
Ein "Shitstorm" ist über Karlstadt hereingebrochen, ein Sturm an negativen Kommentaren, so drückt es Bürgermeister Michael Hombach aus. Ein kurzes Video, aufgenommen auf dem Karlstadter Andreasmarkt am 26. November, hat sich millionenfach in den Sozialen Medien verbreitet - und sorgt für viel Aufregung.
Das Video zeigt einen Vertreter der Karlstadter Diyanet-Ditib-Moschee auf einer kleinen Bühne beim Gebetsruf, dann folgt ein Schwenk auf den Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz. Eine Stimme im Hintergrund sagt "sehr weihnachtlich". Einige Tage nach der Veranstaltung griffen rechtspopulistische Portale diese Sequenz auf - versehen mit zahlreichen falschen Informationen.
Was ist wahr? Was sind die Tatsachen? Diese Redaktion hat mit Karlstadts Bürgermeister Michael Hombach und Carolin Müller vom Stadtmarketing, den Verantwortlichen des Andreasmarkts, gesprochen. Außerdem mit der Karlstadter Integrationsbeauftragten Sakine Azodanlou und Vertretern der beiden muslimischen Gemeinden.
Die Fakten im Überblick.
1. Was der Andreasmarkt in Karlstadt wirklich ist
Im Netz wird behauptet, dass es sich bei der Veranstaltung um einen "Weihnachtsmarkt" gehandelt habe. Aber, sagt Carolin Müller: "Der Andreasmarkt ist kein Weihnachtsmarkt. Die Adventszeit fängt nach dem Andreasmarkt an." Zwar werde am Andreasmarkt traditionell die Weihnachtsbeleuchtung erstmals eingeschaltet. Aber der Andreasmarkt ist – neben Ostermarkt, Maimarkt und Oktobermarkt – einer von vier verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). Dazu gehören fahrende Marktkaufleute, ein Flohmarkt in den Straßen, geöffnete Geschäfte und ein Kunst- und Handwerkermarkt im Rathaus. Der eigentliche Weihnachtsmarkt findet in Karlstadt an den Nikolaustagen statt, sagt Bürgermeister Michael Hombach.
2. Wie die Eröffnung abgelaufen ist
Der Markt soll mit einem Muezzinruf eröffnet worden sein. Das ist falsch. Eröffnet hat den Andreasmarkt Bürgermeister Michael Hombach auf der Bühne am Marktplatz - "um die Bedeutung des guten Zusammenlebens in unserer Stadt zu unterstreichen".

3. Wie das Bühnenprogramm zustande kam
"Für jeden verkaufsoffenen Sonntag geht die Einladung an alle anerkannten Glaubensgemeinschaften und an alle Vereine, sich an dem Bühnenprogramm zu beteiligen", sagt die Stadtmarketing-Chefin. "Wer am Ende auf der Bühne steht, hängt auch davon ab, wer überhaupt die Zeit und Energie hat, sich da präsentieren zu wollen." So steht auch der Andreasmarkt jeweils unter einem Motto, diesmal "Orient trifft Okzident". Bei vergangenen Märkten waren beispielsweise eine Jugendkapelle und eine Sing- und Musikschule auf der Bühne, ein anderes Mal hätten sich unter dem Motto "Karlstadt blüht auf" die Gärtnereien der Stadt präsentiert.
4. Was das Programm auf der Bühne war
Im Anschluss an die Eröffnung begann das Programm, das die beiden muslimischen Gemeinden und das Stadtmarketing abgesprochen hatten. Die friedlichen Aspekte im Islam und die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam sollten im Vordergrund stehen und das Gemeindeleben der beiden Moscheegemeinden sollte gezeigt werden. "Es war abgesprochen, dass Teile aus dem Koran vorgelesen werden können, die die gemeinsamen Aspekte auch in Richtung Christentum belegen", sagt Müller.
Den Anfang machte die Sultan-Süleyman-Moschee. Das Programm der Diyanet-Ditib-Moschee sollte aufgelockerter sein - mit einem Sketch, Tänzen und einem Kinderchor. Moderiert hätten weibliche Jugendliche, sagt Müller: "Die haben sich wirklich sympathisch präsentiert auf dieser Bühne."

5. Wer das Programm des Andreasmarktes gestaltete
Die Moscheen hatten vor einigen Monaten schon ihr Interesse bekundet, sich vorzustellen und vor allem die Gemeinsamkeiten der Religionen in den Vordergrund zu stellen. Die Gemeinden, vor allem die Kinder, hätten wochenlang geprobt, erklärt die Integrationsbeauftragte Sakine Azodanlou.
Er halte es für "richtig, dass wir unseren Menschen muslimischen Glaubens die Möglichkeit geben, ihre Arbeit zu präsentieren", sagt Bürgermeister Hombach. Die Kritik, dass die Ditib-Moschee unter staatlichem Einfluss der Türkei stehe, komme in diesem Zusammenhang immer wieder, so Hombach. "Aber es sind die Menschen hier vor Ort, die es machen."
Schon bei der Planung sei es klar gewesen, dass politische Themen nicht im Programm vorkommen werden, sagt Stadtmarketing-Chefin Müller: "Unser Gedanke war, dass wir lokal seit fünf Jahrzehnten keine Konflikte haben bei einem sehr großen Anteil auslandsstämmiger Bürger. Dass dadurch möglich ist, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und uns respektieren und das Gemeinsame stärker in den Vordergrund stellen als das Abgrenzende."
6. Wer für die Organisation des Andreasmarktes zuständig ist
Der Veranstalter ist die Stadt Karlstadt, die Planung und Organisation liegt beim Stadtmarketing. In den Sozialen Medien hatte es geheißen, die Moscheen hätten das "Zepter" übernommen. Die Stadtmarketing Karlstadt GmbH gehört zu 52 Prozent der Stadt und zu 48 Prozent dem Gewerbe- und Tourismusverein. Zum Aufsichtsrat gehören Stadträte, der Bürgermeister und Verantwortlichen aus dem Gewerbe- und Tourismusverein. Alle Mitglieder des Aufsichtsrats seien über das Programm informiert gewesen, sagt Carolin Müller.

7. Welche Stände vertreten waren
Über 50 Marktstände gab es insgesamt, zwei davon richteten die Moscheen aus. In den Sozialen Medien wurde behauptet, dass das "kulinarische Angebot dem orientalischen Konzept" angepasst gewesen sei und es beispielsweise keinen Glühwein gegeben habe. Das ist falsch. "Wir hatten vier Glühweinstände und drei Bratwurststände", sagt Müller.
8. Wie die Lautstärke geregelt war
In den Sozialen Medien ist von "enormer Lautstärke" und einem "starken Lautsprechersystem" die Rede. "Das ist tatsächlich schon fast komisch", sagt die Stadtmarketing-Chefin. "Wir stellen für die Märkte zwei rollbare Lautsprecher und wir haben bei anderen Veranstaltungen vielfach die Rückmeldung bekommen, dass sie nicht laut genug sind und dass sie so oft ausfallen würden." Auch beim diesjährigen Andreasmarkt seien die Lautsprecher mehrmals ausgefallen. Müller vermutet, dass das Video direkt neben dem Lautsprecher aufgenommen wurde. "Unsere Lautsprecher sind leider nicht laut."

9. Wie die Reaktionen ausfielen
Viele Besucherinnen und Besucher hätten sich vor Ort positiv zum Programm geäußert, manche seien überrascht gewesen, weil sie bei einem winterlichen Markt etwas anderes erwartet hatten, meint Carolin Müller. Das Motto "Orient trifft Okzident" sei auf Plakaten, im Mitteilungsblatt und in den Medien so angekündigt gewesen, stellt Müller klar. Sehr auffällig sei, dass die negativen Stimmen erst mehrere Tage nach dem Andreasmarkt aufgetaucht seien - und hauptsächlich von weit außerhalb, sagen die Verantwortlichen der Stadt. "Es haben sich etwa Leute aus München, Nordrhein-Westfalen und Berlin gemeldet und sich sehr ausfällig geäußert."
Die Stadt würden derzeit telefonisch, per Mail und per Social Media unterschiedliche Behauptungen, Unterstellungen und Beleidigungen erreichen, sagt Bürgermeister Hombach. Alle Mails und Kommentare würden beantworten, betonen Müller und Hombach: "Wir wollen, dass es klargestellt wird." Sie habe hetzerische Kommentare auch auf Facebook gemeldet, sagt die Stadtmarketing-Chefin. Diese seien daraufhin gelöscht worden.
10. Was die Vertreter der Moscheen sagen
"Wir wollen friedlich zusammenleben – so leben wir auch in Karlstadt, wir haben nie Probleme gehabt", sagt Cengiz Sarioglu von der Diyanet-Ditib-Moschee. Cem Acikgöz vom Vorstand der Gemeinde der Sultan-Süleyman-Moschee schließt sich dem an. Schon früher sei die Moschee mit Ständen etwa beim Oktobermarkt oder bei der Kulinarischen Meile dabei gewesen, sagt Sarioglu. "Wir machen auch einen Tag der Offenen Tür, wir sind ja offen." Auch mit den christlichen Kirchen habe es schon gemeinsame Aktionen wie ein Grillfest oder ein Kinderfest gegeben.
Sie wundere sich, dass der Gebetsruf diesmal für Aufregung gesorgt haben soll, sagt Integrationsbeauftragte Sakine Azodanlou. Auch bei anderen Festen sei der Ruf schon zu hören gewesen.
In einer vorherigen Version dieses Artikels hieß es, dass ein Vertreter der Sultan-Süleyman-Moschee den Gebetsruf präsentiert hat. Tatsächlich war es ein Vertreter der Diyanet-Ditib-Moschee. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
@Stadt und Stadtmarketing: Lasst Euch nicht ärgern und entmutigen. Gegen Dummheit ist leider noch kein Kraut gewachsen.