"Insgesamt ist es ein Segen, dass wir in so einer Gemeinschaft und in Frieden leben können." Wer Karl Franz Göpfert fragt, was für ihn die Europäischen Union (EU) im Kern ausmacht, der hört zuallererst nichts vom EU-Binnenmarkt, vereinfachtem Export, vom Gewinn von Arbeitskräften oder anderen wirtschaftlichen Interessen. Nein, für Göpfert ist die Wahrung des seit 74 Jahren anhaltenden Friedens in einem Großteil Europas die größte Errungenschaft der EU. Und das, obwohl er als Geschäftsführender Gesellschafter der Göpfert Maschinen GmbH in Wiesentheid wirtschaftliche Interessen im Blick hat. Aber der 71-Jährige ist ein überzeugter Europäer.
Er kennt allerdings auch die Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik. Länder, deren Unternehmen eng zusammenarbeiten und davon profitieren, führen nicht so schnell Krieg gegeneinander. Doch die Idee eines vereinten Europas, die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg miteinander verfolgt haben, war eine so nicht zu erwartende politische Leistung. In Form der Reise- und Niederlassungsfreiheit kam diese den Menschen in vielen europäischen Ländern zugute. Die Wirtschaftsunternehmen innerhalb der EU profitieren etwa von vereinfachten Handels- und Zollbestimmungen.
Unternehmer hat sich im Ausland nie unerwünscht gefühlt
Papierkrieg an Grenzübergängen, stundenlanges Warten, bis Zöllner alle Unterlagen geprüft haben – dies kennt Göpfert noch genau. Auch das Bibbern vor bewaffneten Grenzsoldaten und deren Willkür an der Grenze zur DDR hat er am eigenen Leib erfahren. Göpfert ist im Vertrieb ab den 1960er Jahren viel im Ausland gewesen. Unerwünscht hat er sich nie gefühlt, sagt er. Als Deutscher sei er stets geachtet worden. Sauber und pünktlich: Das seien zwei typische Attribute, die Deutschen zugeschrieben würden – oft aber auch deren oberlehrerhaftes Auftreten.
Zollpapiere sind trotz EU weiter notwendig. Doch geben die beteiligten Behörden der Länder diese intern weiter, weitgehend geräuschlos und vor allem verzögerungsfrei für die Unternehmen, erklärt Göpfert. Ohne Bürokratie geht es in der EU nicht. Doch der Unternehmer wehrt sich dagegen, diese zu einem von Brüssel erschaffenen Monster aufzubauschen. "Das Negative wird immer zuerst gesehen", stellt er fest.
Wenn er sich erinnert, wie kompliziert es in den Zeiten vor EG (Europäischer Gemeinschaft) und EU war, etwa ein elektronisches Gerät von einem Land in ein anderes zu bringen, was ohne ein Carnet, ein Zertifikat, das dessen Echtheit und Funktion bescheinigte, meist gar nicht ging, muss er feststellen: Die Vorteile der EU überwiegen bei Weitem. Dazu zählt Göpfert auch die einheitliche Währung in einem Großteil der EU-Länder.
Französin kam mit Stipendium nach Deutschland – und landete bei Göpfert
Bleibt die Frage nach den Arbeitskräften: Welche Vorteile bringt die EU einem Unternehmen, das Mitarbeiter sucht? Göpfert hat Erfahrungen gesammelt. Für ihn arbeiten ein Dutzend Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln aus ebenso vielen Ländern. Aus dem EU-Gebiet stammen zwei Mitarbeiter: eine gebürtige Portugiesin, die einen deutschen Pass hat, und eine Französin. Ihr Name lautet Véronique Gallet.
1989 ist sie, wie sie erzählt, per Stipendium an die Uni Würzburg gekommen, um Deutsch zu lernen für ihre Dolmetscher-Prüfung. Für das Wiesentheider Unternehmen übersetzte sie 1995 eine Betriebsanleitung ins Französische. So erfuhr sie von einer freien Stelle für eine Sekretärin – und erhielt sie. "Damals waren viele Papiere notwendig", erinnert sich die 52-Jährige aus Schallfeld, "fast hätte ich das Handtuch geworfen." Heute wäre vieles einfacher.
Doch für Göpfert ist dieser Fall der Beschäftigung einer EU-Ausländerin eher eine Ausnahme. Grund hierfür ist nicht die Bürokratie, so schildert es der Geschäftsführende Gesellschafter. Mitarbeiter etwa aus Italien oder Frankreich seien nicht umzugswillig und blieben lieber in ihren Heimatländern. Dies gelte auch für Spanien, berichtet er und hat ein Beispiel: Ein Vertreter des Unternehmens hat an der Uni in Madrid ein Job-Angebot für Ingenieure ausgehängt. Kein einziger Spanier hat sich daraufhin bei Göpfert gemeldet, trotz der vielen Arbeitslosen in Spanien. Wenn, dann funktioniere der Zuzug von Arbeitskräften nur, wenn deren Familien mit ins Land kommen können, schließt Göpfert daraus.
Klarer Aufruf zur Europa-Wahl
Den Gedanken, dass das vereinte Europa scheitern könnte, "wagen wir erst gar nicht", meint Göpfert. Sein Appell zur Europa-Wahl am 26. Mai: "Ich rate jedem Einzelnen, zur Wahl zu gehen und sich für das zu interessieren, was in Europa passiert." Auch Gallet, heute Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens, geht wählen. Es ist für die Französin die einzige Wahl, zu der sie neben Kommunalwahlen in Deutschland gehen darf. Die EU mit ihren vielen Ländern müsse zusammenhalten, findet sie. Sie wünscht sich: "Junge Menschen sollten ihre eigenen Erfahrungen in Europa sammeln."
Vor der Europawahl am 26. Mai beleuchtet die Redaktion in einer Serie von Artikeln, wie sich die EU auf den Landkreis Kitzingen auswirkt und welche Bedeutung sie für die Menschen hier hat.
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