Es begann mit einem lauen Lüftchen – und entwickelte sich zu einer steifen Brise. Eigentlich wollte Otto Hünnerkopf (CSU) im Umwelt- und Klimaausschuss des Kitzinger Kreistags nur kurz geklärt wissen, ob die Windkraft bei der Energiewende im Landkreis eine Rolle spiele. Was eher beiläufig klang, wuchs sich zu einer Grundsatzdiskussion aus, die weit zurück in die Anfänge der Debatte vor anderthalb Jahrzehnten führte und letztlich doch den Weg in die Zukunft weisen könnte. Kaum hatte sich Hünnerkopf mit seinem Anliegen an die neue Klimaschutzmanagerin Anke Hormel gewandt, erklärte Landrätin Tamara Bischof das Thema zur Chefsache. "Über Windräder", sagte sie, "kann ich ein Buch schreiben."
15 Windräder drehen sich derzeit im Landkreis Kitzingen, die meisten auf der Anhöhe bei Repperndorf sowie oberhalb von Marktbreit. Sie alle entstanden vor etwa zehn Jahren, der Zeit der großen Windkraft-Diskussion. Im japanischen Fukushima war gerade ein Atomkraftwerk explodiert, die Kanzlerin verkündete für Deutschland den Ausstieg aus der Kernkraft. Alternativen wie die Windenergie rückten in den Fokus. Auch in Bayern herrschte Aufbruchstimmung: Kleine wie große Unternehmen konnten es kaum abwarten, das große Rad zu drehen.
Doch spätestens 2017 geriet der Ausbau im Freistaat ins Stocken. Das bislang letzte Windrad im Landkreis entstand Anfang 2015 zwischen Neuses am Berg und Schnepfenbach – nach zwölf Jahren Diskussion zwischen Unterstützern und Gegnern sowie einem Streit, der bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig führte. Dies zeigt die Probleme, die die Windkraft vielerorts zu überwinden hat.
Geschuldet ist das auch einem Hindernis, das es so nur in Bayern gibt: der 10-H-Regel. Sie besagt seit 2014, dass ein Windrad mindestens das Zehnfache seiner Höhe von der Wohnbebauung entfernt sein muss. Der Umweltreferent des Kreistags Klaus Sanzenbacher (Grüne) sieht in dieser Regel ein Feigenblatt für viele Kommunen. "Dahinter kann sich jeder verstecken, der gegen Windkraft ist", sagt er. Tatsächlich ist es Gemeinden nämlich schon immer möglich, sich über die 10-H-Regel hinwegzusetzen. Sie müssten nur von ihrer bauplanerischen Hoheit Gebrauch machen und einen Bebauungsplan aufstellen, um Windrädern auf ihrer Gemarkung den Weg zu ebnen.
Warum viele das nicht tun? "Weil sie den Konflikt mit der Gesellschaft scheuen", wie Otto Hünnerkopf vermutet. Der frühere CSU-Landtagsabgeordnete und Umweltpolitiker hat selbst am Beschluss der 10-H-Regel mitgewirkt – und fordert heute Kommunen dazu auf, sich "mutig" darüber hinwegzusetzen.
Windräder gehören in Deutschland längst zum Landschaftsbild, vor allem im Norden. 28.000 von ihnen gibt es hierzulande, 1138 drehen sich in Bayern. Alle 258 Windkraftanlagen in Unterfranken zusammen verfügen über knapp 600 Megawatt Leistung. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld brachte es auf 1300 Megawatt. Zwei Prozent der deutschen Fläche sollen nach dem Willen der Ampelkoalition mit Windkraftanlagen bestückt werden, das sind 7000 Quadratkilometer Land, zehnmal so viel wie die Fläche Hamburgs. Aber noch nicht einmal die Hälfte davon ist aktuell für Windräder ausgewiesen.
Der Landkreis hat nur zwei Vorranggebiete für die Windkraft
Im Landkreis Kitzingen gibt es gerade einmal zwei mögliche Gebiete: bei Mainstockheim und bei Martinsheim. Gut möglich, dass ausgerechnet der Krieg in der Ukraine und die wieder einmal sichtbar gewordene Abhängigkeit von russischem Gas den Umbau hin zu erneuerbaren Energien beschleunigt. Ministerpräsident Markus Söder allerdings sieht die Windkraft im Freistaat weiterhin skeptisch und setzt eher auf Photovoltaik und Wasserkraft.
Als eine der wenigen Kommunen im Landkreis bewies die Stadt Dettelbach vor sieben Jahren den von Hünnerkopf jetzt angemahnten Mut. Sie zeigte sich offen für einen Windpark mit sechs Rotoren nahe Bibergau und war bereit, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen. Doch für den in guter Absicht gesäten Beschluss erntete der Stadtrat einen Sturm der Entrüstung. Eine Bürgerinitiative formierte sich und zog gegen die 800 Meter von der nächsten Bebauung geplanten Windräder zu Felde; der Investor sprang ab. Andernorts lief es ähnlich. In Prichsenstadt, in Sulzfeld, in Seinsheim – dort war man nicht grundsätzlich gegen Windkraft eingestellt, aber die eigene Gemarkung hielt man nicht dafür geeignet.
In Iphofen sah der bis 2020 amtierende Bürgermeister Josef Mend die Sache von Beginn an kritisch. Um sich jedoch nicht gänzlich dem Fortschritt zu verwehren, nahmen er und der Stadtrat fünf Standorte in die engere Wahl. Anfang 2014 dann die große Überraschung: Der Regionale Planungsverband für Unterfranken, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hielt nicht einen einzigen Standort in der 7800 Hektar großen Iphöfer Flur für geeignet.
Wenn der Freie-Wähler-Kreisrat Mend heute zurückschaut, sieht er das Grundproblem noch immer nicht gelöst. "Vor lauter Biotopen, FFH- und Naturschutzgebieten haben wir keinen einzigen Quadratmeter, wo wir Windräder aufstellen können." Deshalb solle man sich auch zehn Jahre später nichts vormachen. "Es ist doch nicht so, dass wir mal kurz mit dem Finger schnippen, und schon stehen irgendwo Windräder", sagte er in der jüngsten Sitzung des Kreis-Umweltausschusses.
Die Landrätin erinnert sich an scheinheilige Debatten mit den Bürgermeistern. "Jeder hat 1000 Gründe genannt, warum es auf seiner Gemarkung nicht geht." Ein "ewiger Prozess" sei das gewesen, der sie zehn Jahre umgetrieben habe. Von vielen sei sie regelrecht gedrängt worden, die Windräder zu verhindern. Jetzt will sie sich nicht mehr vor den Karren spannen lassen. Den immer noch skeptischen Bürgermeistern empfahl sie: "Geht die Windräder an. Windenergie tut nicht weh."
Wer Fortschritt will, müsse Windkraft mittragen, sagt die Landrätin
Wer ihr mit Bedenken kommt wie Landtagsabgeordneter und Kreisrat Christian Klingen (parteilos), der beim Thema Windkraft vor einer "Spaltung der Gesellschaft" warnt, dem entgegnet sie: "Ich kann nicht immer gegen alles sein. Wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen, müssen wir auch schmerzhafte Eingriffe mittragen." Sie wolle nicht auf den Norden angewiesen sein, auf Länder wie Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, wo in Deutschland die meisten Windräder stehen. "Wenn die ihren Strom nämlich selber brauchen, kommt hier nichts an."
Kreisrat Uwe Hartmann (Bayernpartei) verweist auf die Stadt Haßfurt, für viele inzwischen ein Vorbild bei der Energiewende. Sie betreibt über ihre Stadtwerke 13 Windkraftanlagen und gewinnt daraus laut Hartmann 70 Prozent des Stroms. "Man sieht also, dass es geht, wenn man will."