Harmlos ging die Debatte los, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten im Lohrer Stadtrat hochschaukelte. In seiner konstituierenden Sitzung hatte der neue Stadtrat nach der Kommunalwahl eine neue Geschäftsordnung beschlossen. Die große Änderung: Die Tagesordnung der Sitzung wird seitdem nur noch in kurzen Stichworten vor der Sitzung veröffentlicht. Zuvor konnten interessierte Bürger und die Presse die gesamten Sitzungsvorlagen, die auch den Ratsmitgliedern zur Verfügung stehen, vor der Sitzung herunterladen.
Wie viele Informationen brauchen Presse und Bürger im Vorfeld, und wie viel Information ist erlaubt? Die Mehrheit der Stadträte scheint ihre Meinung dazu geändert zu haben, mehrmals haben Stadtratsfraktionen im letzten Dreivierteljahr versucht, Bürgermeister Mario Paul zur Rückkehr zur bisherigen Praxis zu bewegen. Ohne Erfolg.
Im Interview erklärt Paul, warum er an seinem Standpunkt festhält und wie er mit Kritik umgeht.
Mario Paul: Ja. Grundsätzlich, ja. Man weiß im Vorfeld, als Lohrer Bürgermeister stehst du in der Öffentlichkeit. Woran man sich immer wieder gewöhnen muss, ist das Thema: Wie wird man neben dem Amt als Mensch gesehen? Passt das Bild, das die Öffentlichkeit von mir hat, auch zu mir als Mensch?
Paul: Ja, das ist schon so. Man lernt mit seinen Aufgaben. So manche Debatte bereitet einem Magengrummeln, wenn man sie das erste Mal erlebt. Belastend wird es, wenn man sowas mit nach Hause trägt. Mir ist es immer gelungen, aus solchen Debatten gestärkt herauszugehen, persönlich und ich meine auch im politischen Sinn.
Paul: Das war ja nicht meine Idee, ich habe mir nicht gesagt, in der nächsten Wahlperiode machen wir alles anders und, salopp gesagt, den Informationsfluss zur Presse kappen wir jetzt. Sondern es gab ein neues Geschäftsordnungsmuster des Bayerischen Gemeindetags. Darin stand erstmals eine eindeutige Empfehlung, Sitzungsunterlagen – auch wenn sie gekürzt, geschwärzt und datenschutzrechtlich bereinigt sind – nicht herauszugeben an die Öffentlichkeit und die Presse.
Wir haben das mit den Stadtratsfraktionen besprochen und die erste einhellige Meinung war, jawohl, das nehmen wir in unserer Geschäftsordnung auf. In der konstituierenden Sitzung gab es Nachfragen dazu, ich habe meine Sicht nochmal erläutert, dann gab es einen einstimmigen Beschluss.
Paul: Wir haben dann nochmal recherchiert und in die entsprechenden Ursprungstexte zum Beispiel vom Bayerischen Innenministerium und dem Landesdatenschutzbeauftragten hineingeschaut. Das hat mich in meinem Entschluss gestärkt, dass es das klügste und rechtssicherste ist, an der neuen Praxis festzuhalten.
Die Empfehlung des Gemeindetags sind vielleicht die rechtssicherste Variante – verboten ist die Weitergabe von Sitzungsunterlagen jedoch nicht.
Paul: Es stimmt, es ist rechtlich nicht ausgeschlossen, dennoch Stadtratsunterlagen im Vorfeld herauszugeben. Es ist aber genauso richtig, dass gewichtige Stellen im Freistaat, das Innenministerium und der Landesdatenschutzbeauftragte, die Empfehlung aussprechen, es nicht zu tun.
Paul: Wir müssen hier festhalten: Das sind Sitzungsunterlagen, die der Stadtrat und die Verwaltung benötigen, um Entscheidungen zu treffen. Was der Stadtrat angeregt hat, war, dass ich als Bürgermeister, in dessen Zuständigkeit Öffentlichkeitsarbeit fällt, diese Unterlagen dennoch herausgebe. Wenn ich das tue, muss ich dafür Sorge tragen, dass damit nichts schiefgehen kann – und das in dem Wissen, dass es die klare Empfehlung gibt, es nicht zu tun.
Das heißt, das persönliche Risiko ist Ihnen an der Stelle zu groß, weil Ihr Verantwortungsbereich betroffen ist?
Paul: Richtig. Was muss ich als Bürgermeister tun? Ich muss die Unterlagen auf Datenschutz überprüfen, aber ich bin kein Datenschutzexperte. Eine Fachkraft muss eine Einzelfallprüfung jedes Dokuments vornehmen und es aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten – vor allem aus der Perspektive des potenziell Betroffenen, dessen Daten veröffentlicht werden. Das heißt, man bräuchte jemanden, der jede Sitzungsunterlage, bevor sie herausgeht, scannt. Und das ist bei der Größe unseres Rathauses schlechterdings nicht möglich.
Paul: (Zögert) Das ist schwierig. Die Geschäftsordnung wurde ja zunächst einstimmig beschlossen, dann gab es bei manchen Kollegen einen Sinneswandel. Ich bin nicht kritikunfähig, aber ich habe Überzeugungen und Rechtsauffassungen. Möglicherweise ist der eine oder andere Stadtrat nach wie vor in dieser Sache nicht zufrieden. Das ist sein gutes Recht, aber hier endet dann die Zuständigkeit des Stadtrats. Bei der Öffentlichkeitsarbeit stehe ich ganz alleine in der Verantwortung.
Wir müssen hier unterscheiden zwischen dem rechtlich-sachlichen und dem politischen. Und da hatte ich schon den Eindruck, dass es politisch auch dem ein oder anderen opportun erschien, "den Paul" in eine bestimmte intransparente Ecke zu schieben.
Paul: Da hieß es, warum macht er das jetzt, will er dem Stadtrat und der Presse eins auswischen? Das ist Quatsch. Ich bin schon lange in den Sozialen Medien aktiv, weil es immer schwieriger wird, die Menschen zu erreichen, speziell in einer Pandemie.
Zum Post über den Inklussionsspielplatz, der während der Sitzung veröffentlicht wurde, gab es eine Anfrage von Stadtratsmitgliedern an die Rechtsaufsicht im Landratsamt. Sie kann in dem Facebook-Post keinen Rechtsverstoß erkennen. Da habe ich mir schon gedacht: Das sind eigentlich keine rechtlichen Fragen, die wir hier haben, sondern politische. Wenn man dann mit einer Person wie Trump verglichen wird – da frage ich mich, ist dies das Miteinander, dass wir pflegen wollen?
Paul: Ich habe schon vor der Debatte im Stadtrat gesagt, wir könnten den Newsletter wieder nach vorn bringen und das könnte unsere rechtssichere Informationsquelle für die Zukunft sein. Früher haben etwa 30, höchstens 40 Menschen die Unterlagen im Vorfeld einer Stadtratssitzung abgerufen. Der Newsletter hatte Mitte Januar 411 Abonnenten.
Paul: Jein. Alle Informationen in den Newsletter zu packen wäre widersinnig. Außerdem richtet sich die Sitzungsunterlage an die Stadträte, die Sachverhalte seit Jahren kennen. Viele Bürgerinnen und Bürger dagegen empfinden eine solche verklausulierte Fachsprache aber als sperrig. Deshalb haben wir dann beschlossen, den Inhalt aufzubereiten. Der Aufwand muss aber für uns handhabbar bleiben.
Wenn der Bürger sich für ein Thema interessiert oder betroffen ist – und das kann er durch den Newsletter glaube ich sehr gut einschätzen – dann geht er in die Sitzung und hört sich die Präsentation und die Debatte an und nicht nur Ausschnitte aus der Sitzungsvorlage.
Paul: Nein, er ist beides.
Die Geheimhaltung der Stadtratsunterlagen einerseits und die neue Kommunikation über Newsletter und Facebook andererseits – diese Kombination hat den Eindruck entstehen lassen, dass Sie sich von der Presse unabhängig machen und sich parallel eine eigene Nachrichtenwelt aufbauen wollen.
Paul: Das habe ich so noch nie gesehen, das war auf keinen Fall beabsichtigt. Mir geht es darum, den Bürger überhaupt noch zu erreichen – das muss Ziel jeder Kommune sein. Der Newsletter dümpelte jetzt eine Zeitlang vor sich hin, auch auf Facebook bin ich schon seit Jahren. Wenn es den neuen Passus im Geschäftsordnungsmuster nicht gegeben hätte, würden wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Sitzungsunterlagen noch genau so veröffentlichen, wie die Jahre zuvor auch.