
Lieber Herr Dr. Kilian,
seit unserem Gespräch in dieser Woche hallt eine Aussage von Ihnen in mir nach: "Es gibt eine Telefonnummer, die man kennen sollte - gerade in diesen Zeiten und in dieser Jahreszeit." Denn, sagten Sie: "Es ist besser, sie zu kennen und nicht zu brauchen, als sie zu brauchen und nicht zu kennen."
Ich habe mir diese Nummer gemerkt: 0800 / 655 3000. Nullachthundert, sechs-fünf-fünf, dreitausend.
Kostenlose Rufnummer: Hilfe jeden Tag und rund um die Uhr
Es ist die Nummer der Krisendienste Bayern. Dort erhalten Menschen Hilfe, denen es nicht gut geht. Die in einer seelischen Krise stecken. Oder die in ihrem Umfeld jemanden haben, der in einer Krisensituation ist. An 365 Tagen im Jahr. 24 Stunden am Tag. In 120 Sprachen. Kostenlos.
Wer aus Unterfranken anruft, wird automatisch an die Leitstelle des Krisennetzwerks Unterfranken weitergeleitet. Sie koordinieren dieses Krisennetzwerk, Herr Dr. Kilian. In diesem November, so haben Sie erzählt, besteht es seit genau vier Jahren.
Die Räume befinden sich auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses in Lohr in Main-Spessart. Dort nehmen erfahrene Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie, Psychiatrie, Pflege und Sozialpädagogik die Anrufe entgegen. Es werden von Jahr zu Jahr mehr, berichten Sie.
Mehr als 1000 Anrufe pro Monat - und es werden kontinuierlich mehr
Bis Ende 2024 rechnen Sie mit rund 13.000 Anrufen - die für viele herausfordernde Weihnachtszeit und das Jahresende stehen erst noch bevor. Das sind über 1000 Anrufe pro Monat, rund 35 jeden Tag. 2023 waren es noch etwa 11.000 Anrufe.
Etwas mehr als die Hälfte der Anruferinnen und Anrufer befand sich in psychiatrischen Krisen - mit depressiven Zuständen, Ängsten oder Panik. Die Restlichen suchten Rat aufgrund psychosozialer Not - meist ausgelöst durch Probleme im privaten Umfeld. Bei jedem fünften Anruf spielte Suizidalität eine Rolle.
Ihnen, Herr Dr. Kilian, ist wichtig zu betonen: "Wir nehmen jedes Anliegen ernst."
Dass die Menschen einfach mal unverbindlich und anonym anrufen können, zu jeder Zeit, das senkt die Hemmschwelle. Und verringert vielleicht auch die Scham, die damit verbunden sein könnte, Hilfe zu brauchen.
Eine Krise kann jeden treffen, jederzeit
Dass viele Menschen darauf angewiesen sind, belegen die Zahlen. Von "völlig verrückten Zeiten" sprach der unterfränkische Bezirkstagspräsident Stefan Funk bei seinem Besuch in der Leitstelle in Lohr angesichts von Kriegen und Katastrophen in unserer immer unsicherer werdenden Welt.
Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Krisen gibt es auch in unserer Region: Kliniksterben, Debatten um Flüchtlingsheime, Inflation oder Stellenabbau bei Unternehmen wie Preh in Bad Neutadt, ZF und Schaeffler in Schweinfurt oder Bosch Rexroth in Lohr.
Eine Krise kann jeden treffen, jederzeit.
Manchmal bricht sie aus dem Nichts über uns herein und zieht uns den Boden unter den Füßen weg: Wenn wir plötzlich den Arbeitsplatz oder einen geliebten Menschen verlieren. Manchmal poltert sie laut in unser Leben: Wenn ein schwelender Familienstreit eskaliert oder anhaltende Beziehungskonflikte zur Trennung führen. Und manchmal schleicht sie leise an: mit wachsenden Alltagssorgen, Gefühlen von Einsamkeit oder Niedergeschlagenheit, Überforderung oder Erschöpfung. "Vor allem Zukunftsängste nehmen zu", stellen Sie fest, Herr Dr. Kilian.
Lotsen helfen, Wege aus der Krise zu finden
Für alle 1,3 Millionen Menschen in Unterfranken kann und soll das Krisennetzwerk ein Licht in dunklen Zeiten sein. Denn nicht immer finden wir selbst Wege aus der Krise. Die Beraterinnen und Berater fungieren dann wie Lotsen. Es gebe Menschen, denen reiche ein Gespräch, berichtete Ihre Teamleiterin Alexandra Blattner aus dem Alltag der Leitstelle: "Ein Gespräch, in dem wir einfach zuhören oder helfen, Probleme zu sortieren."
Anderen vermitteln die Fachkräfte unmittelbar ambulante oder stationäre Hilfe. Sozialpsychiatrische Dienste, Frauenhäuser, Sucht-, Familien- oder Schuldnerberatungen - für fast jedes Problem gibt es ein Hilfsangebot. Sie kennen es. Wir oft nicht.
In Notfällen - die Hälfte ausgelöst durch suizidgefährdete Menschen - schicken Sie sogar eines der drei mobilen Einsatzteams vorbei, die es in Würzburg, Schweinfurt und Aschaffenburg gibt. In diesem Jahr rückt im Durchschnitt jeden Tag eines aus. Spätestens innerhalb von einer Stunde, sagen Sie, wollen Sie damit jeden Menschen in Unterfranken erreichen.
Stefan Funk sprach Ihnen und allen Mitarbeitenden des Krisennetzwerks, das der Bezirk mit 1,8 Millionen Euro im Jahr bezuschusst, seinen Dank aus. Der Bezirkstagspräsident sagt: "Wenn es die Nummer nicht gäbe, müsste man sie erfinden." Ich möchte mich ihm anschließen.
"Wir sind für Sie da" steht auf den Flyern unter der Nummer 0800 / 655 3000. Danke für dieses Da-Sein, Herr Dr. Kilian!
Ihr Team hilft Menschen in Not. Manchmal rettet es vielleicht sogar Leben.
Herzliche Grüße,
Natalie Greß, Redakteurin