1868 beleuchteten 530 deutsche Städte ihre Straßen und Gassen mit Gas. 58 Jahre vorher hatte man in England das erste Gaswerk in Betrieb genommen. Am 27. Oktober 1867 reihte sich auch Lohr in den Kreis der Städte mit Gasbeleuchtung ein. Bürgermeister Schiele übergab an diesem Tag feierlich das städtische Gaswerk an der heutigen Gärtnerstraße. Die Petroleumlampen hatten ausgedient.
Nunmehr setzten die Laternenanzünder Gaslampen in Betrieb. Damit dies möglich wurde, hatte die Stadt ein Darlehen über 51 000 Gulden aufgenommen. Für Planung und Betrieb hatte man sich an Fachleute aus umgebenden Städten gewandt. C. Müller, Gaswerksbetreiber in Kitzingen, bekam den Zuschlag. Doch das „geliebte Kind“ wollte nicht so recht laufen lernen. Auch nicht als die Stadt das Gaswerk in eigener Regie betrieb. Das jährliche Defizit wich erst, als sie den Betrieb 1939 an die Energieversorgung Lohr-Karlstadt und Umgebung verkaufte.
Städte standen in Konkurrenz
Städte und Gemeinde standen schon immer in einer Konkurrenz zueinander. Jeder wollte mithalten, wenn es um neue Dinge ging. So auch im vorletzten Jahrhundert, das von zahlreichen Neuerungen geprägt war. Viele von den vorgenannten 530 Städten waren wohl größer als Lohr. Dennoch erregte es schon in den frühen 1860er Jahren Bürgermeister Joseph Schieles Ehrgeiz auch in Lohr die Gasbeleuchtung einzuführen.
Nach mehrjährigen Recherchen und Verhandlungen konnte er 1867 mit Stolz das Lohrer Gaswerk in den ehemaligen Kirschgärten mit den Worten einweihen: „Das Bessere und Höhere zu erstreben und sich nach jeder Richtung hin, soweit menschlich möglich, anzueignen, ist nicht allein Aufgabe des einzelnen Individuums – es ist dies in noch größerem Maße die Aufgabe einer Gemeinde“. Auch die Ratsherren stellten mit stolz geschwellter Brust fest: „eine Schöpfung der neuen Zeit – die Gasbeleuchtung – dahier einzuführen“.
Mit den nachfolgenden Problemen rechneten sie nicht. Vielmehr hofften sie, dass sich die Bürger über eine bessere Beleuchtung der Straßen und Gassen freuen und das neue Medium Gas mit offenen Armen annehmen würden.
28 Lampen spendeten Licht
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Straßen und Gassen Lohrs noch mit 28 Petroleumlampen beleuchtet, allerdings nur bei Neumond über die ganze Nacht. Bei Vollmond wurde gespart. Obwohl das Gas mehr Leuchtkraft bringen sollte, stockte man in diesem Zusammenhang die Laternen von 28 auf 40 auf. Schließlich erwartete man, dass die Verbrauchskosten bei Gas niedriger sind. Andererseits setzte man neben Nikolaus Martin jetzt auch noch als zweiten Laternenanzünder den „Lotze Adam“ ein.
Zwei Laternenanzünder
Beide unterstanden dem verantwortlichen Gasmeister, bei dem sie sich allabendlich zum Dienst zu melden hatten, um ihre Anweisungen für die folgende Nacht zu erhalten. Für 1876 ist uns noch eine „Instruktion für das Anzünden und Auslöschen der Straßenlaternen“ erhalten geblieben.
Nach und nach kamen immer weitere Lampen dazu, wenn sie auch nicht ganzjährig und stets die ganze Nacht zum Einsatz kamen. Beleuchtet wurde unter anderem die ganze Bahnhofstraße einschließlich Fußweg entlang des Lohrbachs. Osmund Weber und Adam Lotz sorgten allabendlich für Licht. Wachtmeister Hauth kontrollierte sie. Wehe sie hielten sich nicht an die Anordnung, dann mussten sie mit Strafe rechnen, wenigstens mit 50 Pfennig für eine nicht angezündete Laterne.
Bauherr der Gasfabrik war die Stadt Lohr, welche dafür ein Darlehen von 51 000 Gulden aufgenommen hatte, was sie sich vom Pächter mit sechs Prozent Pacht vergüten ließ. Der erste Pächter war C. Müller aus Kitzingen, der allerdings bald feststellen musste, dass seine Kalkulation nicht aufgehen sollte. Schon im ersten Jahr erwirtschaftete er ein Defizit.
Die Stadt war allerdings nicht bereit, ihm bei der Pacht entgegenzukommen und pochte auf ihren 36-seitigen Vertrag für zehn Pachtjahre.
Die Feststellung Müllers, dass „… im ersten Betriebsjahre, namentlich in diesem Sommer beträchtliche Opfer gebracht, anstatt wie gehofft, auch nur eine bescheidene Nahrung aus diesem Geschäft zu erzielen“, konnte sie nicht erweichen.
Pächter klagt über Agitation
Wie aus den Akten im Archiv hervorgeht, fand das Gas in der Bevölkerung nicht den erwarteten Zuspruch, ja Müller klagt gar darüber, dass im Sommer 1868 „gegen die Gasfabrik und die Gasflammen in Lohr agitiert“ worden sei. Es kam zum Bruch mit Müller und die Stadt übernahm das Gaswerk in eigener Regie, in der Hoffnung besser wirtschaften zu können. Doch sie blieb auf einem jährlichen Defizit von 1000 bis 1500 Mark sitzen. Ihrem Urteil nach sei dies auf mangelnde Bauausführung und schlechte Ausstattung zurückzuführen. Unter Müller sei außerdem schlecht gewirtschaftet worden.
1877 fand sich die Firma Joos Söhne & Co. aus Landau als neuer Pächter. Aber es sollte auch jetzt nicht besser werden. Erst der neue Pächter, Ernst Weigel vom Gaswerk Wertheim, brachte das Gaswerk in die Gewinnzone. Er senkte den Gaspreis und konnte so neue Abnehmer gewinnen. Aus dem Defizit von 1000 Mark sollte erstaunlicherweise ein Überschuss von 13 000 Mark werden. Weigel konnte das Betriebsergebnis aber auf Dauer auch nicht ausreichend verbessern, da das Werk wohl an die Grenzen seiner Möglichkeiten gekommen war. Weigel regte daher einen Neubau an, für den auch ein Plan erstellt wurde.
Kein Entschluss zu Neubau
Zu dieser Zeit gefasste sich jedoch der neue Bürgermeister Franz-Joseph Keßler bereits mit dem Gedanken Lohr in die Zeit der Stromversorgung zu überführen. Für einen Neubau konnte sich der Stadtrat deshalb nicht erwärmen. Man begnügte sich stattdessen mit einem zweiten Gasbehälter, mit dem Ausbau des Leitungsnetzes und einer neuen Ofenanlage.
1921 konnte es aber nicht mehr ohne Großinvestition weitergehen. So schloss sich die Stadt mit einer Ferngasleitung an das Thüringer Gaswerk Leipzig am Gaswerk Karlstadt an. Sie errichtete einen Gasbehälter in Sendelbach. Der Gasbehälter am Gaswerk der Stadt wurde abgebrochen. 18 Jahre später kam das endgültige Aus.
Die Stadt verkaufte 1939 das komplette Gasrohrnetz, einschließlich Stromversorgungsanlagen, an die neu gegründete „Energieversorgung Lohr – Karlstadt und Umgebung GmbH“. Das städtische Gaswerk war nun Geschichte.