Dass Bologna eine üppige alte Dame ist, mit dem Busen in der Po-Ebene liegt und mit den Hintern auf den Hügeln, hat einmal der italienische Liedermacher Francesco Guccini in einem seiner Songs beschrieben. Eine Liebeserklärung an eine Stadt, die lächelt und sich üppig und lässig gibt. Ganz so romantisch klingt das bei Heiko Paeth nicht. Bei ihm hört es sich eher wie eine Drohung an, wie eine üble Verheißung. Bologna und Kitzingen, auf der Landkarte 800 Kilometer getrennt, aber an einem kühlen Herbstabend in der Kitzinger Synagoge nur einen Gedankensprung voneinander entfernt.
Wenn nichts geschehe, so wendet sich der Würzburger Klimaforscher an die Mitglieder des Stadtrats, dann werde Kitzingen bis Ende des Jahrhunderts Verhältnisse wie in Bologna bekommen. "Sie haben dann nachmittags vier Stunden Siesta und müssen sich fragen: Wie werden Schulen und Geschäfte damit umgehen?"
Ja, wie bloß? Noch ist das alles ein wissenschaftliches Szenario, ein Computermodell, gefüttert mit allerlei Wetterdaten und der pessimistischen Prognose, dass sich weiterhin nichts Wesentliches tut beim Klimaschutz. Für Paeth aber steht die Welt am Abgrund, ist sie ein glühender Planet, der schon heute einen Feuerschweif hinter sich herzieht, wie man auf einer der von ihm präsentierten Folien sieht
Und das Schlimmste: Man rede zwar viel darüber, wie die Erde zu retten sei, aber getan habe sich global gesehen noch nichts. Deutschland und die EU nimmt Paeth von dieser Untätigkeit nicht aus. "Wir denken immer, wir hätten beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle. Die haben wir aber nur in der Rhetorik."
Als Überraschungsgast stand Paeth vergangene Woche plötzlich auf der Bühne der Alten Synagoge. Sein Publikum: der Kitzinger Stadtrat, der größtenteils selbst nichts vom Auftritt des Professors wusste, und ein paar Zuhörer, die sich auf der weitläufigen Tribüne verloren. Paeths Vortrag hätte mehr Publikum verdient gehabt, weil das, was er zu sagen hatte, alle angeht. Was er skizzierte, war ein Vorgeschmack darauf, wie das Wohnen in Kitzingen zum Ende dieses Jahrhunderts, also in zwei bis drei Generationen, aussehen könnte.
Schon heute gilt Kitzingen neben Aschaffenburg als wärmste Stadt in Bayern. Vier heiße Sommer, von 2015 bis 2019, hielt Kitzingen mit 40,3 Grad im Schatten sogar den deutschen Hitzerekord. Deshalb gelten die allgemein für Unterfranken entwickelten Szenarien für Kitzingen im Besonderen. Ein heißes Pflaster, das sich in den nächsten Jahrzehnten noch weiter aufheizen wird.
Tropennächte sind eine Gefahr für Senioren und Säuglinge
Paeth geht davon aus, dass bei ungebremstem Klimawandel die Wetterextreme in der Region bis zum Jahr 2100 weiter zunehmen werden. Die Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad könnten sich versechsfachen, die Trockenperioden bis zu eine Woche länger dauern. Zum größten Problem aber dürften die Tropennächte werden. Ein verharmlosender Begriff, wenn man weiß, was Nächte, in denen es nicht unter 20 Grad abkühlt, für den menschlichen Körper bedeuten.
Überhitzte Nächte sind laut Paeth noch einmal belastender als heiße Tage, und das nicht nur für ältere und geschwächte Menschen, sondern nach neuesten Erkenntnissen auch für Säuglinge und Kleinkinder. Sie alle tragen ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko. Überhaupt sei keine andere Naturkatastrophe für so viele Tote verantwortlich wie die Hitze.
Städte seien am stärksten von Hitze betroffen. Oder wie Paeth sagt: "Klimawandel ist schlimm, Klimawandel plus Stadtklima ist eine Katastrophe." Er verdeutlicht das mit Zahlen. So habe man zwischen der Würzburger Innenstadt und dem dörflicheren Gerbrunn Hitzeunterschiede von mehr als acht Grad gemessen. Ein Extremwert, wie Paeth anmerkt, aber nachweisbar seien solche Wärmeinseleffekte in allen Städten, somit auch in Kitzingen. Die Folgen, die sich daraus ergeben, sind immens: für die Menschen, die dort wohnen, aber auch für die Entwicklung der Städte selbst. "Bei Nächten, die künftig vielleicht 30 Grad nicht mehr unterschreiten, werden die Immobilien keinen großen Wert mehr haben."
"Deprimierend" fand die Botschaft nicht nur Grünen-Stadträtin Christa Büttner. Aber ihre Frage, was zu tun sei, was die Stadt selbst tun könne, war für Paeth nicht leicht zu beantworten. Frischluftschneisen? Könnten eine Wirkung haben, die aber nur mit einer eigenen aufwändigen Studie genauer zu ermitteln sei. Ein Ringpark wie in Würzburg? Hat einen Erholungseffekt, aber in 200 Meter entfernten Gassen schon keine Kühlwirkung mehr. "Am besten wäre eine Kombination aus beidem", sagte Paeth.
Für Jens Pauluhn (ÖDP) stellt sich die Frage, ob die Stadt wirklich so viel Aufwand betreiben und eigene Studien beauftragen müsse oder sich die Ergebnisse anderer Städte nicht auf Kitzingen übertragen ließen. Tja, sagte Paeth, selbst Gemeinderat in Thüngersheim, das sei letztlich eine politische Frage. "Wenn Sie etwas brauchen, um es der Bevölkerung oder dem Stadtrat zu verkaufen, werden Sie um eigene Zahlen nicht herumkommen."
Als Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) gefragt wurde, welche Maßnahmen die Stadt in Sachen Klimaschutz schon ergriffen habe, erinnerte er an den Vorstoß, Fassadenbegrünung zu fördern. Zudem habe der Stadtrat einen Wettbewerb zur Umgestaltung der Innenstadt auf den Weg gebracht. Die Hauptaufgabe liege ohnehin beim neuen Klimaschutzmanager Martin Schneider, der seit Juli damit beauftragt ist, ein nachhaltiges Konzept für Kitzingen zu entwickeln.
Das würde ihm leichter fallen, ergänzte der OB, wenn er vom Stadtrat "nicht von einem Antrag in den nächsten gehetzt" würde und sich "nicht immer mit Einzelmaßnahmen aufhalten" müsste. Für das große Ganze, und nur dafür, werde seine Stelle nämlich vom Staat gefördert. Würde der Stadtrat regelmäßig informiert, was Schneider gerade treibe, so entgegnete Manfred Paul (SPD), "dann wüssten wir auch, welchen Antrag wir nicht stellen müssten".
Die Grünen ziehen Antrag für Hitzeaktionsplan zurück
Schneider selbst will Anfang 2023 mit seiner Energiebilanz für Kitzingen fertig sein und die Ergebnisse danach dem Stadtrat präsentieren. Aus diesen Ergebnissen soll ein Bündel an Maßnahmen geschnürt werden. Für die Umsetzung der einzelnen Schritte ist dann wieder Schneider zuständig.
Was das denn jetzt für künftige Anträge bedeute, wurde der OB gefragt. Nichts, man könne sie gerne weiter stellen, müsse aber damit rechnen, dass sie von Schneider nachrangig behandelt werden. Ob es da Sinn überhaupt habe, den Antrag für einen auf Kitzingen zugeschnittenen Hitzeaktionsplan aufrechtzuerhalten, fragte Gisela Kramer-Grünwald (Grüne). Eher nicht, hieß es vom OB, weil so ein Plan ohnehin Bestandteil des Klimaschutzkonzeptes werden könnte. "Dann", so Kramer-Grünwald, "ziehen wir den Antrag zurück."
Nicht viel, ein Großteil schaut auf eigene Interessen, Unternehmer dürften kein Recht auf einen Posten im Stadtrat haben.
Die Begrünung der Fassaden ist eine tolle Idee, welche auch entsprechende Effekte generieren würde. Lediglich eine Idee auf dem Weg zu bringen, macht es aber nicht kühler.
Da man aktuell keine Anordnung stellen kann, müssen die Anreize so groß sein, das ein Hausbesitzer dies auch tut.
Der erste Ansatz muss sein, den Boden durchlässig zu machen. Es muss verboten sein, Pflastersteine beim wiedereinsetzen mit Beton zu verfugen.
Viel mehr Grünflächen, wesentlich mehr Bäume und sämtliche öffentliche Gebäudefassaden begrünen, dass sollte auf der Tagesordnung stehen.
Nur mit reden wird das Klima nicht aufzuhalten sein.
Lieber Stadtrat, es wird Zeit endlich die Hände aus den Taschen zu nehmen.
Manchmal zweifelt man schon ob es noch sowas wie gesunden Menschenverstand gibt.