Lehrkräfte und Kita-Personal händeringend gesucht: Noch nie war der Notstand in Bayern so groß. Die Personallücken sind aktuell an Grund- und Mittelschulen am größten– und die Perspektiven mies. Es fehlt an Studierenden. An den Grundschulen könne man frühestens ab 2025 wieder mit einer ausreichenden Personaldecke rechnen, an den Mittelschulen sei bis 2032 kein Land in Sicht, prognostiziert der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV).
Der Freistaat, so die Kritik, sei sehenden Auges in die personelle Notlage gelaufen. "Viel früher hätte etwas passieren müssen, nicht nur in Sonntagsreden", sagt der unterfränkischen BLLV-Vorsitzende Helmut Schmid, der auch Personalratsvorsitzender für die Lehrkräfte an den unterfränkischen Grund- und Mittelschulen ist.
Studierende werden für die Klassenleitung eingesetzt
Wie aber die Durststrecke überstehen? Wer betreut die Kinder? Not macht auch hier erfinderisch. Und in diesem gerade begonnenen Schuljahr ganz besonders, denn so viele Lehrkräfte haben noch nie gefehlt. Allein 700 Lehrerinnen und Lehrer sind es an Unterfrankens Grund- und Mittelschulen, schätzt der BLLV. An vielen Grundschulen stehen deshalb Studentinnen und Studenten vor der Tafel, häufig teilen sie sich zu zweit eine Klasse.
Immerhin: Die jungen Leute sind nicht gänzlich fachfremd. Sie studieren ja auf das Grundschullehramt und – das wäre der positive Aspekt – sie können sich in der Praxis ausprobieren. Doch als Ersatzlehrer werden Studierende schon ab dem 3. oder 4. Semester eingesetzt, oft sind sie selbst erst 19 oder 20 Jahre alt. Es fehlt am pädagogisch-didaktischen Rüstzeug, am Selbstverständnis in der Lehrerrolle - und in der Folge an Autorität. "Die müssen sie sich täglich neu erarbeiten", sagt Lehrervertreter Schmid.
Der 59-Jährige, seit drei Jahrzehnten im Schuldienst, ist überzeugt: Nicht umsonst gibt es für Grundschullehrerinnen - und -lehrer das vierjährige Studium und zwei Jahre Referendariat. Wo dies nicht der Fall ist, leide die Qualität des Unterrichts. Und nicht alle Eltern sind dankbar, dass überhaupt noch jemand vor der Klasse steht. Sie trauen den jungen Vertretungen nicht recht über den Weg und lassen sie das teilweise auch spüren.
Hilfskräfte brauchen die Unterstützung erfahrener Lehrerinnen und Lehrer
Gestandene Lehrkräfte müssen den unerfahrenen Kolleginnen und Kollegen beispringen, sie anleiten und coachen. Obwohl sie doch selbst mit ihren Klassen gefordert sind. Eine zusätzliche Belastung, die man in Kauf nimmt. Denn: Schmeißt der Quereinsteiger oder die Studentin wieder hin, ist das Problem noch viel größer.
Zu Beginn dieses Schuljahres sind alle mobilen Reserven an den unterfränkischen Grundschulen bereits fest verplant. Heißt: Bei Ausfällen durch Krankheit oder Schwangerschaft gibt es keinen Ersatz. Aber was dann? Es wird wohl – das erwartet der BLLV – häufiger der Fall eintreten, dass zum Beispiel eine Kosmetikfachberaterin oder etwa eine gelernte Verkäuferin vor der Schulklasse steht.
Solche Kräfte – in der Regel Mütter von Schulkindern – gibt es vielfach und sie werden eigentlich nur zur Unterstützung angeworben, damit sie gesondert mit Kleingruppen lernen und Defizite ausgleichen. Wenn aber die Hauptlehrkraft ausfällt, werde man sie nolens volens eher um Not-Vertretung für die ganze Klasse bitten, als die Kinder nach Hause zu schicken –heißt es vom Lehrerverband.
Das ist kein unrealistisches Szenario. Der Redaktion sind hinreichend Vertretungsfälle durch ungelernte Lehrkräfte bekannt. Doch mit öffentlichen Äußerungen halten sie sich zurück. Zu groß ist die Sorge, selbst noch an den Pranger gestellt zu werden – obwohl sie eigentlich nur in einer Notsituation helfen.
Andere Quereinsteiger kommen zumindest mit einem abgeschlossenen Studium an die Grundschule. Schmid berichtet vom aktuellen Beispiel einer Archäologin, die nun in Fördergruppen Mathe und Deutsch unterrichtet. Unter den Quereinsteigern, sagt Schmid, gebe es auch "Naturtalente". Manche bringen Erfahrung aus der Jugendarbeit oder dem Sportverein mit, das helfe. Aber eine fundierte pädagogisch-didaktische Lehrerausbildung ersetze das nicht.
Zumal der Umgang mit den Kindern über die Jahre deutlich schwieriger geworden ist. Aggression, Respektlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und mangelnde Motivation – mit der Pandemie, so berichten Lehrkräfte übereinstimmend, habe sich die Lage weiter zugespitzt.
Und so hat der BLLV die Befürchtung, dass unter dem Lehrermangel und fehlender Qualifikation vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien leiden. Wo die Eltern dahinter sind, lassen sich Schwachstellen der Schule noch eher ausgleichen. Vorausgesetzt, sie sind dazu in der Lage. Doch damit verschärft sich die soziale Spaltung weiter: Die Bildungschancen der Kinder hängen umso stärker von den Elternhäusern ab, je schlechter die Schulen aufgestellt sind.
Wenig erfolgreich scheint bislang der Versuch des Kultusministeriums, vertretungsweise pensionierte Lehrkräfte zu reaktivieren. Der Zuspruch, berichtet Personalratsvorsitzender Schmid, halte sich in Grenzen. Und so kommt es, dass ein regelrechter Wettbewerb um mögliche Hilfskräfte entbrannt ist – auch zwischen Grundschulen und Kindergärten.
Betreuung der Jüngsten: Ministerium experimentiert mit gelockerten Standards
Denn in Bayerns Kitas ist die Personalnot ebenfalls groß. Das zuständige Sozialministerium will deshalb mit einer "Experimentierklausel" nun sogar Standards bei der Betreuung der Jüngsten lockern: So sollen etwa in einer "Mini-Kita" bis zu 15 Kinder auch ohne ausgebildete Erzieher von "Kindertagespflegepersonen" betreut werden können.
In "Einstiegsgruppen" sollen Kinder bis zu zwei Jahre lang vor der Einschulung zwar von "pädagogischen Kräften" betreut werden. Die sonst in Kitas vorgeschriebene Fachkräfte-Quote bei der Betreuung entfällt dabei aber genauso wie Vorgaben zu ausreichenden Sprachkenntnissen der Betreuer. Tagesmütter müssen zudem auch bei mehr als acht betreuten Kindern keine pädagogische Fachkraft mehr sein.
Ministerin Scharf: Kindswohl bleibt Maßstab unseres Handelns
Zwar beteuert Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU), es handle sich bei diesen Lockerungen "keinesfalls um Maßnahmen, die flächendeckend eingeführt werden sollen". Auch bleibe "das Kindswohl Maßstab all unseres Handelns". Vor dem Hintergrund steigender Nachfrage nach Betreuung und eines "leergefegten Arbeitsmarktes" für Kita-Fachpersonal könne die Politik aber nicht ignorieren, dass Eltern oft mehr arbeiten müssten und deshalb längere Buchungszeiten einforderten, sagt Scharf.
"Mittlerweile scheint der Fokus vor allem darauf zu liegen, dass Eltern um jeden Preis arbeiten gehen können", kritisiert deshalb Veronika Lindner vom Verband Kita-Fachkräfte Bayern. Die Qualität der Betreuung rücke bei politischen Entscheidungen zunehmend in den Hintergrund. Auch die Ausbildung der Fach- und Ergänzungskräfte sieht der Verband durch die Lockerungen entwertet: Wieso absolvierten etwa Kinderpfleger und Kinderpflegerinnen, unbezahlt, zwei Jahre Vollzeitunterricht an Berufsfachschulen, "wenn es so scheint als könnte jeder unseren Beruf ausüben?"
Lindner befürchtet zudem eine schnelle Ausweitung der abgesenkten Standards auch auf reguläre Kitas. In der Tat haben die für die Kita-Versorgung zuständigen Kommunen Anfang August bereits vom Freistaat "pragmatische Lösungen zum Personaleinsatz" gefordert: Nur so lasse sich der bundesweite Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, der ab 2026 auch auf Grundschulkinder ausgeweitet wird, in Bayern überhaupt erfüllen, heißt es in einer Erklärung der Städte und Gemeinden.
Der Forderung der Kommunen, flächendeckend die Betreuungsstandards zu senken, sei das Sozialministerium zwar "zum Glück nicht mitgegangen", sagt Dirk Rumpff vom Evangelischen Kita-Verband. Auch seien "neue Möglichkeiten für weitere Betreuungsangebote" durchaus zu begrüßen. Experimente wie die "Mini-Kita" könnten sich jedoch schnell auch zur "Billig-Kita" entwickeln, befürchtet Rumpff.
Bleibt bei gelockerten Standards in den Kitas der Bildungsanspruch auf der Strecke?
Auch Alexa Glawogger-Feucht vom Verband der katholischen Kitas in Bayern sieht durch die Experimentierklausel die "Gefahr, dass das Tor zur Zwei-Klassen-Betreuung geöffnet wird". Natürlich könnten Kinder auch von Quereinsteigern betreut werden: "Es geht aber um das Bildungsangebot", warnt sie. Dieses sei nur mit ausreichend Fachkräften sicherzustellen. Wichtiger, als neue Betreuungsangebote sei es "mehr Fachkräfte ins Feld zu bringen".
Dabei seien auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger willkommen – allerdings nur mit ausreichender Nach-Qualifizierung. Doch daran hapert es bislang offenbar: Schon jetzt seien in der Kinderbetreuung viele Unqualifizierte tätig, beklagt Kita-Experte Dirk Rumpff – und die Lage werde auf mittlere Sicht wohl nicht besser: "Die Befürchtung ist, dass die Versprechen der Politik sich hier nicht erfüllen können."
Dabei wendet der Freistaat bereits jetzt über fünf Milliarden Euro jährlich für die Kita-Betreuung auf. Die Zahl der Beschäftigten wuchs binnen zehn Jahren von knapp 64.000 auf mehr als 110.000. Gleichzeitig stieg aber auch die Nachfrage nach Betreuung sprunghaft an – bei den Unter-Dreijährigen um fast zwei Drittel auf zuletzt knapp 135.000.
Kitas: Studien warnen vor zehntausenden fehlenden Fachkräften in Bayern bis 2030
Eine Entwicklung, die noch lange nicht am Ende scheint: Aktuelle Studien gehen für Bayern von einem Bedarf von mehr als 100.000 zusätzlichen Kita-Plätzen bis 2030 aus – und mehreren zehntausend fehlenden Fachkräften für die Betreuung. "Sollten sich die Bedingungen weiter verschlechtern, könnten viele Kinder durchs Raster fallen", befürchtet Veronika Lindner von Kita-Fachkräfte-Verband. Die Stimmung beim Personal sei jedenfalls jetzt schon oft sehr angespannt: "Wenn das so weitergeht, werden viele gute Kräfte die Kitas verlassen."
Früher gab es keine Schüler-Betreuung, diese Rolle hatten die Eltern. Da gehören die Kinder hin und nicht auf Staatskosten versorgt. Ja ich weiss, auch die Eltern zahlen einen Beitrag aber der ist im Vergleich zu den wahren Kosten geradezu lächerlich. Wobei es noch Rabatt für Geschwisterkinder gibt.
Vielleicht sollte man mehr Augenmerk auf seine Nachkommen haben statt auf die dritte Urlaubsreise und das dicke Auto vor der Tür. So manche Mama muss mitarbeiten - aber ganz sicher nicht alle. Viele arbeiten für das was sie in der Werbung angepriesen bekommen. Wohlstand ist wichtiger als der Nachwuchs, der wird oft schon kurz nach Geburt abgeschoben.
Im Koalitionsvertrag stehen da schon gute Idee drin, aber wir haben noch Auswirkungen der letzten 16 Jahre und eben eine Pandemie...
und "Lehrer kann jeder" gesehen.
Mir stellt sich halt immer die dumme Frage, warum wir überhaupt Fachleute brauchen, wenn doch tatsächlich alles so einfach ist... sorry dass ich es zum ### im Strahl finde, wenn irgendjemand in seiner selbstverschuldeten Not zu "Lösungen" greift, deren Folgen sich erst in etlichen Jahren abzeichnen dürften. Eigentlich gehören sie alle zum Nachsitzen bei Frau Mahlzahn nach Kummerland geschickt, um es mit Michael Ende auszudrücken!
Zieht sich durch alle Berufe.
Darum Einführung des Bürgergeldes , damit noch weniger arbeiten wollen.