
Der Messerangriff in Aschaffenburg, bei dem zwei Menschen starben und drei schwer verletzt wurden, hat bundesweit für Entsetzen gesorgt. Der Täter, ein 28-jähriger Afghane, war mehrmals wegen möglicher Fremdgefährdung in die Psychiatrie gebracht und wieder entlassen worden. Wie kann das sein und warum?
"Weil uns der Staat das genau so vorgibt", sagt Prof. Dominikus Bönsch, Leiter des psychiatrischen Bezirkskrankenhauses Lohr mit Außenstellen in Aschaffenburg und Würzburg. Im Interview erklärt der Psychiater, warum eine Behandlung gegen den eigenen Willen kaum umsetzbar ist und weshalb es dringend eine andere Gesetzgebung braucht.
Prof. Dominikus Bönsch: Wir hatten in unserem Versorgungsgebiet, das sind vier Landkreise und zwei Städte in Unterfranken, im letzten Jahr 1700 Unterbringungen nach dem bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, kurz PsychKHG, wegen Fremd- und teils wegen Eigengefährdung. Von diesen 1700 Menschen kamen 1000 direkt von der Polizei und um die 400 über die Ordnungsämter mit Polizeibegleitung.
Bönsch: Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. In Bayern werden ungefähr doppelt so viele Menschen wie in anderen Bundesländern gegen ihren Willen in die Psychiatrie gebracht.
Bönsch: Wir sind darauf eingerichtet, das ist bei uns fast Tagesgeschäft. In Lohr bekommen wir ungefähr drei Zuweisungen von der Polizei pro Tag.
Bönsch: Genau hier liegt das Problem: Die Schwelle, jemanden in die Psychiatrie zu bringen, ist in Bayern durch das PsychKHG extrem niedrig. Deswegen gibt es viele polizeiliche Einweisungen. Aber die Schwelle, die Betroffenen weiterzubehandeln, unter anderem auch gegen ihren Willen, die ist wahnsinnig hoch. Das heißt, der Großteil dieser Patienten verlässt uns am nächsten Tag wieder. Von den 1700 Patienten, die wir in unserem Einzugsgebiet pro Jahr mit Fremd- oder Eigengefährdung bekommen, wird gerade mal ein gutes Dutzend am Schluss zwangsbehandelt.
Bönsch: Nein, Platz ist nicht der limitierende Faktor. Die Menschen werden entlassen, weil wir sie nicht gegen ihren Willen behalten dürfen. Sicher haben wir in der Psychiatrie eine hohe Nachfrage, aber wir hätten Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten.
Bönsch: Weil uns der Staat das genau so vorgibt. Die Kombination aus Gesetz und Rechtsprechung ist sehr unglücklich. Wir haben keine Handhabe, um jemanden, der nicht mehr akut fremdgefährlich ist, länger bei uns zu behalten und zu behandeln. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Mann ist aufgrund von Alkohol und Drogen aggressiv und wird von der Polizei zu uns gebracht, aber am nächsten Morgen ist er wieder nüchtern und klar bei Verstand – dann haben wir überhaupt keine Möglichkeit, ihn gegen seinen Willen festzuhalten.

Bönsch: Auch dann nicht, das wäre Freiheitsberaubung. Um einen Menschen gegen seinen Willen in der Psychiatrie behalten zu können, muss eine akute Notsituation vorhanden sein. Von einem Patienten muss akut eine erhebliche Gefährlichkeit ausgehen, zugleich muss er krankheitsbedingt nicht absprachefähig und einsichtsfähig sein – dann kann ein Richter die Unterbringung anordnen. Es nützt nichts, wenn wir jemanden langfristig als gefährlich ansehen. Es wird nur der Moment beurteilt.
Bönsch: Das ist es. Vor allem wissen wir aus der Erfahrung und der Summe der Fakten, wer potenziell gefährlich ist und wir wüssten, was in einer Behandlung funktionieren würde – aber wir dürfen nicht.
Bönsch: Wir brauchen eine andere Gesetzgebung. Das PsychKHG ist grottenschlecht. Und es muss sich möglicherweise auch in der Rechtsprechung etwas verändern. Das wird aber nicht mit einem Schnellschuss zu erledigen sein. Dafür brauchen wir zuerst die Diskussion: Was will die Gesellschaft an dieser Stelle?
Bönsch: Wenn jemand von der Polizei gebracht wurde, informieren wir alle Stellen unmittelbar von der Entlassung des Patienten.
Bönsch: Das hängt von der Polizei ab, was sie daraus macht.
Bönsch: Formal ist das nicht vorgesehen und an vielen Stellen gilt die Schweigepflicht. Die Frage dahinter ist: Wie eng sollen und dürfen Psychiatrie und Polizei zusammenarbeiten? Wir sehen uns als die Behandler der Patienten und ich denke, es ist sinnvoll, dass es eine Trennung zwischen der Arbeit der Polizei und der Psychiatrie gibt. Patienten müssen zu uns Vertrauen fassen. Problematisch ist, dass es nach der Entlassung kaum Hilfsangebote für die Betroffenen gibt.
Bönsch: Der Hilfeteil des PsychKHG existiert quasi nicht. Das Gesetz basiert auf dem Unterbringungsgesetz von 1982, nur wurden in den letzten 40 Jahren die Eingriffsmöglichkeiten der Psychiatrie radikal reduziert. Gleichzeitig hat man versäumt, ein Hilfsangebot aufzubauen, das dies auffangen könnte. Im PsychKHG genannt werden ausschließlich die Krisendienste. Menschen aber, die gefährlich sind, die regelmäßig mit der Polizei kommen, denen helfen die Krisendienste überhaupt nicht.
Bönsch: Wir bräuchten einen Ausbau der sozialpsychiatrischen Dienste, wir bräuchten aufsuchende Hilfen und gerade im Bereich Alkohol und Drogen mehr niederschwellige Angebote, die die Patienten langfristig begleiten.
Bönsch: Natürlich gab es danach Rufe nach mehr Härte, das PsychKHG sollte nachgeschärft werden. Lokal haben wir in Unterfranken auch einige Arbeitsgruppen ins Leben gerufen. Aber auf Ebene der Gesetzgebung hat sich nichts verändert.
Bönsch: Der Hauptrisikofaktor für solche Taten ist die schizophrene Erkrankung in Kombination mit Alkohol- und Drogenkonsum und männlichem Geschlecht. Migration ist sicher ein zusätzlicher Risikofaktor, weil sie immer für psychiatrische Erkrankungen prädestiniert. Es hätten in Aschaffenburg und Würzburg aber genauso gut deutsche Patienten sein können. Diese Gefahr geht nicht per se von Menschen mit Migrationshintergrund aus. Tatsächlich sehe ich aber auch, dass es für diese Gruppe zu wenig Versorgung gibt. Das liegt zum Teil an der Sprachbarriere, denn über einen Dolmetscher wird eine Therapie nie so gut funktionieren wie in der Muttersprache. Und man muss ehrlich sagen: Jahrelang in Auffanglagern oder Asylbewerberheimen zu leben ist definitiv nicht gut für die psychische Gesundheit. Wir lassen geflüchtete Menschen da ziemlich allein.
Bönsch: Wir müssen über bessere und andere Hilfsangebote nachdenken. Und wir müssen darüber sprechen, wie es möglich wird, bei potenziell gefährlichen Menschen früher eine Behandlung gegen den Willen durchzusetzen. Ich persönlich glaube, dass wir die Gruppe von Menschen, die wir zumindest initial gegen ihren Willen behandeln können, vergrößern sollten. Dazu braucht es eine Diskussion, die die betroffenen Grundrechte neu austariert: Wie können wir als Gesellschaft Freiheit gegen Behandlungsbedürftigkeit abwägen?
Herr Bönsch redet im Interview ausschließlich über "Psychiatrien" und akute "Eigen- oder Fremdgefährdung". Diese Beurteilung trifft ein Arzt, auf Basis eines direkten "Eindrucks". Wenn er eine solche "Gefährdung" akut nicht sieht: Entlassung!
Wenn jedoch ein Straftäter mehrfach - wie hier vorliegend - körperliche Gewalt anwendet und offenkundig anhaltend bzw. wiederkehrend massiv psychisch auffällig ist, dann ist hierfür NICHT mehr die Allgemeinpsychiatrie zuständig - sondern das Gericht und der forensische Maßregelvollzug!
So einfach ist das - und mir ist nicht ganz klar, warum - nach Würzburg 25.06.2021 - zum zweiten Mal ausschließlich auf die insoweit irrelevante Thematik "Psychiatrie" und PsychKHG abgehoben wird, sowohl von den Medien als auch den regionalen Zuständigen.
Was soll das? Und im Forum wird jeder Unsinn als "Expertise" ausgegeben....
Dadurch verschlimmert sich der Zustand und nach Entlassung ist die Gefahr größer als zuvor. Sowohl für andere, als auch für die Person selbst (Suizid...).
Deshalb darf man es gar nicht erst so weit kommen lassen.
Die Leute in großer Zahl her holen bzw rein lassen und dann, weil sie nicht bleiben können, man aber auch mit der Rückführung überfordert ist, die in Unterkünften versauern lassen führt in Kombination mit dem Erlebten zwangsläufig gehäuft zu Problemen. In einigen Fällen gipfelt das in Attentaten.
Auf Verdacht Leute einsammeln und zeitweise Wegsperren ist Augenwischerei. So löst man keine Probleme.
Der Grund warum der Staat hier die volle Verantwortung für Aschaffenburg zu übernehmen hat. Hürden liegen bei Fremdgefährdung hoch, aber Ladendiebe können problemlos für 6 Monate (!!!) im Schnellverfahren eingesperrt werden. Bei Kleindelikten keine Hürden.
Bananrepublik Deutschland.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Bullmann, MPA
Auch dieser Vorhalt weist in die richtige Richtung: sowohl bei Fremdgefährdung als auch bei Ladendiebstahl ist die gleiche Behörde zuständig: die Staatsanwaltschaft.
Der Unterschied: bei Ladendiebstahl kann sie die Verantwortung nicht an irgendwelche Ärzte weitergeben - und behaupten, die Verantwortung liege bei der "Psychiatrie".
Falsche Frage! Die richtige lautet: warum war dieser abgelehnte Asylbewerber immer noch im Land?
Warum findet man von 2022 bis 2025 keine Lösung, ihn in die Heimat zurückzuführen sodass er letztendlich hier in diversen Unterkünften perspektivlos sein Dasein fristete, psychische Probleme bekam und zum Doppelmörder (gemacht?) wurde ?
Hätte man ihn eingesperrt, wäre das vorübergehend gewesen und er hätte danach die gleiche oder gar eine schlimmere Tat begehen können.
Oder meinen Sie, man sollte alle Fälle, wo ein Verdacht besteht, die könnten irgendwann ausrasten, dauerhaft einsperren ?
Das ist aber ziemlich Ausländerfeindlich von Ihnen.
Was eine "schlimmere Tat" sein sollen, wissen vermutlich nur Sie. Denken Sie einmal darüber nach, was Sie hier schreiben!
Es gibt in Deutschland ein System, das nennt sich forensischer Maßregelvollzug. Dort werden psychisch kranke Straftäter mittels Gerichtsurteil solange untergebracht, bis mittels Prognosegutachten und Strafvollstreckungskammer festgestellt wird, dass keine "Gefahr für die Allgemeinheit" mehr besteht. Genau dort befindet sich der Mann jetzt, für die Kosten hat der bayerische Staat aufzukommen, nachdem es zwei Todesopfer und Verletzte gab. Diese Maßnahme wäre bereits zuvor angezeigt gewesen, mehrere Körperverletzungsdelikte/Widerstand gegen Polizeibeamte sind "erhebliche" Straftaten im Sinne des § 126a StPO.
Was genau verstehen Sie eigentlich nicht?
Offenbar zeigte er sich bei jeder Begutachtung einsichtig, so dass Fachleute zu dem Schluss kamen, dass man nicht die Rechtfertigung habe, ihn gegen seinen Willen wegzusperren.
Insofern hätte man ihn auf anderem Wege auch nicht wegsperren können. Oder nur vorübergehend.
Danach kommt er raus, mit all dem angestauten Frust und Rachegedanken.
Was will man so erreichen ?
Dagegen gab es die Möglichkeit, ihn schon bald nach Ankunft ins Erstaufnahmeland Bulgarien zurück zu schicken.
Auch in die Heimat Afghanistan hätte man ihn bringen können. Ging bei den 28 Straftätern des PR-Abschiebeflugs (kurz vor 2 Ost-Landtagswahlen) doch auch. Warum soll es dann nicht mit anderen Afghanen ohne Bleibeperspektive möglich gewesen sein ?
Mein Kommentar
"Enamulah O. ist 2022 illegal eingereist.
Hätte man ihn an der Grenze zurückweisen können..."
ist mit weitem Abstand der mit den meisten "gefällt mir" Klicks (29). Und das obwohl er nur eine Antwort (an Herrn Koch; 17 "gefällt mir") ist.
Vielleicht kann sich Mitforist Deeg und andere zu dem Umstand mal Gedanken machen.
-
PS:
Wie sich zeigt, will der Wähler wohl endlich Handlungen sehen und nicht mit Schönreden abgespeist werden
https://www.tagesspiegel.de/politik/trotz-kritik-von-scholz-kritik-mehrheit-der-spd-wahler-unterstutzt-laut-umfrage-merz-asyl-stopp-13091047.html
PS:
Und der Union hat der Versuch, den Wählerwillen als Antrag bzw Gesetz in den Bundestag zu bringen (auch wenn für den Erfolg die AfD Stimmen erforderlich waren/erforderlich gewesen wären) nicht geschadet.
https://www.mainpost.de/ueberregional/politik/inland/deutschlandtrend-streit-um-afd-stimmen-schadet-union-nicht-art-11707130?wt_mc=redaktion.taboola.azol
Ist das Ihr Thema: persönliche Zustimmung?
Ihre Kommentare lese ich - wenn überhaupt - nur noch quer, Ihr "Framing" ist für das Thema absolut bedeutungslos.
Gabriele Rosenkranz-Höhn
Beim PsychKHG wird polizeilich vorgeführt, der Arzt beurteilt "Eigen-/Fremdgefährdung": ja/nein.
Der Betreffende kommt entweder gleich wieder raus oder eben nach kurzer "Beobachtungszeit" in überfüllten Psychiatrieabteilungen. Eine Therapie oder was Sie sich vorstellen, findet nicht statt...
Nach einigen Wochen und beim nächsten "Vorfall" dann das gleiche Spiel.
Wie Sie im Artikel aus erster Hand erfahren, scheitert es nicht an überfüllten Abteilungen, sondern einzig an der rechtlichen Situation mit den hohen Hürden.
Trotz der rechtlichen Hürden sind die Abteilungen überfüllt!
Bönsch: Nein, Platz ist nicht der limitierende Faktor. Die Menschen werden entlassen, weil wir sie nicht gegen ihren Willen behalten dürfen. Sicher haben wir in der Psychiatrie eine hohe Nachfrage, aber wir hätten Behandlungsmöglichkeiten für diese Patienten.
Noch Fragen ?
Wer sich wegen Überbelastung von sozialen, medizinischen oder auch gerichtlichen Einrichtungen Sorgen macht, sollte womöglich bei den Punkten Grenzkontrollen, Zurückweisungen und Abschiebungen seine sture Schwarz-Weiß Haltung überdenken...
….“Der 28-Jährige, der diesmal in Hand- und Fußfesseln vorgeführt wird, befindet sich seit über sechs Jahren in der Forensik eines unterfränkischen Bezirkskrankenhauses. „….
https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/psychisch-kranker-soll-pfleger-mit-eisenstange-angegriffen-und-eine-schneise-der-verwuestung-hinterlassen-haben-art-11706757
Weshalb hat der Angriff des Täters von Aschaffenburg auf die Polizeibeamten im Mai 2024 nicht zu solchen Maßnahmen geführt - stattdessen wurde er wieder laufen gelassen. Bis zu nächsten Attacke zwei Monate später, wobei er auch seinen Kopf auf den Boden schlug. Und es geschah wieder: nichts….