Mit Gartenschläuchen spritzen sie im Hof den Matsch und den Dreck von den Fahrrädern herunter. Eine Handvoll Frauen in Plastikschuhen und Gummistiefeln. "Macht mal Platz!", ruft eine von ihnen. Ein blauer Laster biegt rückwärts um die Ecke und lässt polternd seine Fracht ab. Fünf wuchtige Container mit Sperrmüll hat er seit Montag schon geholt. Dies ist Container Nummer sechs. In den Kellerappartements von mehr als 40 Wohnungen kommt einiges zusammen. Julia sagt: "Da war unser halbes Leben drin."
So betrachtet haben sie hier, in den beiden Hochhäusern in der Kitzinger Schützenstraße, binnen weniger Stunden einen Teil ihrer Existenz verloren. Als am Samstag ein elementares Unwetter über die Stadt kam und dort verharrte, packte Mustafa die beiden Kinder und brachte sie zu seinen Eltern. Bloß weg hier! Viele andere Dinge konnten er und die anderen nicht mehr rechtzeitig vor den Wassermassen in Sicherheit bringen.
Mustafa wohnt mit seiner Familie in der untersten der 24 Wohnungen, 18 Appartements sind es im anderen Block. Er konnte zusehen, wie das Wasser durch den Hauseingang strömte und immer weiter stieg. Im Nu war der Keller geflutet. Bis zur Decke kletterte die braune Brühe. Sie zerstörte nicht nur Möbel, Waschmaschinen und Kühlschränke. Auch die komplette Versorgung ist hier unten verbaut. Strom, Aufzug, Heizung – seither alles außer Betrieb. Auf 400.000 Euro wird hinter vorgehaltener Hand der Schaden an der Hausinfrastruktur geschätzt.
Am Donnerstagmorgen stehen dort Joao Ferreira und Willi Renz, die "guten Seelen" von Elektro Reichhard, so sehen es die Bewohner. Renz sagt: "Zaubern können wir nicht." Und doch grenzt es für die Betroffenen hier an Magie, dass die Firma binnen weniger Tage die komplette Elektroinstallation neu geschaffen hat. Was jetzt noch fehlt, sind die Zähler und die Freigabe durch die Kitzinger LKW, die gerade auch alle Hände voll zu tun hat. Dann wäre das Haus zumindest wieder unter Strom. Noch lässt sich nicht genau sagen, wann die Elektrizität zurückkehrt. Eines aber wissen die beiden Handwerker: "In solchen Zeiten muss man zusammenhalten."
Die Unwetter-Nacht erleben Anwohner "wie im Katastrophenfilm"
"Wir sind hier sehr zusammengewachsen", sagt Julia, die an diesem Morgen mit vielen anderen Bewohnern vor dem Haus steht und versucht, Ordnung zu schaffen. Ordnung im Keller, Ordnung in ihrem Leben. "Wie im Katastrophenfilm", so beschreibt sie die Nacht auf Sonntag. Ein Albtraum, den hier viele hellwach erlebten. Und als das Wasser zurückging, kam das böse Erwachen.
"Von der Stadt hat sich bis heute niemand blicken lassen", sagen sie hier unisono. Einen Steinwurf von der B8 entfernt fühlen sie sich nicht gesehen – außer von den Katastrophentouristen, die am Wochenende den Essbach entlang flanierten. "Wir sind seelisch am Boden", sagt eine ältere Frau. Sie kämpft mit den Tränen.
Zwei Tage dauerte es, bis wenigstens eine Notstromversorgung stand. "Wir konnten nicht einmal unsere Handys laden", sagt Julia. Jetzt findet man vor dem Haus zwei Verteilerkästen. Die Kabel zweier Wasserkocher führen zu den Steckdosen im Inneren; viel mehr ist nicht. Mitte der Woche hat die Stadt die nahegelegene Florian-Geyer-Halle geöffnet. Flutopfer wie Julia oder Mustafa können dort jetzt wenigstens duschen.
Gekocht wird weiter weg, bei Freunden, bei Bekannten, das Essen hergebracht. Dann sitzen sie alle zusammen, auf der Straße, auf Bierbänken, unter einem kleinen Zelt. Der Zusammenhalt ist groß, man spürt das schon bei einem kurzen Besuch. Das gemeinsame Schicksal schweißt sie zusammen. Zeit zum Nachdenken bleibt kaum.
Bis spät in die Nacht wird hier geschuftet, gesäubert, aufgeräumt – und weggeworfen. Das Wasser kam so schnell, dass in Keller und Hof kaum etwas zu retten war. Abteile liefen voll, Autos standen in den Fluten und sind jetzt nur noch Schrott, "Totalschaden", wie bei Mustafa. Nach dem Kampf gegen das Wasser beginnt nun das zähe Ringen mit Behörden und Versicherungen. Nicht alle im Haus waren versichert, nicht alle haben das Geld für eine neue Waschmaschine, schon gar nicht für ein neues Auto. Deshalb sammeln sie hier auch Geld, rufen zu Spenden auf, hoffen, dass sie so irgendwie über die Runden kommen.
Das mulmige Gefühl wird beim nächsten Starkregen bleiben
Was bleiben wird, ist das mulmige Gefühl, wenn sich der Himmel über Kitzingen wieder verdunkelt, wenn es wieder gießt wie aus Eimern und der Bach in der Nachbarschaft anschwillt und sich aus seinem Bett erhebt. Manche wie Julia wohnen seit 15 Jahren hier, ihr halbes Leben. "So etwas hatten wir noch nie. Natürlich besteht diese Angst, dass das Wasser wiederkommt", sagt sie, und Mustafa nickt. Aber wegziehen ist für sie keine Option. Dafür haben sie spätestens mit der jüngsten Flut die Gemeinschaft hier zu sehr schätzen gelernt.