Just als Josef Mend Flagge zeigen will für Europa, gibt es ein Problem. Der Mann, der seit fast drei Jahrzehnten Iphofens Bürgermeister ist und zeit seines Berufslebens für Realpolitik stand, ist an einem wolkengrauen Nachmittag im deutschen Mai auf der Suche nach einem Symbol. Rastlos wie ein Tiger streift er durch sein Revier, so dass man Mühe hat, ihm zu folgen, und es dauert nicht lange, da hält er innerhalb weniger Minuten eine Handvoll Leute auf Trab: die Sekretärin in seinem Vorzimmer, den Mann von der Poststelle, den Geschäftsstellenleiter und die Tourismuschefin, die ihm noch ein paar Worte hinterherruft – aber da ist Mend längst weiter. Als sich bereits das erfolglose Ende der Suche abzeichnet – nach zahlreichen Auf- und Abstiegen durch Rathaus, Vinothek und Dienstleistungsgebäude – taucht das Objekt der Begierde doch noch irgendwo auf: die blaue EU-Flagge mit den goldgelben Sternen, mit der sich Mend auf Bitten des Reporters schließlich in seinem Dienstzimmer für ein Foto aufstellt.
Nachts im Schlaf könnte er Paragrafen zitieren
Wenn es um die Europäische Union geht, kann Mend ziemlich hartnäckig sein. Dies liegt zum einen daran, dass er von der Idee der EU nach wie vor überzeugt ist und sie in Zeiten aufkeimenden Nationalismus für alternativlos hält. Zum anderen ist es seinem Mandat geschuldet, das ihm der Bayerische Gemeindetag vor etwa zehn Jahren übertragen hat. Genau wie die deutsche Wirtschaft, wie Umwelt- oder Sozialverbände, wie Kirchen oder Gewerkschaften brauchen auch Städte und Kommunen eine Stimme in Brüssel – und wer könnte die besser erheben als einer, der seit fast 50 Jahren in den Tiefen der Kommunalpolitik verwurzelt ist, erst als Verwaltungsmensch, dann als Bürgermeister. Der nachts im Schlaf noch Paragrafen und Richtlinien zitieren kann, von denen manche Kollegen noch nie gehört haben; und der noch dazu die Schlagfertigkeit besitzt, um es mit einem Bürokratie-Monstrum wie der EU aufzunehmen.
Mend leistet im Herzzentrum der EU nichts anderes als Lobbyarbeit, und wenn er eines gelernt hat in all der Zeit, dann das: „Wenn du in Europa etwas ändern willst, musst du aktiv werden, bevor eine Gesetzesvorlage entsteht.“ Dazu braucht es sensible Antennen und gute Verbindungen in möglichst viele politische Kreise. Diese Kontakte knüpft und pflegt seit 1992 das Europabüro der bayerischen Kommunen. Es ist der Statthalter von 2000 bayerischen Gemeinden, 275 Städten sowie der 71 Landkreise und sieben Bezirke, Mend nennt es die „Feuerwehr vor Ort“. Es wird geführt in einer länderübergreifenden Bürogemeinschaft mit Baden-Württemberg und Sachsen. Die beiden Mitarbeiter dort sind meist nach vier, fünf Jahren derart ausgebrannt von diesem „Knochenjob“, dass sie das Weite suchen. Immer wieder Konferenzen, Treffen, Veranstaltungen, oft bis in die Abend- und Nachtstunden, das zehrt.
Die Stadt profitiert von Mends Ausflügen
Mend selbst ist nur zwei- bis dreimal im Jahr in Brüssel, seine politische Agenda erhält er aus dem Europabüro. Er trifft sich dann mit Parlamentariern, auch mal mit dem mächtigen deutschen EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, um über europäische Regionalpolitik, Breitbandversorgung im ländlichen Raum oder Projektförderung zu sprechen. „Dankbar“ sei er dem Iphöfer Stadtrat, dass der ihm diese Nebentätigkeit erlaubt habe. Andererseits profitiert natürlich auch die Stadt von Mends Ausflügen ins Zentrum der EU-Bürokratie. Selbst ein mit allen Verwaltungswassern gewaschener Bürgermeister wie er sagt: „Ich habe da unheimlich viel gelernt, Trends erkannt, bisher ungekannte Finanzquellen erschlossen, einen ganz anderen Blick auf Kommunalpolitik und ein Gespür für Probleme bekommen.“ Denn natürlich ist nicht jede bayerische Kommune finanziell derart auf Rosen gebettet wie Iphofen.
Noch etwas hat er gelernt: Ein Politiker – und sei es nur ein „kleiner Bürgermeister“, wie er sagt – besitzt im politischen Brüssel mehr Gewicht als ein hochdekorierter Jurist ohne politisches Mandat. Ob er sich ernst genommen und respektiert fühle? Das schon, und doch verweist Mend auf die mächtigen Lobbyisten aus Industrie und Wirtschaft, die in Glaspalästen sitzen und ganz andere Möglichkeiten der Einflussnahme hätten. „Da schauen wir nur so mit dem Fernglas.“ Er ist die Stimme des ländlichen Raumes, was sich nicht so groß und so spannend anhört, wie für einen Bankenrettungsschirm oder ein europäisches Klimaschutzabkommen zu kämpfen.
16 Bundesländer und 17 Meinungen
Aber er ist überzeugt, dass Leute wie er gebraucht werden, Leute, die sich für „starke Kommunen“ engagieren, die fast so etwas wie ein deutsches Alleinstellungsmerkmal innerhalb der EU bilden. „Ein so umfangreiches kommunales Selbstverwaltungsrecht hat außer uns nur Österreich und mit Abstrichen Südtirol“, sagt Mend. „Wir tun uns oft schwer, unsere Positionen durchzubringen.“ Hinzu kommt das deutsche Föderalismusprinzip, das den Ländern weitreichende Kompetenzen einräumt. Er weiß, was das im Zweifel bedeutet: „16 Bundesländer, 17 Meinungen. Die 17. ist die des Bundes.“
Im Juli wird Mend wieder in Brüssel sein – meist ist er nur für zwei Tage und eine Nacht dort. Zu kurz, um all das zu genießen, was die Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole für ihn so reizvoll macht: die Altstadt mit ihren Gebäuden im Stil des italienischen Barock, den Dom St. Michel mit seinen 69 Meter hohen Türmen oder die Vielfalt der Küche. Im Herbst 2020 wird Mends EU-Mission enden – sie ist gebunden an ein politisches Mandat, und Mend scheidet im Mai nächsten Jahres aus Altersgründen als Bürgermeister aus. Bis dahin wirbt er eifrig für das europäische Projekt, in dem er deutlich mehr Chancen als Risiken sieht. Gerne hält er die Fahne der EU hoch – wenn er sie denn findet.
Vor der Europawahl am 26. Mai beleuchtet die Redaktion in einer Serie von Artikeln, wie sich die EU auf den Landkreis Kitzingen auswirkt und welche Bedeutung sie für die Menschen hier hat.
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