Der Tag danach. Friedlich sprudelt der Esbach am Montag in seinem vorgesehenen Bett. Es ist der Tag nach dem Wochenende, als ein elementares Hochwasser Teile Kitzingens und des Landkreises in Atem hielt. Ein Wochenende, das mancher nicht so schnell vergessen wird. Rund um den Esbach laufen an diesem Morgen Pumpen und Trocknungsgeräte. Das große Aufräumen und Säubern hat begonnen.
Da sind der Feuerwehrkommandant und seine Crew, die Geschäftsleute und ihre zupackenden Helfer, die junge Familie direkt am Bach und der altgediente Hotelier. Sie alle haben in dieser schicksalhaften Nacht mehr oder weniger ihres Hab und Guts verloren; bis zu einer Million Euro Schaden beklagt mancher von ihnen. Doch sie alle haben längst die Ärmel hochgekrempelt und packen mit an.
1. Die Feuerwehr wird nach dem Regen selbst zum Notfall
Um 10.53 Uhr am Montagmorgen ist die Lage am Feuerwehrhaus unübersichtlich. 275 Einsätze haben die Einsatzkräfte seit Samstagabend hinter sich. Dabei sind sie selbst zum Notfall geworden. Eine Hundertschaft ist seit Sonntag rund um das schiffsähnliche Gebäude am Main im Einsatz, um die Schäden der Nacht zu beseitigen; und als Matthias Gernert am Sonntagabend nach Hause ging, hatte er auch schon eine 25-Stunden-Schicht hinter sich. Erstaunlich frisch steht der Kitzinger Stadtbrandinspektor am nächsten Morgen im Feuerwehrhaus und sagt: "Ich bin jetzt fast 50 Jahre bei der Feuerwehr. Aber etwas in dieser Größenordnung hatten wir hier noch nie."
Die Feuerwehr hat es arg gebeutelt. Als das Unwetter am Samstagabend über die Stadt hereinbrach und das Wasser des Esbachs unterhalb der Neuen Mainbrücke ankam, waren die Kanäle rasch überlastet. "Wie bei einem Gebirgsbach", so schildert es Gernert, schossen die Fluten im Bereich der Brücke hervor und drückten in die dortige Tiefgarage hinein. Binnen kürzester Zeit stand dort das Wasser anderthalb Meter hoch. Sechs Autos versanken in den braunen Fluten. "Vermutlich Totalschaden", sagt Gernert.
Durch eine Tür im hinteren Teil der Garage strömte das Wasser in den Keller des Feuerwehrhauses. Sandsäcke konnten es nicht mehr stoppen. Aufzug, Heizung und die Hebeanlage, alles ist an diesem Montag erst mal außer Betrieb, zum Teil wohl kaputt. Doch die Einsatzbereitschaft der Wehr als Teil der kritischen Infrastruktur sei jederzeit gewährleistet gewesen, betont Gernert. Bis die Tiefgarage wieder öffnet, kann es bis Ende der Woche dauern.
2. Die Bädergalerie säuft in den Fluten des Esbachs ab
Oben, im Ausstellungsraum, stehen die schicken Badewannen und Duschkabinen. Ihnen konnte das Wasser nichts anhaben. Aber unten im Waren- und Vorratslager ist alles kaputt. Simone Adler, Chefin der Bädergalerie WSG, spricht von einer Viertelmillion Euro Schaden. "Das reicht nicht", sagt ihr Mann Jürgen. Gemeinsam mit einer Gruppe von etwa 20 Helferinnen und Helfern sind die beiden jetzt dabei, den gröbsten Dreck zu beseitigen. Als einer ihrer Angestellten fabrikneue Ware auf den Müll werfen muss, habe der fast geheult. Die Adlers sehen es pragmatisch. "Uns allen ist nichts passiert. Und gegen diese Naturgewalten kann man nichts machen."
Schon zweimal hatten sie Hochwasser im Keller. So schlimm wie diesmal war es noch nie. Das erste Foto, das Jürgen Adler am Samstag um 23.32 Uhr von einem seiner Angestellten aufs Handy bekam, zeigt den Transporter auf dem Hof, der fast bis zum Dach unter Wasser steht. Selbst ein tonnenschwerer Container wurde zum Spielball der Wassermassen. Schon am Tag danach rollte eine zweite Welle an: die der Hilfsbereitschaft. "Die Solidarität ist enorm", sagt Simone Adler. Angestellte, Freunde, Geschäftspartner rückten an, um zu helfen. "Selbst der direkte Mitbewerber hat sich gemeldet und Hilfe angeboten."
3. Bei Familie Scherer geht es zu wie im Schlussverkauf
Als der Regen kam, konnten Laura Scherer und ihre Familie zusehen, wie der Pegel stieg. Ihre beiden Häuser stehen direkt am Esbach. Das eine hat vor 62 Jahren ihr Opa gebaut, und auch er, so erzählt es Laura Scherer, habe so etwas noch nie erlebt. Zehn Minuten blieben ihnen, um zu retten, was ihnen lieb und teuer war. Sie packten die beiden Hunde und fuhren die Autos aus den Garagen und vom Hof. Für die Sachen im Keller reichte es nicht mehr.
Hüfthoch stand dort binnen kurzer Zeit die braune Brühe, und so ist die junge Frau am Montag mit einigen Helfern dabei, kaputte Kühlschränke, Waschmaschinen oder Möbel ins Freie zu schleppen. Es geht zu wie beim Schlussverkauf: Alles muss raus.
Als ihr Mann am Samstag gegen 23 Uhr die Feuerwehr rief, steckte die in zig Einsätzen fest. Am Morgen, um 5.30 Uhr, kamen die ersten Kräfte in der Pflaumengasse an, aber erst gegen 8.30 Uhr konnten sie loslegen, weil die Wassermassen kaum zu bändigen waren. Mehr als anderthalb Stunden Schlaf war für Laura Scherer nicht drin. Mit ihren Eltern telefonierte sie noch Samstagnacht – sie brachen ihren Urlaub ab und kehrten mit dem ersten möglichen Flug zurück. Zu retten war nichts mehr.
4. Der Esbach-Hof muss mindestens zwei Wochen schließen
Lothar Schenk sitzt am Montag an der Rezeption des Esbach-Hofs – im Dunkeln. Der Strom ist abgeschaltet. Mit seinem Schwiegersohn geht er gerade die Liste für die Versicherung durch. Nach ersten Schätzungen kommt Schenk auf eine ungeheuerliche Zahl: eine Million Euro. So hoch liegt vermutlich der Schaden. Auch bei ihm hat am Montag das große Aufräumen begonnen. Der große Container auf dem Hotelparkplatz ist am Mittag schon gut gefüllt. Aber die Sachen dort sind das geringste Problem.
In der Einliegerwohnung stand das Wasser genauso wie im Keller des Hotels. Die Heizung ist wohl nicht mehr zu gebrauchen, alle Vorräte in den Kühlräumen und im Warenlager sind unbrauchbar. Für die nächsten zwei Wochen hat Schenk das Hotel erst einmal dichtgemacht. Wie es danach weitergeht? Schenk zuckt mit den Schultern.
"Wir dachten, wir hätten uns berappelt", sagt er mit Blick auf Corona-Krise und Fachkräftemangel. Der Hotelier hatte vorgesorgt; dreimal schon war das Hochwasser zu Gast in seinem Haus. Aber die installierten Pumpen kamen mit den Wassermassen diesmal nicht mehr zurecht. Schenk sagt, was an diesem Vormittag alle Betroffenen am Esbach sagen: "So hart hat es uns noch nie getroffen."
Bei uns in Albertshofen rollte auf etwa 2-3 Km Breite rechts der Umgehungsstraße das Niederschlagswasser von den Feldern über die Betriebe und Gartenlandhalle auf den Seegraben zu, der innerhalb weniger Minuten Hochwasser führte.
Da blieb keine Zeit mehr, um Sandsäcke zu füllen.
Das ging alles so schnell - völlig surreal.
gez. R.König