Ein Seifriedsburger als Gemündener Bürgermeister war lange in etwa so undenkbar wie ein Bayer als Bundeskanzler. Aber Jürgen Lippert (Bündnis für Bürgernähe) sitzt nach seinem Überraschungscoup vor sechs Jahren fest im Sattel. Obwohl ihm als Bürgermeister viel Zeit für Familie, Hobbys und Freunde fehlt und er zu Hause nach einem sehr langen Arbeitstag von seiner Frau auch schon mal ein "ich wähl dich nicht mehr" zu hören bekommt, tritt er wieder an. "Ich hab mir's gut überlegt." Einen Gegenkandidaten hat er diesmal nicht. Das lasse ihm mehr Zeit für Sacharbeit, sagt er.
Als Bürgermeister ist Lippert ein anderer als er es früher als Fußballer war. In der Saison 2004/05 hieß es nach einem Spiel des FV Karlstadt II gegen den SV Seifriedsburg: "Jürgen Lippert musste wegen Schiedsrichterbeleidigung vom Platz." Die nach seiner Erinnerung insgesamt zwei oder drei roten Karten in seiner Spielerkarriere seien natürlich allesamt unberechtigt gewesen. Wobei Lippert, inzwischen 53, bekennt: "Ich war schon e weng ein Hitzeblitz auf dem Platz." Als Rathauschef kennt man ihn eher als besonnenen und sachlichen Zeitgenossen.
Lipperts Ansporn zur ersten Kandidatur: "So kann es nicht weitergehen"
Wie war das 2014? Warum ist er, der damals eine Periode im Stadtrat war, als Bürgermeisterkandidat angetreten? "Angetreten bin ich, weil ich gesagt hab, so kann es nicht weitergehen." Das Amt habe sich der Verwaltungsfachmann natürlich zugetraut, sonst hätte er nicht kandidiert. Aber von vielen habe er gehört, er, der Hallenbad-Gegner, der vor allem sparen will, aber ansonsten unbekannt ist, sei chancenlos – gerade als einer aus dem "Rebellendorf" Seifriedsburg. Anfangs habe der Außenseiter "niemals" gedacht, dass er es tatsächlich schafft gegen drei Gemündener, aber er hat sich immerhin gesagt: "Das wollen wir doch mal sehen."
Erst als er von den rund 1000 Besuchern nach der Main-Post-Podiumsdiskussion in der Scherenberghalle gute Noten bekam, witterte er tatsächlich eine Chance. Er schaffte es gegen Inge Albert (FW-FB/SPD/Ökokreis) in die Stichwahl und gewann diese denkbar knapp mit 49 Stimmen Vorsprung.
Lippert sieht Gemünden als Wohnstadt
Lipperts Mantra ist: Die Schulden müssen runter. Immerhin hat er sie seit seinem Amtsantritt um 24 Prozent verringern können, sein Ziel waren 30 Prozent in sechs bis acht Jahren. "In Gemünden müssen wir den Euro nicht nur einmal, sondern drei-, viermal umdrehen." Was gäbe er nicht für zwei Millionen mehr an Gewerbesteuer. Aber so, wie es eben ist, tun auch 100 000 Euro für eine höhere Kreisumlage der Stadt "weh, aber richtig weh", sagt der Bürgermeister. Da keine Gewerbeflächen da sind, setzt er auf Gemünden als Wohnstadt – und Einnahmen aus der Einkommensteuer.
Er glaubt nicht, dass er sich in der Zeit als Bürgermeister verändert hat. Er ist der, der er immer war, sagt er. Bei ihm wüssten die Leute, woran sie sind. "Ich komme vom Dorf", erklärt Lippert, dort könne er sich nicht verstellen.Versprechungen mache er grundsätzlich keine. Seine ruhige, sachliche, unkomplizierte Art und seine Sachkenntnis werden von Stadträten und Rathausmitarbeitern gleichermaßen geschätzt. Er weiß wiederum zu schätzen, dass es in seiner Amtszeit im Stadtrat keine Zerrereien gegeben hat.
Nur einmal erlebte Lippert Unsachlichkeit
Auch von den Bürgern außerhalb der "Bergdörfer" fühlt er sich gut angenommen. Der Vorfall bei einer Demo für die Mühltorbrücke, als er wegen Buhrufen und Pfiffen auf dem Absatz kehrtmachte, sei der einzige Fall gewesen, in dem mit ihm unsachlich und unfair umgegangen worden sei. "Ich glaube, mittlerweile weiß jeder, dass man mit mir reden kann." Lippert ist trotz vieler anspruchsvoller Projekte, allen voran die Mainbrücke, die ihm auch schlaflose Nächte bescherte, zufrieden mit dem Erreichten in den vergangenen sechs Jahren.
Lippert hofft, dass das Thema Mainbrücke, die an den Landkreis übergehen soll, in seiner zweiten Amtsperiode endgültig abgeschlossen wird. Als große Projekte erwartet er die Scherenberghalle, bei der die Entscheidungsgrundlage noch zu dünn sei, und das Baugebiet Mühlwiesen II. Zum Ausbau der Verbindungsstraße nach Massenbuch sagt Lippert, dass der in den nächsten vier Jahren sicher nicht komme. "Ich wüsste nicht, wo das Geld dafür herkommen soll."
Urlaub ist dem Bürgermeister heilig
Was ihm in seinem Amt wirklich abgeht, ist die fehlende Freizeit. Wirkliche Freizeit beschränke sich auf seine 30 Tage Urlaub. Lippert: "Ich zähle mein Stunden nicht, aber meinen Urlaub nehme ich bis auf den letzten Tag." Urlaub bedeutet im Hause Lippert mit dem Wohnmobil unterwegs zu sein, am liebsten nach Südtirol. Wenn er Urlaub hat, dann müsse er weg, dann brauche er mal was anderes. Aber natürlich ist er auch dann immer erreichbar. Am Ende des Sommerurlaubs muss er schon wieder Stadtratssitzungen vorbereiten. "Als Bürgermeister ist man 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag Bürgermeister." Und nicht immer sei es die reine Freude. Was sich der Vater von drei erwachsenen Kindern nicht nehmen lässt, ist das Musizieren in der Musikkapelle Seifriedsburg.
Und dann kandidiert er jetzt auch noch für den Kreistag. Dass er nicht längst schon drin ist, ärgert ihn etwas. Der Hintergrund: "Als Landkreisbediensteter kann man nicht in den Kreistag." Vor seiner Amtszeit hat Lippert im Landratsamt gearbeitet. Als Gemündener Bürgermeister hätte er aber doch reingekonnt. Ihm habe damals auch die Anbindung an eine Partei gefehlt, sagt Lippert. Jetzt, wo er Bürgermeister ist, sei er von mehreren Parteien und Wählergruppen angesprochen worden. Er entschied sich für die Freien Wähler. Lippert findet es wichtig, dass auch der strukturschwache Raum Gemünden im Kreistag gut vertreten ist.