Das urige Hafenlohrtal: unter Wasser. Frankens größte Forellenzuchtanlage: geflutet. Die Forstdienststellen Lichtenau und Rothenbuch, letztere 1864 gebaut: aufgegeben, versunken. Ebenso wie die Einöden Diana und Lindenfurt und der Weiler Einsiedel. So wäre es gekommen, wenn der Trinkwasserspeicher im Hafenlohrtal gebaut worden wäre. Der Kampf dagegen währte über 30 Jahre lang. Am 14. März 2007 gab die Regierung von Unterfranken auf, ließ sie den Plan fallen.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht ganz beendet. Denn die Naturschützer waren nicht nur kampfeslustig, sondern auch gewiefte Taktiker. So sorgten sie mit dem 70 Hektar großen Gebiet "Oberes Hafenlohrtal" 1988 und "Auenwald bei Erlenfurt" mit 9,2 Hektar (1999) für zwei Naturschutzgebiete. Mehr noch: Bereits 1981 wurde das Hofgut Erlenfurt unter Denkmalschutz gestellt. Auch ein Sperrmanöver der Speicher-Gegner?
Was die Denkmalpflege heute über das Ensemble sagt
Das Landesamt für Denkmalschutz widerspricht: Generell werde es als Träger öffentlicher Belange bei einem Verfahren wie dem Hafenlohrtalspeicher stets beteiligt, antwortete Pressesprecherin Silke Laubscher auf eine entsprechende Anfrage der Redaktion. "Es stellt die denkmalfachlichen Belange im Verfahren dar. Im Rahmen der Abwägung werden diese und alle anderen Belange gewichtet und gegeneinander abgewogen." Generell sei "eine von Menschen geschaffene bauliche Anlage" dann ein Denkmal, "wenn sie über eine besondere Bedeutung verfügt (geschichtliche, künstlerische, städtebauliche, wissenschaftliche oder volkskundliche Bedeutung)." Das Hofgut Erlenfurt mit Haupt- und Nebengebäuden sei "aufgrund seiner ortsgeschichtlichen und architektonisch-künstlerischen Bedeutung in die Denkmalliste eingetragen worden."
Ein Zusammenhang zwischen der Erkenntnis, dass es sich bei dem Hofgut um ein Baudenkmal handelt, und den Planungen für einen Talspeicher sei dem Landesamt "nicht bekannt und überdies unwahrscheinlich", so Laubscher.
Dem wiederum widerspricht Sebastian Schönauer, langjähriger Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal (AGH), zu der sich die Gegner des Talspeichers zusammengeschlossen hatten. "Wir haben alles in Bewegung gesetzt", räumt er offenherzig ein. AGH und Bund Naturschutz hätten maßgeblich daran mitgewirkt, dass das Ensemble als Denkmal geschützt wird. Ein Denkmal - laut Schönauer - mehr als 30 Meter unter der Oberfläche des Trinkwasserspeichers? Das hätte zumindest für zusätzlichen Ärger sorgen können.
Doch so weit kam es bekanntlich nicht: Die Bedarfsprognosen der Wasserwirtschaft stellten sich als viel zu hoch heraus und statt sich zu verschlechtern, verbesserte sich die Wasserqualität entgegen den Annahmen. Der zusätzlichen Abwehrbastionen hätte es demnach gar nicht bedurft.
Doch das Hofgut im östlichsten Zipfel des Nachbarlandkreises Aschaffenburg liegt den Naturschützern nun mehr oder weniger schwer im Magen. Denn Eigentum verpflichtet - auch den Freistaat, dem es gehört. Doch was tun damit? Mit dem Verkauf hat es nicht geklappt.
Dann nahm Immobilien Bayern das Objekt wieder vom Markt: Peter Winter aus Waldaschaff, damals Abgeordneter im Landtag, heute noch Kreisvorsitzender der Aschaffenburger CSU, brachte den Vierseithof als "Eichenzentrum" ins Gespräch, vereinfacht gesagt als Bildungsstätte für den Wald. Hafenlohrs Bürgermeister Thorsten Schwab setzte einen Gegenpol im Landkreis Main-Spessart, brachte ein Erlebniszentrum am Bischborner Hof mit 50 Meter hohem Aussichtsturm ins Gespräch.
Gleich mehrere Knackpunkte
Ein Knackpunkt der ganzen Planung ist: Die Naturschützer fürchten um Massentourismus im Hafenlohrtal - was angesichts des in Erlenfurt geplanten 30-Betten-Hauses nur schwer nachvollziehbar ist. Zweiter Knackpunkt: Das Haupthaus und zwei der Nebengebäude sind total marode - weshalb die Kostenschätzung mit 26,5 Millionen Euro erschreckend hoch ist. Knackpunkt Nummer drei: In den ehemaligen Stallungen, die dem Seminargebäude weichen sollen, nisten Schwalben. Diesen einen Alternativbau schmackhaft zu machen, dürfte schwierig sein und könnte misslingen.
Schließlich gibt es noch ein hausgemachtes Problem: Die beiden Einrichtungen sollen von zwei Ministerien geplant und verwirklicht werden. Das Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten als verlängerter Arm des Landwirtschaftsministeriums eilte hurtig voraus und begann 2018 mit der Planung des Eichenzentrums. Thorsten Glauber von den Freien Wählern aber zog erst einmal die Handbremse, als er im November Umweltminister und damit zuständig für die Pläne am Bischborner Hof wurde.
Ministerpräsident Markus Söder sprach ein Machtwort
Es bedurfte eines Machtworts von Ministerpräsident Markus Söder, der die beiden Ministerien verdonnerte, sich zusammenzusetzen und ein Gesamtkonzept zu erstellen. Das war im Frühjahr. Seit einem Treffen in Mai ward nichts Neues mehr gehört aus München. Das Jagdschloss Luitpoldshöhe an der Autobahn bei Rohrbrunn, vom privaten Eigentümer und etlichen Naturverbänden als Alternative favorisiert, wird von den Ministerien beharrlich ignoriert.
Wann das Gesamtkonzept vorgestellt wird, ist nach wie vor offen. "In den kommenden Monaten" solle es erst einmal bei einem Vor-Ort-Termin "mit den Beteiligten und Betroffenen erörtert werden", so die aktuelle Antwort aus dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Anfrage der Redaktion. Ein konkreter Termin stehe noch nicht fest. Erst danach sei mit der Errichtung von Ersatzquartieren zu rechnen. "Die Arbeiten werden voraussichtlich Ende 2019 beginnen", hatte das Ministerium im Juni 2018 erklärt. Diese Prognose ist damit hinfällig.
Drei Organisationen reichen Petition ein
Möglicherweise kommt es auch ganz anders. Nichts gegen ein Bildungszentrum, aber nicht im Hafenlohrtal! Das ist die Quintessenz einer Petition, die der Verein "Freunde des Spessarts", der Bund Naturschutz (BN) und der Landesbund für Vogelschutz (LBV) nunmehr eingereicht haben. Elf Mann und zwei Frauen stark protestierten sie am Freitag in Lohr gegen die Nutzung des Erlenfurter Hofs - bekräftigt durch zwei Ordner mit 6000 Unterschriften von Menschen, die ihr Anliegen unterstützen.
Als Abgeordneter habe Winter die Finanzierung des Projekts Eichenzentrum durchgesetzt und sei seitdem nicht mehr in dieser Sache öffentlich aufgetreten, schimpfte Schönauer vom Bund Naturschutz und nannte dies ein "unwürdiges Schauspiel".
Mehr Wald in Schutz zu stellen, forderte Hartwig Brönner vom LBV aus Lohr, ein "Großschutzgebiet im Kern" Patrick Friedl. "Der Bischborner Hof ist mit Sicherheit besser geeignet" für ein Bildungszentrum, so der grüne Landtagsabgeordnete aus Würzburg. Der Erlenfurter Hof sei vielleicht geeignet für Forschungszwecke, führte er aus. "Nach Erlenfurt wird irgendwas kommen - aber nicht in dieser Größe," vertrat Martina Fehlner (SPD), Landtagsabgeordnete aus Aschaffenburg. Und Heidi Wright aus Karlstadt, stellvertretende Vorsitzende der Freunde des Spessarts, erklärte: "Wir wollen Waldschutz, Waldschutz, Waldschutz." Die Millionen Euro für das "Zuckerl" Erlenfurter Hof, das für den verhinderten Nationalpark angeboten wurde, "die wollen wir auch - aber sinnvoll investiert".