Mia, Lina und Romy wissen es längst: Das Chaos aus Ästen, Gras und Moos, das sich da vor ihren Augen auftürmt, hat ein Biber angerichtet. In Gummistiefel, Matschhose und Regenjacke streifen die drei Kindergartenmädchen an der Sicker entlang und halten Ausschau nach dem fleißigen Gesellen. Warum sie das tun können? Weil Lena Flörchinger sie begleitet. Mit dem Förderprogramm Sprach-Kita unterstützt die Erzieherin das Team im Kindergarten St. Vinzenz dabei, seine Schützlinge optimal zu fördern. Und zwar längst nicht nur in der sprachlichen Entwicklung.
Flörchinger ist überzeugt von der Wichtigkeit des Förderprogrammes, das bis vor wenigen Tagen Gefahr lief, ersatzlos auszulaufen. Auch Julia Steffan, Leiterin des Kindergartens St. Vinzenz in der Kitzinger Siedlung, ist froh, dass sich das Bayerische Ministerium für Arbeit, Familie und Soziales dazu durchgerungen hat, das bisher vom Bund geförderte Programm mit Landesmitteln weiter zu finanzieren. Dabei findet sie den Titel irreführend. "Es geht bei dem Programm ja nicht allein darum, die Kinder in ihrer Sprachentwicklung zu fördern", sagt die Pädagogin. "Alles, was im Alltag passiert, ist Sprache. Und all das sollen die Kinder erfahren und lernen."
19,5 Stunden hat Flörchinger pro Woche Zeit dafür, den Kindern, vor allem aber auch dem Personal und den Eltern die "Frühen Chancen" zu ermöglichen. So hieß das Vorgängerprogramm. Julia Steffan würde es am liebsten "Qualitätskitas" nennen. Schließlich ermöglicht es durch zusätzliche Fachkräfte, eine Fachberatung und die große Menge an Fachwissen und Fachliteratur einen elementarpädagogisch optimalen Kindergartenalltag.
Flörchinger filtert das Material, schaut, was speziell für das Team in St. Vinzenz umsetzbar ist. "Ressourcenorientierung" nennt Steffan das und meint damit, dass sie aus ihrer Mitarbeiterschaft das Beste herausholen will. "Jeder hat Stärken und Schwächen. Durch das Programm, und die zusätzliche Stelle, haben wir die Möglichkeit, die Kollegen und Kolleginnen dort einzusetzen, wo sie sich am wohlsten fühlen." Wenn das Team sich wohl fühle, färbe das auf die Kinder ab. Und glückliche Kinder machen Eltern glücklich.
Das Programm macht mutig
Trotzdem gebe es auch in St. Vinzenz immer wieder Diskussionen – die aber vor allem mit den Eltern. "Durch das Programm sind wir mutig geworden", sagt die Kindergartenleiterin. Es zeige viele neue Ansätze, zum Ziel zu kommen. Auch wenn manche Eltern da noch skeptisch seien. "Wenn ein Kind zum Beispiel partout nicht mit zum Wiesentag möchte, dann werden wir es nicht zwingen. Auch wenn die Eltern es möchten." Sie habe schon manchen Disput aushalten müssen, zum Beispiel auch, als es darum ging, die Bringsituation am Morgen zu entzerren.
Für jedes Kind steht ein Teammitglied bereit, um es von Mama oder Papa entgegenzunehmen und in seine Gruppe zu bringen. "Jeder kann das in seinem Tempo machen und die Kinder können in Ruhe ankommen." Manche Entscheidung sei nicht immer auf Gegenliebe gestoßen. Durch die Expertise, die sich das Team aber mit dem Programm Sprachkita angeeignet und von der sie sich allesamt auch in der Praxis überzeugt haben, könne man solche aber selbstbewusst treffen. Und erhalte alles in allem auch überwiegend positive Rückmeldungen.
Wissenschaft bestätigt die positiven Resultate
Auch die Resultate sind durchweg positiv. Der Lehrstuhl für Frühkindliche Bildung und Erziehung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg hat zusammen mit dem Arbeitsbereich Frühkindliche Bildung und Erziehung der Freien Universität Berlin die wissenschaftliche Evaluation des Bundesprogrammes durchgeführt. Mit dem Ergebnis, dass "die quantitativen und qualitativen Elemente" eine hohe Wirksamkeit hätten, die sich positiv auf die Kinder und die ganze Familie auswirkt. Das erklärt auch Petra de Marche, Fachberaterin für das Programm in Unterfranken, in einem Schreiben an das zuständige Ministerium.
Zusätzlich dazu gab es eine Initiative, die Dr. Verena Popp im Namen aller bayerischen "Kinder, Eltern, Fachkräfte und Fachberatungen" an die Landtagsabgeordneten des Sozialausschusses richtete: 11.313 Unterschriften kamen in der Petition zustande. Eine Zahl, die offensichtlich auch die Verantwortlichen zum Nachdenken brachte: Kurz vor Abgabeschluss vermeldeten Ministerpräsident Markus Söder und Familienministerin Ulrike Scharf bei einem Besuch in einer Sprach-Kita in München-Neuhausen, dass das Programm "mit einem Millionenbetrag" weiterfinanziert werde.
Steffan und Flörchinger ist es egal, wer die Fördermittel zur Verfügung stellt. Wichtig sei, dass das Programm fortgeführt werde. Sie möchten es nicht akzeptieren, dass es in Kindertageseinrichtungen immer mehr um die Beaufsichtigung der Kinder gehe. Dass immer mehr fachfremdes Personal akquiriert werden müsse, weil der Beruf nicht mehr attraktiv ist. Weil immer mehr Erzieherinnen und Kinderpfleger an ihre Grenzen gelangen. Weil sie nicht mehr können ob der Belastung. "Der Kindergarten ist ein Abbild unserer Demokratie. Das sind Mini-Menschen in einer Mini-Gesellschaft, die stetig im Wandel ist. Da kommen wir nicht umhin, uns mit ihr weiterzuentwickeln."
Dabei hilft auch ein Besuch beim Biberbau. Mia, Lina und Romy jedenfalls würden immer wieder mitgehen. Sie sind stolz darauf, dass sie wissen, warum dort an der Sicker so ein Chaos herrscht. Das müssen sie unbedingt daheim erzählen. Und dabei ganz spielend Sprache entdecken.