
Der Landkreis Main-Spessart hat mit Fachkräftemangel in der Pflege zu kämpfen. Viele Haus- und Facharztstellen sind nicht besetzt. Wenn Schwangere nach Unterstützung durch eine Hebamme suchen, werden sie mitunter nicht fündig. Ziel der "Gesundheitsregionen plus" ist es, auf die regionalen Bedürfnisse im Bereich Gesundheit einzugehen. Wie das gelingen soll, erklärt Tanja Amersbach im Interview.
Tanja Amersbach: Mit dem Konzept der "Gesundheitsregionen plus" in Bayern soll die medizinische Versorgung, die Prävention und die pflegerische Versorgung durch regionale Netzwerke verbessert werden. Die "Gesundheitsregion plus" dient dem Austausch und der Zusammenarbeit von Kliniken, Seniorenheimen, Landratsamt, Krankenkassen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Akteuren. Dafür gibt es derzeit die drei Arbeitsgruppen "Gesundheitsförderung und Prävention", "Gesundheitsversorgung" und "Pflege".
Amersbach: Ich habe mich schon im Studium besonders mit den Themengebieten Prävention, Gesundheits- und Bewegungsförderung auseinandergesetzt und in einem Projekt zur Analyse der "Bewegungsfreundlichkeit" von Kommunen mitgearbeitet. In meiner Tätigkeit bei der nationalen Präventionskonferenz habe ich Einblicke in die Geschäftsstellenarbeit bekommen. Vor allem in Verwaltungstätigkeiten kommt mir meine frühere Ausbildung zur Industriekauffrau zugute.
Amersbach: Ich bin alleine zuständig für die Geschäftsstelle der "Gesundheitsregion plus", die als Stabstelle direkt Landrätin Sabine Sitter unterstellt ist. Allerdings tausche ich mich regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen aus den Schnittstellen des Landratsamts aus, zum Beispiel dem Gesundheitsamt, dem Pflege- und dem Familienstützpunkt, der Fachstelle für Seniorenarbeit oder dem koordinierten Kinderschutz. Auch von engagierten externen Kooperationspartnern wird das Netzwerk der "Gesundheitsregion plus" unterstützt. Die 62 "Gesundheitsregionen plus" in Bayern werden vom Gesundheitsministerium gefördert. Wertvolle Ideen und Anregungen erhalte ich bei Vernetzungstreffen mit anderen "Gesundheitsregionen plus" sowie von der fachlichen Leistelle.
Amersbach: Die sind sehr vielfältig. Eine große Aufgabe ist es, Gesundheitsakteure zu vernetzen und den gegenseitigen Informationsaustausch zu fördern. Außerdem organisiere und koordiniere ich die Gremienarbeit, beispielsweise im Gesundheitsforum oder den Arbeitsgruppen. Dazu gehört die Vor- und Nachbereitung sowie Moderation der Sitzungen. Mit Protokollen und E-Mails zu aktuellen Themen informiere ich die Akteure. Zu meinen Aufgaben gehört es auch, Projekte zu begleiten, etwa die Umsetzung der jährlichen Kampagne des bayerischen Gesundheitsministeriums – gemeinsam mit dem Gesundheitsamt und zahlreichen Kooperationspartnern aus dem Landkreis.

Amersbach: Wir spüren einen massiven Kräftemangel, da mehr Menschen in den Ruhestand gehen, aber immer weniger Berufseinsteigende nachkommen. Vor allem im Gesundheitswesen ist das spürbar, weil es meist Menschen in einer Notlage betrifft. In Main-Spessart können in der stationären Pflege derzeit mehr als 300 Betten aufgrund von Personalmangel in den Heimen nicht belegt werden. Auch im ambulanten Bereich fehlen Kräfte.
Ich halte es für wichtig, dass die Gesellschaft wieder näher zusammenrückt und füreinander da ist, zum Beispiel in Form von Nachbarschaftshilfe oder Mehrgenerationen-Projekten, von denen beide Seiten profitieren. Pflegende Angehörige sollten geschult und unterstützt werden, damit ältere Menschen möglichst lange in der gewohnten Umgebung bleiben können. Dazu können auch technische Hilfsmittel, also Hausnotruf, Herdüberwachung, Treppen- und Wannenlifte oder Bewegungsmelder, beitragen. Ich wünsche mir angepasste Leistungsvergütungen, damit Pflegedienste und -einrichtungen kostendeckend arbeiten können.
Amersbach: Die Lage der Hebammenversorgung ist in Main-Spessart angespannt, der Fachkräftemangel spürbar. Außerdem sind Hebammen von enormen Kostensteigerungen, beispielsweise bei den Fahrtkosten, betroffen. Unausweichlich ist eine bessere Vernetzung der Hebammen auch über die Grenzen des Landkreises hinweg. Wir überlegen derzeit, ob und wie es möglich sein könnte, Fortbildungen in der Region anzubieten. Und wir wollen uns mit den Hebammen treffen, um zu diskutieren, wie wir Frauen unterstützen können, die keine Hebamme gefunden haben.
Amersbach: Das Gesundheitsamt schaut derzeit in den sechsten Klassen der Schulen im Landkreis die Impfhefte durch, um den Eltern eine Empfehlung für fehlende Impfungen mitzugeben. Bis Ende April finden zudem die Schuleingangsuntersuchungen statt. Es hat sich gezeigt, dass einige Kinder mit Migrationshintergrund, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht regelmäßig die Kindertagesstätten besuchen konnten, erhöhte Sprachdefizite aufweisen.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) gibt es bei uns im Landkreis genügend Kinder- und Jugendärzte. Auch die Altersstruktur ist gut. Knapp die Hälfte sind jünger als 45 Jahre, 30 Prozent sind zwischen 45 bis 59 Jahren.
Amersbach: In den Regionen Marktheidenfeld und Karlstadt gibt es derzeit nach Einschätzung der KVB ausreichend Hausärzte, im Raum Lohr und Gemünden können sich Ärztinnen und Ärzte niederlassen. Die Lage wird sich in Zukunft verschärfen. Rund ein Drittel der Allgemeinmediziner in Bayern ist über 60 Jahre alt und wird in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen. Hier steht das Gesundheitswesen vor einem Wandel. Bei der jungen Ärzteschaft sind zunehmend Teilzeitarbeiter, kooperative Arbeitsmodelle und Angestelltenverhältnisse gefragt. Der Großteil der Medizin-Studierenden sind Frauen. Flexibilität muss möglich sein, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.
Amersbach: Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist Aufgabe der KVB, nicht des Landratsamts. Unsere Aufgabe und unser Interesse ist es, zu unterstützen, wo wir können. Über den Weiterverbildungsverbund Allgemeinmedizin gibt es beispielsweise die Möglichkeit, die gesamte Weiterbildung zum Allgemeinmediziner innerhalb des Landkreises zu absolvieren. Wir hoffen, viele der hier ausgebildeten Ärzte üben ihren Beruf dann auch anschließend im Landkreis aus. Im vergangenen Jahr hat das Landratsamt eine Klausurtagung für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Main-Spessart angeboten, um über die medizinische und pflegerische Versorgungslage im Landkreis und die prognostizierte Entwicklung zu informieren. Die "Gesundheitsregion plus" leistet ihren Beitrag, aber die grundlegende Weichenstellung zur medizinischen Versorgung muss auf anderer Ebene erfolgen.
Zu holen wir keine Fachkräfte und Ärzte nach Main-Spessart.