
Türkei, Syrien, Argentinien, Slowakei, Frankreich, Aserbaidschan, Ungarn, Rumänien und Afghanistan. Wenn Menschen aus all diesen Ländern in Karlstadt an einem Tisch sitzen, tagt der Integrationsbeirat. Marc Moser aus Frankreich ist seit 2021 Vorsitzender des Gremiums, das sich als kommunales Sprachrohr der Menschen mit Migrationshintergrund versteht. Geboren in Tarbes, nahe der spanischen Grenze, kam Moser 1998 nach München. Es folgten Aufenthalte in Günzburg und Halsheim. 2008 zog er nach Heßlar und seit anderthalb Jahren wohnt er mit seiner Frau und seinen drei in Deutschland geborenen Kindern in Mühlbach.
Marc Moser: Wir wurden Anfang 2021, also mitten in Corona, für sechs Jahre im alten Rathaus in Karlstadt gewählt. Als beschlussfähiges Mitglied darf man nur eine Legislaturperiode im Beirat sitzen, 2026 ist also Schluss für mich. Man hat mich damals gefragt, weil die Leute meinten, dass wir doch mit anderen teilen können, was wir selbst erlebt haben. Ich habe früh festgestellt, dass es hier sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die meisten von ihnen für die Einheimischen aber grundsätzlich Fremde bleiben. Für mich ist es wichtig, dass man miteinander und nicht nur nebeneinander leben kann.
Moser: Ich hatte wenigstens das Glück, EU-Bürger zu sein, das macht manches ein bisschen einfacher – auch, von den Leuten als Mitbürger akzeptiert zu werden. Aber was auch für mich eine große Last war, war der ganze Papierkram der Bürokratie. Als ich 1998 nach München gekommen bin, war ich 29 Jahre alt und musste mich wegen so vieler Sachen erkundigen. Zum Beispiel der Kontakt mit Krankenkassen oder das Abschließen von Versicherungen aller Art sind ohne Hilfe nicht einfach.
Moser: Ein paar Arbeitskollegen haben mir damals ein bisschen geholfen. Außerdem habe ich 1982 einen Schüleraustausch mit jemandem aus der Oberpfalz gemacht und bin immer noch eng mit meinem damaligen Austauschschüler befreundet, der mich auch unterstützen konnte. Aber solche Kontakte hat nicht jeder. Wichtig ist für eine Kommune, eine gute Integrationsstelle zu haben, ohne die geht gar nichts mehr. In Karlstadt haben wir mit Sakine Azodanlou als Leiterin einen wichtigen ersten Bezugspunkt für Menschen aus dem Ausland. Die Leute, die hier her kommen, kennen sie und ihr Gesicht, das ist wichtig.
Moser: Anfangs haben wir uns einmal im Monat getroffen, inzwischen noch sechsmal im Jahr. Die Arbeit unseres Beirats lag bisher zu sehr im Verborgenen, was wir jetzt ändern wollen. Wir wollen effektiver arbeiten, wissen aber oft nicht, wie. Deshalb hatten wir vor zwei Monaten Besuch von der Agaby, dem Dachverband der kommunalen Integrationsbeiräte aus Nürnberg.
Moser: Ich denke, das Treffen mit der Agaby war eine kleine Initialzündung für uns und das wurde auch Zeit. Wir haben jetzt projektbezogene Arbeitsgruppen gegründet, in denen wir zeitnah ein paar Projekte angehen möchten. Bisher haben wir an einem Tag gegen Rassismus gefeiert, einen Magnolienbaum vor dem Rathaus gepflanzt und einen Lesenachmittag in mehreren Sprachen organisiert. Jetzt hat eine Referentin uns viele neue Tipps und Ideen an die Hand gegeben. Das war sehr viel wert.
Moser: Eine Teil des Beirats möchte in einer Arbeitsgruppe ein großes Straßenfest organisieren, vermutlich in Mühlbach, wo sehr viele Menschen aus dem Ausland leben. Außerdem sieht es mit unserem medialen Auftritt sehr dünn aus. Egal ob die Website oder Social-Media-Kanäle – das ist alles ausbaufähig. In einer dritten Arbeitsgruppe werde ich mich gemeinsam mit zwei anderen für mehr Jugendfeuerwehren einsetzen.
Moser: Bei allen Wehren herrscht Personalmangel und wir wollen mehr junge Leute mit Migrationshintergrund zur Feuerwehr bringen. Mein jüngster Sohn kann nicht bei der Feuerwehr in Mühlbach bleiben, weil es dort niemanden in seiner Altersklasse gibt. Generell möchte ich aber auch, dass sich mehr junge Menschen aus dem Ausland über Vereine integrieren können, egal ob sportlich oder anderer Art.
Moser: Es könnte sein, dass die Belegung der Halle in den kommenden Sitzungen ein größeres Thema für uns wird. Man kann überlegen, wie man den Menschen hilft, sich zurechtzufinden oder ihnen erklären, wo man in Karlstadt was erledigen oder kaufen kann. Integration ist dafür aber ein zu starkes Wort.
Moser: Ich habe den damaligen Kreisausschuss im Landratsamt besucht und ich war sehr überrascht davon, wie das gelaufen ist. Ich war an dem Tag als Vater von drei Kindern da, die alle regelmäßig die Halle genutzt haben. Ich kam also nicht mit politischen Gedanken oder in meiner Rolle als Vorsitzender des Integrationsbeirats. Die Hallenbelegung kam sehr überraschend – natürlich auch für die Kinder. Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich müssen wir diese Menschen auf der Flucht zu uns kommen lassen, aber man muss das dann auch früher und besser kommunizieren.
Moser: Für mich ist es oft nicht leicht, meinen Verstand und meine Gedanken als Familienvater, Ausländer und Vorsitzender des Integrationsbeirats zu sortieren und unmissverständlich Stellung zu nehmen. Manche Leute haben gedacht, ich wollte nicht, dass wir diese Menschen in Karlstadt aufnehmen, was ich nie gesagt habe. Ich finde es schön und wichtig, dass wir Leute unterbringen, bin nur gleichzeitig enttäuscht von der Art und Weise, wie es zustande gekommen ist.
Moser: Inklusion in einer kleinen Stadt oder auf dem Dorf ist leider wahnsinnig schwer, integrieren ist ja meist schon schwer. Dafür müssen viele Mittel gegeben sein, die man eher in großen Städten hat, in denen man anders organisiert ist. Wir sind hier noch nicht so weit wie Integrationsbeiräte in Städten wie Würzburg oder Nürnberg. Wenn man Inklusion will, müssen auch alle dafür bereit sein. Der Aufreger am Andreasmarkt hat gerade wieder gezeigt, wie schwer das sein kann, wenn innerhalb kürzester Zeit manche Leute ihre Meinung zu etwas abgeben, obwohl sie nicht einmal vor Ort waren und keine Ahnung haben, was überhaupt passiert ist.