
Eigentlich sollte es schon 2021 einen großen historischen Faschingsumzug geben. Die Corona-Pandemie sorgte für den Aufschub des Plans, 500 Jahre Fasenacht in Rieneck zu feiern. Ein Jahr Vorbereitungszeit braucht der besondere Zug laut Andreas Czerny von der IG Brauchtum und Kultur, sodass die Planung für 2022 ebenfalls zu ungewiss war. Doch auch 2023 wird es keinen historischen Umzug geben.
Auch in diesem Jahr fehlte die Vorbereitungszeit, berichtet Czerny, 1. Vorsitzender der IG, die seit 2015 den Hut in Sachen Umzug auf hat. "Das sollte ein riesen Zug werden", sagt Czerny. "Aber wie schaffen Sie das, wenn Sie heute vor einem Jahr noch nicht wussten, was wird? Wir fangen mit der Organisation bei null an."
Interesse am alten Format ließ nach
"Wir wollten mit dem historischen Zug etwas Neues in Rieneck installieren", erklärt Michaela Essert von der Arbeitsgruppe Fasenacht der IG Brauchtum und Kultur. "Überall gibt es Faschingsumzüge und Prunksitzungen, wir sind vergleichbar geworden", sagt Czerny. "Dann müssen sie sich auf das besinnen, was im Ort anders ist als in anderen Ortschaften." Auch sei der "normale" Fasenachtszug jedes Jahr schwächer geworden, weil immer weniger Leute mitgemacht haben. Und "es standen immer weniger Leute am Straßenrand. Wenn da noch Euphorie gewesen wäre, hätten wir den durchgeführt", so Czerny.
Zudem hat sich der Umzug wirtschaftlich nicht mehr getragen, wie Fabian Hörnis, Präsident des Rienecker Faschingskomitees (RFK), berichtet. Also entwickelte die IG ein neues Konzept mit Umzug am neuen Termin zehn Tage vor Fasching, initiiert durch den großen historischen Zug, mit einem Rosenmontagsball und einem Narrentag am Faschingsdienstag.
Trotz aller Pläne steht dieses Jahr am Faschingsdienstag nur der Narrentag im Rienecker Überzug auf dem Programm. Das Motto: "Narren gehen verkleidet im Rienecker Überzug von Haus zu Haus – so will es der Brauch." Dieser Rienecker Brauch ist alt: Historische Fotos aus dem 20. Jahrhundert zeigen, wie sich Menschen im Bettüberzug und mit Maske durch den Ort bewegen.

In den angesteuerten Häusern müssen die mehr oder weniger freiwilligen Gastgeber und Gastgeberinnen die "Rumtreiber" so lange bewirten, bis sie die Leute hinter den Masken erkennen. So erzählt es RFK-Präsident Hörnis aus seiner Erinnerung der letzten 30 Jahre. In den vergangenen Jahren sei der Brauch allerdings eingeschlafen, berichtet er.
Straßenfasenacht im Rienecker Überzug
In diesem Jahr treffen sich die Narren wieder im Rienecker Jubiläumsüberzug oder einfach im Bettlaken am 21. Februar um 13.30 Uhr am Bürgerzentrum. Nach einer Einführung in die Tradition dieser Straßenfasenacht und dem Einüben kleiner Lieder ziehen die Teilnehmenden in einer Polonaise durch den Altort und in Gruppen zu den Häusern. "Wir rechnen mit 100 bis 150 Narren", berichtet Czerny, "wenn es mehr werden, noch besser."
Wichtig ist der IG Brauchtum und Kultur, dass viele Musikerinnen und Musiker bei der Straßenfastnacht mitmachen, anstatt Musik aus der Box laufen zu lassen. Was dann passiert, "das können Sie nicht planen", sagt Czerny. Bisherige Proben versprechen jedoch eine echte Gaudi.
Etwa ein Dutzend Stationen gibt es, erkennbar an Reisigbesen. "Jeder kann teilnehmen", sagt Czerny. "Es geht darum, diese Tradition dem Zeitgeist anzupassen und in die Zukunft mitzunehmen." Auch der Narrentag war ursprünglich für 2021 geplant. Deshalb gibt es Jubiläums-"Üwerzüch", die sich laut Czerny schon gut verkauft haben. Für Kinder gibt es ebenfalls einen Überzug und eine eigene Route zu drei bis vier Häusern. Nach dem Narrentreiben gibt es eine Faschingsparty am Rathaus mit Livemusik ab 14.30 Uhr und Partymusik ab 16 Uhr. Für die Kinder ist ab 15 Uhr eine eigene Feier im Bürgerzentrum geplant.

"Wir wollen gerne das Jahr 2023 nutzen, um eine Sache neu anzugehen", sagt Essert. "Es hat ja keinen Sinn, alles umzukrempeln in einem Jahr. Das wäre zu viel." Deshalb auch der Start mit dem Narrentag. Gerade nach Corona sei wichtig, sagt Essert, einander wieder zu begegnen. "Was verloren gegangen ist: Dass Leute einander einfach in ihr Haus gelassen haben. Ein kleiner Ort braucht, dass die Leute sich kennen." Auch, um neue Mitbürgerinnen und Mitbürger zu integrieren, ergänzt Czerny.
Was 2024 passiert, ist noch nicht sicher. Die IG Brauchtum und Kultur will den großen Zug nicht im Jahr 2024 veranstalten, da die Faschingssession in dem Jahr sehr kurz ist. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer und Tanz- und Musikgruppen könnten dann schon ausgebucht sein.
Engagement jederzeit möglich
Das große Jubiläumsprogramm kommt also in Häppchen. Doch in Rieneck sind nicht alle zufrieden damit. "Es gibt Leute, die sich mordsmäßig aufregen, dass kein Zug stattfindet", berichtet Hörnis vom RFK. Manche würden über die Organisatoren und Organisatorinnen öffentlich herziehen, ihnen Faulheit und böse Absichten unterstellen. "Die haben keine Ahnung, was da für eine Arbeit hinter steckt. Die Leute, die das organisieren, machen das im Privatleben. Wie sie angegangen werden, finde ich ungerecht", sagt Hörnis. "Wenn man was ändern will, muss man sich selber engagieren. Da hat jeder Rienecker zu jeder Zeit die Chance."

Der Großteil im Ort sei jedoch nicht sauer, nur ein wenig enttäuscht. "Persönlich hätte ich mir auf jeden Fall einen Umzug gewünscht", sagt Hörnis – idealerweise schon zum neuen Termin zehn Tage vor dem Faschingsdienstag. "Es gibt für viele Dinge Ideallösungen, die in der Praxis nicht umsetzbar sind. Die Leute, die den Zug hätten organisieren müssen, haben ja auch einen Grund, warum sie es nicht machen."
Vorfreude auf den Narrentag
Auf den Narrentag im Überzug freut sich der Präsident, kennt er das Treiben doch aus eigener Erfahrung. "Da gibt es die schönsten Stories, was so alles passiert ist." Er findet gut, dass diese Tradition wieder belebt wird. "Diese Veranstaltung bereichert Rieneck enorm. Sie kann dazu beitragen, dass Leute Lust haben, es wie früher zu machen."

Ähnlich sieht es der Bürgermeister Rienecks, Sven Nickel (FB). Bei ihm komme an, dass es viele Leute schade finden, dass es keinen Umzug gibt. "Ich hätte auch gerne einen Faschingszug gehabt. Man muss aber auch akzeptieren, wenn man die IG sagt: Wir probieren ein anderes Konzept." Den Narrentag findet er eine "richtig, richtig geniale Idee. Das ist, was den Straßenfasching in Rieneck, die alte Fasenacht, ausmacht. Diese Veranstaltung gefällt mir richtig gut, ich bin gespannt was da raus kommt." Ob er selbst mitgeht bei der Polonaise? "Ja, klar!"
Einerseits ist das oft nur noch eine Brauchtümelei, die gerade noch fürs Museum oder besser noch fürs Mausoleum gut ist, andererseits wird das viel zu oft als Vorwand um ungezügelt proletenhaft über die Stränge zu schlagen genutzt.
So oder so - in einer modernen, weltoffenen Gesellschaft wird "so altertümlicher Kram" von vorvorgestern von ganz alleine verschwinden.
Das habe ich mittlerweile schon so oft gehört, dass es schon ziemlich "Asbach Uralt" sein dürfte.