibration ein Summen und Brummen, das man auch außen vernehmen konnte. 

Denkmalschutz verhindert den Abriss

Ein Herzstück aus einem Guss wäre zu heiß geworden, erklärt Lothar Vormwald. Der Sendelbacher, Jahrgang 1953, ist gelernter Starkstromtechniker und heute quasi der Hausherr des Trafo-Türmchens. 2001 wollte es die Stadt schon abreißen, doch grätschte das Landesamt für Denkmalpflege dazwischen.

Blick aus dem wohl kleinsten Museum des Landes auf die Lohrer Stadtpfarrkirche.
Foto: Roland Pleier | Blick aus dem wohl kleinsten Museum des Landes auf die Lohrer Stadtpfarrkirche.

Das Türmchen hat Vormwald schon als Lehrling fasziniert. 2004 brachte er dort einen Bruchteil seiner 6000 Stücke umfassenden Isolatoren-Sammlung unter - im mit je sechs Quadratmetern auf zwei Ebenen womöglich kleinsten Museum des Landes, dem ersten seiner Art. Seit 2016 sogar mit Museumsgärtchen. So begrüßt er jährlich rund 400 Besucher in dem winzigen Sandsteinbau, der ein Meilenstein in der Geschichte der Stadtentwicklung ist. 

Gas als Konkurrenz

Er markiert die Umstellung von Gas auf Strom. Das Lohrer Gaswerk von 1867 war nach dem Ersten Weltkrieg so marode, dass ein Neubau fällig gewesen wäre. Stattdessen nutzte die Stadt ab 1920 einerseits den Strom des Eisenhammers und andererseits ein Angebot der Thüringer Gasgesellschaft, Gas aus Karlstadt zu beziehen. Dafür wurden dann eine Hochdruck-Fernleitung gebaut - möglicherweise die erste zwischen zwei deutschen Städten. Zudem wurde in Sendelbach ein Gaskessel errichtet, der aber 1965 ausgedient hatte und abgerissen wurde. Seitdem bezieht Lohr Ferngas.

Wie einst der Strom nach Main-Spessart kam
Foto: Schubert Simone

Die Elektrifizierung indes ging unermüdlich weiter. 1939 schließen sich die Gemeinden Laudenbach, Lohr, Karlburg, Karlstadt, Mühlbach, Veitshöchheim und die AG für Licht- und Kraftversorgung, München, eine Tochter der Thüringer Gas AG, Energieversorgung Lohr-Karlstadt und Umgebung GmbH zusammen.

Der Wombacher Dorfplatz mit später abgerissenem Trafohäuschen in den 1950er/1960er Jahren.
Foto: Josef Jahn | Der Wombacher Dorfplatz mit später abgerissenem Trafohäuschen in den 1950er/1960er Jahren.

Als die Eisenbahn elektrisch wurde

1957 war die Eisenbahnstrecke Aschaffenburg - Würzburg dran: Für die 90 Kilometer wurden 70 Millionen Mark investiert. Mit Beginn des Winterfahrplanes wurde der elektrische Zugbetrieb aufgenommen - zunächst für Güterzüge. "Die Reisezüge sollen bis Sommer 1958 nach und nach mit Elektroloks ausgestattet werden", kündigte die Lohrer Zeitung damals an.

Fünf Jahre später folgte die Schlagzeile: "Strom für den ländlichen Raum". Im Landkreis Lohr wurde der 34. stählerne Strommast für die Überlandleitungen aufgestellt. Insgesamt sollten es 42 werden. Sie führen bis heute zu dem großen Umspannwerk am Rand der Bundesstraße 26 zwischen Lohr und Sackenbach, das 1965 in Betrieb genommen wurde.

Zum Tierhotel umfunktioniert: das ehemalige Trafohäuschen am Ortsrand von Steinbach. 
Foto: Ungemach Johannes | Zum Tierhotel umfunktioniert: das ehemalige Trafohäuschen am Ortsrand von Steinbach. 

Angesichts dieser Dimensionen mag man den Denkmalschutz für das kleine, gerettete Türmchen in der Haaggasse vielleicht belächeln. Viele seinesgleichen wurden abgerissen, etwa das am Wombacher Dorfplatz. Andere wurden umfunktioniert, beispielsweise zum Quartier für Fledermäuse wie 2011 im Lohrer Stadtteil Steinbach. Manche haben auch eine Zusatzfunktion bekommt, wie das stattliche Trafohaus hinter der Brauerei in Marktheidenfeld, das - noch in Betrieb - auch als Werbeträger fürs Stadtmarketing fungiert. 

In der Liste der schönsten Trafohäuschen Europas

In gewissen Kreisen aber genießt das Türmchen durchaus Anerkennung. So ist es auf der Liste der "schönsten Trafohäuschen Europas" zu finden, die Freunde technischer Einrichtungen zusammengetragen haben.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_msp

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lohr
Roland Pleier
Denkmalschutz
Energieversorgung Lohr-Karlstadt
Gase
Gerresheimer Moulded Glass GmbH
Geschichte der Region Main-Spessart
Lothar Vormwald
NSDAP
Schienenstrecken
Stadt Hofheim
Stadtentwicklung
Stromleitungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top