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Lohr
Eberhard Sinner wird 75: "Ich kämpfe, wo es sich lohnt"
Gelassenheit scheint sein zweiter Vorname zu sein. Im Interview sagt der Staatsminister a.D. ungeschminkt, was er von Söder und Seehofer hält - und wofür er noch kämpft.
Nicht nur wenn Gattin Uta Sinner in der Zweitwohnung in Bad Kissingen weilt, steht Staatsminister a.D. Eberhard Sinner selbst am Herd in der Küche seines Hauses in der Rechtenbacher Straße in Lohr: Er kocht gerne. 
Foto: Roland Pleier | Nicht nur wenn Gattin Uta Sinner in der Zweitwohnung in Bad Kissingen weilt, steht Staatsminister a.D. Eberhard Sinner selbst am Herd in der Küche seines Hauses in der Rechtenbacher Straße in Lohr: Er kocht gerne. 
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 19.10.2020 10:35 Uhr

Zum Interview anlässlich seines 75. Geburtstags kommt er natürlich mit Wastl – seinem sechsten Rauhaardackel – an der Lederleine, in einer dicken Wolljacke aus Estland, direkt von einer Sitzung des Kreistags Main-Spessart, dem er seit 41 Jahren angehört. Eberhard Sinner war 27 Jahre lang Landtagsabgeordneter, davon fast acht als Minister, drei als Leiter der Staatskanzlei.

Dem Lohrer Stadtrat gehörte der frühere Leiter des Forstamts Gemünden 18 Jahre lang an. Aktuell ist er immer noch Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes Main-Spessart, Mitglied des Kuratoriums Kissinger Sommer an seinem Zweitwohnsitz in Bad Kissingen, Präsident des Ost-West-Wirtschaftsforums Bayern und aktiver Jäger im Revier Rothenfels. Das Interview knüpft an an jenes, das die Redaktion vor fünf Jahren zum 70. mit ihm führte.

Frage: Vor fünf Jahren feierten Sie Ihren Geburtstag in Istanbul ...

Eberhard Sinner: ... und hinterher ist da bei einer deutschen Touristengruppe eine Bombe hochgegangen. Als Individualreisender schwimmt man in dem Strom mit, das ist kein Thema. Aber man denkt schon: Da warst Du – Glück gehabt ...

... und zum Geburtstag Ihrer Frau Uta drei Monate später flogen Sie dann nach Venedig ...

Sinner: ... ja, da ist jetzt alles überschwemmt (lacht).

Eberhartd Sinner und das Lohrer Schneewittchen Maria Breitenbach überreichen Ministerpräsident Horst Seehofer 2013 beim Staatsemfang in Würzburg einen Lohrer Fabulologenwein. 
Foto: Theresa Müller | Eberhartd Sinner und das Lohrer Schneewittchen Maria Breitenbach überreichen Ministerpräsident Horst Seehofer 2013 beim Staatsemfang in Würzburg einen Lohrer Fabulologenwein. 

Sie sind beide Male geflogen. Hat Fridays for Future Ihr Verhältnis zum Fliegen verändert?

Sinner: Beruflich war ich ein Vielflieger. Wenn Sie Brüssel, München, Berlin machen, funktioniert das gar nicht anders. Aber Uta ist zum Beispiel immer mit dem Zug nach Brüssel gefahren, das ging auch ganz gut. In den Urlaub flogen wir in den letzten Jahren so gut wie nie, da hätte es nicht Fridays for Future gebraucht. Von der Interessenlage her sind wir jetzt eher mit dem Wohnmobil unterwegs, Shetland und Orkney noch einmal im nächsten Frühjahr (lacht) – um die Schotten nach dem Brexit zu trösten.

  • Welche Resonanz die Klima-Demonstration in Lohr hatte, lesen Sie hier

Großes Streit-Thema vor fünf Jahren war die Schneewittchen-Statue von Peter Wittstadt, auch wenn sie erst zwei Jahre später aufgestellt wurde. Wie sehen sie die Diskussion heute?

Sinner: Ich finde die ganze Diskussion toll im Sinne von Identitätsstiftung und dass sich die Lohrer mit der eigenen Stadt befassen, auch wenn es mit der Geschichte der Stadt nullkommanull zu tun hat. Die Lohrer haben sich mehr identifiziert und jeder hat einen Beitrag dazu geleistet. Heute haben viele Lohr auf dem Bildschirm, weil sie mit dem Schneewittchen in Berührung gekommen sind. Das wäre ohne Wittstadt nicht gegangen. Ein banales Schneewittchen hätte keinen hinter dem Ofen hervorgeholt. Es gibt immer noch Leute, die sagen, da ist zu viel Geld ausgegeben worden. Wenn Sie das alles hätten zahlen müssen für Fernsehbeiträge und Marketing und so weiter – da kommen Sie auf ganz andere Beträge.

Eberhard Sinner, Staatsminister a.D. 
Foto: Roland Pleier | Eberhard Sinner, Staatsminister a.D. 

Am Bürokratieabbau haben Sie sich die Zähne ausgebissen, sagten Sie ein Jahr nach Ihrem Ausscheiden aus den Landtag. Sind Ihre Nachfolger erfolgreicher?

Sinner: Wenn ich heute höre: Digitalkabinett – wir hatten damals schon wahnsinnig viel in der Pipeline. Aber da hat sehr vieles stagniert: mangels Interesse, mangels Überzeugungskraft, durch Bürgerproteste. Beim Handy am Ohr zum Beispiel hat keiner Bedenken gehabt, aber beim Funkmast mit wesentlich niedrigerer Belastung haben sie schlicht durchgedreht. Wir hatten damals, 2006, schon große Teile für die Verwaltung angeboten, aber es wurde viel zu wenig und zu langsam umgesetzt. Der Mensch ist einfach träge. 

Eberhard Sinner (Zweiter von links) und Markus Söder (mit Präsentkorb) kennen sich schon lange: 2004 beim CSU-Neujahrsempfang in Neuendorf war der jetzige Ministerpräsident noch CSU-Generalsekretär. 
Foto: Thomas Josef Möhler | Eberhard Sinner (Zweiter von links) und Markus Söder (mit Präsentkorb) kennen sich schon lange: 2004 beim CSU-Neujahrsempfang in Neuendorf war der jetzige Ministerpräsident noch CSU-Generalsekretär. 

Vor fünf Jahren haben sie Statements abgegeben zu fünf Ministerpräsidenten, mit denen sie zu tun hatten. Seehofer sahen Sie damals noch "auf dem Weg zu einer politischen Linie, die weniger kurvenreich ist". Wie sehen Sie ihn heute?

Sinner: Ja (lacht), es stimmt auch. Neulich hat mal einer geschrieben: Seinen Humor versteht er nur selber. Er war auch für die Mitarbeiter ziemlich unberechenbar. Manchmal hat er sie runterlaufen lassen in einer Art, wie man Mitarbeiter nicht behandelt. Als der Rechnungshof kritisiert hat, dass wir zu wenig Schulden abbauen, hat er den erst einmal in den Senkel gestellt. Er hat das erstmal ziemlich locker gesehen. Wir in der Fraktion aber haben gesagt: Haushalt ohne Neuverschuldung ist ein Markenzeichen. Als er gemerkt hat, da kommt Kritik, hat er uns überholt und gesagt: Bayern ist bis 2030 schuldenfrei – obwohl wir gesagt haben, das kann nicht funktionieren.

Jetzt kam noch einer dazu ... 

Sinner: ... der Söder (lacht), ja: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, kann man da nur sagen. Wenn Sie den Söder beim Bockbier-Anstich gehört haben und jetzt kriegt er den Schlappmaul-Orden – er hat schon zielstrebig darauf hingearbeitet.

Landrat Thomas Schiebel (links) und Landtagsabgeordneter Eberhard Sinner 2010 beim so genannten 'Michelauf' in Neustadt, einem 'integrativen Fitnesslauf' über fünf Kilometer.
Foto: Martina Schneider | Landrat Thomas Schiebel (links) und Landtagsabgeordneter Eberhard Sinner 2010 beim so genannten "Michelauf" in Neustadt, einem "integrativen Fitnesslauf" über fünf Kilometer.

Keine gesundheitlichen Probleme, keine Einschränkungen, 70 Kilo bei 175 Zentimeter Körpergröße, regelmäßiges Jogging – das war vor fünf Jahren. Wie sieht es heute aus?

Sinner: Ist eigentlich gleich geblieben. Ich hab jetzt Ansätze eines Bauches reduziert – bin jetzt etwas unter 70 – das bekommt mit gut. Allerdings jogge ich mittlerweile im Kissinger Kurpark. Da ist es schön flach.

Wie lange möchten Sie noch jagen?

Sinner: So lange es Freude macht. Und es macht mir noch Freude.

Eberhard Sinner 2014, kurz vor seinem 70. Geburtstag. Auch damals war Rauhhaardackel Wastl schon sein treuer Gefährt.
Foto: Roland Pleier | Eberhard Sinner 2014, kurz vor seinem 70. Geburtstag. Auch damals war Rauhhaardackel Wastl schon sein treuer Gefährt.

Treffen Sie noch?

Sinner: (lacht wieder) Eigentlich schon. Am 2. November hab ich bei einer Drückjagd in Partenstein eine Sau geschossen.

Im Kreistag, von dem Sie grade kommen, wollten Sie vor fünf Jahren den Kirchturm-Populismus beseitigen. Sieht es heute besser aus?

Sinner: Ja, deutlich besser. Die Entscheidung, ein Zentralklinikum für Main-Spessart in Lohr zu bauen, ist ja positiv. Das Beispiel Geburtsthilfe zeigt, wie es ansonsten geht: Man hat sich über Jahre hinweg mit drei Geburtshilfen durchlaviert. Im Endergebnis haben wir jetzt null – bei fast 1000 Geburten im Landkreis. 

1981: Eberhard Sinner auf der Pirsch...
Foto: Otto Madre | 1981: Eberhard Sinner auf der Pirsch...

Die Hebammen sagen: Ohne Geburtshilfe im neuen Klinikum wird es auch bald keine Hebammen mehr im Landkreis geben, weil keine mehr herkommt. 

Sinner: Ich als sechsfacher Großvater hab das mehrfach angesprochen. Aber es gibt aus dem Bereich des Klinikums Widerstände – weil es dabei auch um eine kinderärztliche Versorgung geht, die man haben müsste, das scheint der Stolperstein zu sein. Ein familienfreundlicher Landkreis müsste sich meiner Meinung nach auch schon mal über eine Geburtshilfe definieren. 

Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Lohr? 

Sinner: Durch die Zentralisierung haben wir jetzt schon eine deutliche Verbesserung – entgegen der teilweise veröffentlichten Meinung. Wenn ich Herzkatheder und Herzinfarkt und Schlaganfall und Stroke-Unit sehe – die Patienten müssten wir alle nach Würzburg fahren.  

Die Spitze der Landkreis-CSU von 2011: Landtagsabgeordneter Eberhard Sinner mit Kreisvorsitzendem Thorsten Schwab und Kreistagsfraktionsvorsitzendem Walter Höfling.
Foto: Andreas Brachs | Die Spitze der Landkreis-CSU von 2011: Landtagsabgeordneter Eberhard Sinner mit Kreisvorsitzendem Thorsten Schwab und Kreistagsfraktionsvorsitzendem Walter Höfling.

Wo steht die CSU heute?

Sinner: Wir haben den Generationswechsel in Main-Spessart geschafft. Wir haben zwei neue Abgeordnete (Anm.: MdL Thorsten Schwab und MdB Alexander Hofmann), die ein ganz gutes Standing haben und mit Sabine Sitter eine Landratskandidatin, die doch einiges mitbringt für dieses Amt. 

Was wünschen Sie sich noch?

Sinner: Ich bin eigentlich wunschlos zufrieden. Man muss nicht alles haben. Landesausstellung Luitpold ist ein schönes Thema, das Jagdschlösschen wieder reaktivieren. Luitpold wurde ja am 12. März 2021 vor 200 Jahren geboren, da wird es eine Landesausstellung geben mit fränkischem Aspekt. Dann bin ich an dem Thema Eiche dran ... 

Stichwort Eiche: Sie hatten sich 2017 gegen den Nationalpark Spessart ausgesprochen. Ist Ihre Position unverändert?

Sinner: Was mit der Eiche hier passiert ist, ist einmalig in Deutschland, vielleicht sogar Europa. Wir haben (in einer Arbeitsgruppe Eiche) jetzt versucht, die Geschichte der Eiche einmal aufzuarbeiten mit alten, bisher unbekannten Mainzer Dokumenten – die ist noch nicht geschrieben. Es ist schon spannend wie die Spessarter selber mit Hunderten von Leuten sich in Eichenmastjahren um die Vermehrung der Eichen gekümmert haben. Das kam ja nicht von alleine, das war ziemlich planmäßig, von den Mainzern organisiert – sonst hätten wir das Saatgut heute gar nicht mehr. 

Eiche im Hafenlohrtal zwischen Erlenfurt und Windheim
Foto: Roland Pleier | Eiche im Hafenlohrtal zwischen Erlenfurt und Windheim

Womit wir beim Eichenzentrum im Hofgut Erlenfurt sind. Wie stehen Sie dazu?

Sinner: Ich sehe das positiv, weil die Eiche seit Jahren vernachlässigt wird. Ich kenne das denkmalgeschützte Gebäude schon Jahrzehnte. Jetzt kann man es natürlich so machen wie mit der Luitpoldshöhe: Uns fällt nichts ein, was man damit machen könnte, also verscheppern wir's. Andrerseits muss sich der Staat auch was überlegen. Er kann ja nicht sagen: Ich schau zu, wie es zusammenfällt.

Er war aber auch bereit, es für den Hafenlohrtalspeicher unter Wasser zu setzen.

Sinner: Da haben wir auch als Staat dagegen gehalten. Ich hab schon als Abgeordneter 1988 einen Antrag eingebracht, den Speicher auf den Prüfstand zu stellen. Das Problem war ja, die Wasserversorgung Würzburgs sicherzustellen. Wir haben gesagt: Würzburg muss die eigenen Quellen nutzen. Dann folgte der Riesen-Wasserstreit Estenfeld – Würzburg, weil die Estenfelder gesagt haben: Die Würzburger Quellen kommen nicht auf unseren Grund. Das haben wir alles im Positiven entschieden und jetzt haben die Würzburger ihre Wasserversorgung. Als klar war, dass damit ein Großteil des Hintergrunds weggefallen ist, haben wir 2008 gesagt: Jetzt wird der Speicher gestrichen. Fertig.

Soll Eichenzentrum werden: das Hofgut Erlenfurt im Hafenlohrtal.
Foto: Roland Pleier | Soll Eichenzentrum werden: das Hofgut Erlenfurt im Hafenlohrtal.

Aber 26,5 Millionen Euro allein für den Erlenfurter Hof ..!?

Sinner: Das muss preiswerter werden, logischerweise. 

Sie strahlen bei all diesen Konfliktthemen eine unglaubliche Gelassenheit aus.

Sinner: Ja, wieso sollt ich hektisch werden?

Naja, ich hab Sie auch schon mal kämpferischer erlebt.

Sinner: Gut, ich kämpfe da, wo es sich lohnt. Aktuell zum Beispiel für ein Freihandelsabkommen zwischen Eurasischer Union und der EU. 

Beenden wir das Gespräch dort, wo wir angefangen haben: bei Ihrem Geburtstag: Wie feiern sie diesmal?

 

Sinner: Ich geh mit meiner Frau zum Essen (in Bad Kissingen), dann wird am Wochenende mit meiner Familie gefeiert und dann gibt's vielleicht noch was Größeres - da feiern wir zwischen meinem jetzigen und ihrem Geburtstag im Februar den gemeinsamen 150. 

 

 
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