
Mehr als neun Monate sind vergangen, seit in Kitzingen alle Dämme brachen. Lange war die Stadt bei Unwettern aller Art glimpflich davongekommen, doch am 1. Juni 2024 traf es sie mit voller Wucht. Die Nacht, in der entlang sonst zahmer Bäche ganze Viertel geflutet wurden, hat Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind.
Im Rathaus weiß man spätestens seit dieser Unwetternacht, dass man keine Zeit mehr zu verlieren hat und dass das Wasser jederzeit zurückkehren kann. Die Stadt wird Maßnahmen ergreifen – so viel ist klar. Fest steht aber auch: Das Ganze wird langwierig, kompliziert und teuer. Und: Man wird nicht alle Risiken abfangen können.
Ein Dutzend Betroffener hatte am Dienstagabend die Zuhörerbänke im Rathaussaal gekapert, um sich zu vergewissern, was die Stadt für ihren Schutz zu tun gedenkt. Schon gut drei Monate vor der Flut hatte der Stadtrat ein Monstrum namens Sturzflut-Risikomanagement auf den Weg gebracht, das sich mit den Ereignissen vom Juni 2024 als selbst erfüllende Prophezeiung erwies.
Vom Würzburger Fachbüro Spekter, spezialisiert auf "Frühalarmsysteme", war Florian Brodrecht per Videocall im Saal zugeschaltet. Der Experte präsentierte eine "Starkregen-Gefahrenkarte" mit "Hochwasser-Entstehungsgebieten", und auf einem digitalen Geländemodell sah man – rot und lila eingefärbt – noch einmal die (bekannten) neuralgischen Zonen.
Die größte Gefahr droht entlang zweier sonst zahmer Bäche
Bei Starkregen braut sich vor allem am Eherieder und Repperndorfer Mühlbach Unheil zusammen, weil das Wasser auf den abschüssigen Feldern zusammenfließt und wie durch einen großen Trichter in Richtung Innenstadt schießt. Die Kunst wird also darin bestehen, die Wassermassen vor der Stadt abzufangen und zu kanalisieren. Brodrecht machte am Beispiel des Eherieder Mühlbachs klar, dass das "nicht mit einer einzelnen Maßnahme" gelingen werde, sondern mit gezielt aufeinander abgestimmten Projekten.

Es braucht große und kleine Becken, die von der Stadt zu bauen sind, man braucht die Landwirte, die im besten Fall die Bewirtschaftung ihrer Felder anpassen und der Bodenerosion entgegenwirken, und, ja: Auch die Betroffenen selbst werden Vorsorge treffen müssen, indem sie etwa ihre Hausanschlüsse mit Rückstauklappen ausrüsten oder Kellerschächte besser schützen. Noch sind das alles einzelne Teile, die sich in den nächsten Monaten zu einem großen Ganzen fügen müssen.
Der Experte sprach von "kurz-, mittel- und langfristigen Schritten", und im Stadtrat wuchsen Bedenken, dass das alles nicht schnell genug gehen könnte und womöglich zu kurz greift. Klaus Sanzenbacher (Grüne) sagte angesichts eines Rückhaltevolumens von 15.000 Kubikmeter am Eherieder Mühlbach: "Das ist doch nur ein Fingerhut voll Wasser."
Durch den Klimawandel drohen der Stadt Kosten in Millionenhöhe
Ja, erwiderte Brodrecht, einem großen Hochwasser wie 2024 werde man nicht mit drei kleinen Becken trotzen können, dafür brauche es große Behälter, deren Bau zwar mit bis zu 60 Prozent vom Staat gefördert werden. Aber für die Stadt bleibe ein riesiger Eigenanteil. "Wir reden hier von Millionen." Für Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) ist deshalb klar, dass es nur "Schritt für Schritt" gehen werde. Dem hielt Brigitte Endres-Paul (SPD) entgegen: "Die Zeit drängt. Wir können keine 15 oder 20 Jahre mehr warten."

Brodrecht rechnet damit, dass sich die "größeren Maßnahmen" im Umfeld der Bäche binnen zwei bis fünf Jahren umsetzen lassen. Das bedeute aber nicht, dass dann alle Projekte erledigt seien. Denn die Stadt habe nur einen begrenzten finanziellen Rahmen, und die Fördertöpfe seien nicht unendlich groß. Hinzu kommt, dass zwar ein Großteil, aber eben nicht alle benötigten Flächen im Besitz der Stadt sind. Dass es Möglichkeiten der Enteignung gibt, stimme zwar. Aber: Das Prozedere sei rechtlich kompliziert und könne Jahre dauern.
So viel Zeit hat die Stadt nicht. Theoretisch könnte das vom Staat mit 75 Prozent geförderte Konzept bis zum Sommer vorliegen, praktisch spricht manches gegen diese Rechnung. Denn bei der Sache reden auch übergeordnete Behörden mit. Deshalb regte Manfred Paul (SPD) an, einzelne Maßnahmen vorzuziehen.
Einen zusätzlichen Kanal in der Siedlung will der OB nicht
Von Bewohnern der Kitzinger Siedlung lag mit Blick auf die starken Regenfälle im Mai und Juni 2024 der Antrag vor, einen Kanal zu bauen, der das überschüssige Wasser aufnehmen kann. "Manche Anlieger der Böhmerwaldstraße 40-72 sind so erheblich getroffen worden, dass die Erdgeschosswohnungen und Kellerräume nicht mehr bewohnbar waren", heißt es darin.
Der OB empfahl, den Antrag trotzdem abzulehnen, weil es "andere Möglichkeiten" gebe, Schäden in dem Gebiet zu verhindern. "Dieses Geld, das da oben verbuddelt wird, fehlt uns an anderer Stelle." Man stehe "im Austausch" mit den dortigen Landwirten und prüfe günstigere Optionen. Bis belastbare Ergebnisse vorliegen, liegt der Antrag auf Eis.
Wir hatten in den letzten 100 oder 200 Jahren im Schaden bedeutend schlimmere Naturgewalten zu ertragen, z.B. die Hochwässer in den 70ern.
gez. R.König