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Kitzingen
Gegen die "Goldgräberstimmung" am Energiemarkt: Kitzingen will Wildwuchs bei Wind- und Solaranlagen bekämpfen
Zu viel Strom ist auch ein Problem – weil er sinnlos verpufft und trotzdem bezahlt werden muss. Die Stadt Kitzingen tritt jetzt einer Initiative bei, die genau das verhindern will.
Stromnetze besser aufeinander abstimmen und den Ausbau der erneuerbaren Energien steuern – das ist das Ziel einer Projektgesellschaft für den Landkreis Kitzingen.
Foto: Anand Anders | Stromnetze besser aufeinander abstimmen und den Ausbau der erneuerbaren Energien steuern – das ist das Ziel einer Projektgesellschaft für den Landkreis Kitzingen.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:24 Uhr

Für etwas bezahlen, was letztlich im Müll landet, noch dazu für ein so knappes und kostbares Gut wie Energie, das möchte keiner, und doch passiert es immer wieder. Strom, der ungenutzt versiegt, weil er zu bestimmten Zeiten im Überfluss vorhanden ist, kostet die Gesellschaft täglich Millionen.

Im Landkreis Kitzingen wollen die drei Energieversorger LKW, ÜZ Mainfranken und N-Ergie die Verschwendung jetzt stoppen – mithilfe einer Gesellschaft, die den Ausbau der erneuerbaren Energien koordinieren soll. Der Kitzinger Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) spricht von einem "Zeichen der Solidarität im Landkreis". Stadträte wie Manfred Paul (SPD) sehen darin eine "unsichere Geschichte", Klaus Sanzenbacher (Grüne) hegt gar rechtliche Bedenken.

Das Ziel ist definiert: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. So hat es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerade noch einmal formuliert. Doch der Weg dorthin ist nicht ganz so klar. Denn bislang werden vor allem Photovoltaikanlagen noch kreuz und quer im Land geplant und aufgestellt. An diesem Punkt setzt die Projektgesellschaft an, die derzeit alle Stadt- und Gemeinderäte beschäftigt. Sie soll Interessen bündeln, Bedarfe klären und danach die Anlagen gezielt auf den Landkreis verteilen.

"Seien wir doch froh, dass drei lokale Energieversorger die Energiesicherheit managen wollen."
Andreas Moser, Mitglied des Kitzinger Stadtrats

Unter den 31 Städten und Gemeinden im Landkreis Kitzingen gibt es Befürworter und Gegner einer solchen Gesellschaft. Volkach, Iphofen und Schwarzach haben signalisiert, ihr beizutreten, Wiesenbronn und Prichsenstadt lehnen sie ab. Damit die GmbH zustande kommt, müssen mindestens 20 Kommunen dabei sein.

Dann geht es in einem ersten Schritt darum, den künftigen Energie-Mix festzulegen: Wie viel Strom soll aus Wind und Sonne kommen, wie viel aus Biomasse und Batteriespeichern? Anschließend wird nach passenden Standorten gesucht. Der Bau der Anlagen soll dann dem Ausbau des Stromverteilnetzes angepasst werden. Für Kitzingens OB eine sinnvolle Sache: "Wir verhindern damit, dass Anlagen entstehen, die den Strom nicht einleiten können, aber trotzdem Entschädigung bekommen."

Ein Solarpark auf einer Ackerfläche in Martinsheim: Wenn aus der geplanten Projektentwicklungsgesellschaft etwas wird, soll der Bau solcher Anlagen künftig besser koordiniert werden.
Foto: Gerhard Krämer | Ein Solarpark auf einer Ackerfläche in Martinsheim: Wenn aus der geplanten Projektentwicklungsgesellschaft etwas wird, soll der Bau solcher Anlagen künftig besser koordiniert werden.

Im Stadtrat entwickelte sich am Donnerstagabend eine kontroverse Diskussion. Noch bevor es dazu kam, stellte Klaus Sanzenbacher den Antrag, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen. Er sehe "kartellrechtliche Probleme" und wolle "nicht über einen Punkt abstimmen, der am Ende rechtswidrig sein könnte". Die Mehrheit aber wollte abstimmen. Umweltreferent Uwe Hartmann (Bayernpartei) war es wichtig, dass Kitzingen als Mittelzentrum den Schritt mitgeht, um ein "Zeichen für kleinere Gemeinden zu setzen".

Wird die Sache nicht geregelt, müsse weiterhin für Strom gezahlt werden, der nicht abgenommen wird, sagte Gertrud Schwab (CSU), "viele Millionen Euro", die von Industrie, Gewerbe und Bürgern zu tragen seien. Siegfried Müller (UsW) witterte "Goldgräberstimmung" am freien Markt. Jeder pflastere Photovoltaikanlagen in die Landschaft, ohne Rücksicht auf Verluste – "absoluter Schwachsinn". Müllers Appell: "Lassen wir das doch in kommunaler Hand."

Bremst sich die Stadt mit dem Beitritt zur GmbH selbst aus?

Genau da setzte Manfred Paul den Hebel an. Wenn künftig eine Projektgesellschaft über den Ausbau der erneuerbaren Energien wache, gäben die Kommunen einen Teil ihrer Planungshoheit aus der Hand. Den Energieversorgern gehe es allein darum, ihre Netze bestmöglich auszulasten, sie seien "keine Samariter".

Umgekehrt müsse Kitzingen seine Interessen sichern und dürfe in seinen Zielen nicht von denen der Gesellschaft ausgebremst werden. Wolfgang Popp (KIK) sah die Gefahr, dass die Stadt sich mit einem Beitritt "verzettelt" und dass das Tempo der Energiewende darunter leidet. "Wir dürfen nicht von unserem Weg abkommen, uns möglichst schnell autark zu versorgen", so Popp. Auf diesem Weg solle man die LKW "ruhig mal anschieben".

Das sei doch längst passiert, entgegnete der OB. Die Stadt etwa lasse gemeinsam mit der LKW in Flugplatznähe Flächen für einen größeren Solarpark untersuchen und sei auch dabei, Standorte für Windräder zu prüfen. Diese Projekte seien völlig unabhängig von den Planungszielen einer künftigen Projektgesellschaft und nicht gefährdet, stellte Güntner klar.

"Seien wir doch froh", sagte Andreas Moser (CSU), "dass sich drei lokale Energieversorger dem Thema angenommen haben und die Energiesicherheit managen wollen." Denn die hohe Politik habe in dieser Richtung "versagt". Gehe man den Weg weiter wie bisher, ende dieser "im Nichts". Mit 19:9 Stimmen sprach sich der Stadtrat für den Beitritt zu der Projektentwicklungsgesellschaft aus.

 
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  • bauri
    Die Stromautobahn "Suedlink" wird aller Voraussicht nach erst ca. 2028-2030 fertig sein. Bis dahin werden dezentral derart viele erneuerbare Anlage erstellt, die einen Bau dieser Stromautobahn überhaupt nicht mehr rechtfertigen werden. Warum sollen wir also regional nicht alles daran setzen, jetzt schon im Verbund von Sonne und Wind Anlagen zu errichten, die den "Überschußstrom" in Wasserstoff umgewandelt problemlos speichern lassen. Sage mir niemand, es wäre zu teuer: Überschußstrom ist "kostenlos" zu haben, darum heißt er auch so.
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  • dietmar@eberth-privat.de
    "Überschußstrom" in Wasserstoff umgewandelt"

    Ganz so trivial ist das nicht. Im letzten Jahr wurden Windräder in Summe etwa 20 Tage abgeschaltet.
    https://www.tagesschau.de/wirtschaft/windkraft-probleme-101.html

    Das heißt, 340 Tage nix "Überschußstrom" und die Anlage für die Umwandlung in Wasserstoff würde stillstellen. Am effektivsten ist es Strom direkt zu verbrauchen und deshalb auch das riesige Verbundnetz in Europa und auch eine Südlink. Zb warum sollten wir unseren "Überschußstrom" in Wasserstoff umwandeln (und lagern und ggf. transportieren), wenn dieser in Frankreich dringend benötigt und verbraucht werden kann.
    Aber mit dem weiteren Ausbau der EE wird auch die Verwendung von Power-2-Wasserstoff ausgebaut:
    https://wasserstoffatlas.de/
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Koordiniert werden müsste meiner Meinung nach der Ausbau der Speicherkapazitäten

    und zwar möglichst dezentral. Wenn gezielt gefördert würde, dass jeder Haushalt sich einen Speicher für sagen wir 10 kWh hinstellt, wäre das sinnvoller als noch ein paar Windräder oder PV-Parks zu bauen, die (leider) nur dann Strom erzeugen wenn es Wind bzw. Sonne gibt. Das ist doch genauso, als würde gerade ein ganzer LKW mit kostenlosem Benzin vorbeikommen und man hätte keinen einzigen Kanister zur Hand, um etwas abzuzweigen!
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  • dietmar@eberth-privat.de
    Förderung von PV-Anlagen wird runtergefahren und PV-Speicher werden mehr gefördert.
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1078876/umfrage/anzahl-installierter-solarstromspeichern-in-deutschland/

    2022 ist die Anzahl der Haushalte mit Stromspeicher auf etwa 700.000 gestiegen. Das ist eine Zunahme von etwa 70% gegenüber 2021.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Das - @ mainpostl -

    müsste sich jetzt nur noch herumsprechen. Ich halte mich selber im allgemeinen für gut informiert, aber die von Ihnen angeführten Daten kannte ich zugegebenermaßen noch nicht. Leider wird mMn die Energiewende weiterhin viel zu sehr auf Sparflamme gekocht bzw. nicht in allen Dimensionen hinreichend durchdacht. Das Thema darf aber keine Spezialdisziplin für Insider und Pioniere bleiben, es muss (und zwar zügig und "proaktiv"!!) viel breiter in der Gesellschaft verankert werden, sonst kriegen wir ("Dank" jeder Menge "alternativer Fakten") tatsächlich noch eine Renaissance der Kernkraft statt den Umstieg auf nachhaltige Energieträger. Ich hoffe, die zzt. in der Umsetzung befindlichen Gesetzesvorhaben nützen was, scheinen mir aber die Thematik bei weitem nicht hinreichend abzudecken.
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  • June
    Noch mehr Bürokratie macht den Ausbau langsamer. Viel besser sollte Kitzingen in Energiespeicher investieren, damit der erzeugte Strom genutzt werden kann. Diese Speicher müssen nicht immer aus Lithium-Akkus bestehen. Es gibt inzwischen genug Konzepte. Diese sind zwar nicht immer kostendeckend im direkten Vergleich, aber rechnet man die dadurch entstandenen Einsparungen im Bereich des Netzausbaus mit ein - es kann mehr Strom vor Ort verbraucht werden - sind solche Speicher längst ökologisch und ökonomisch.
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  • sabbel
    Überschüssigen Solarstrom kann man ganz gut nutzen, um bei einer Flaute die Windkraftwerke im Landkreis anzutreiben.
    Das hätt den Vorteil, dass uns immer ein frisches Lüftchen um die Nase weht grinsen
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    Koordination ist wirklich keine schlechte Idee und hoffentlich wird da auch an die Speicherung der Energie gedacht und gemacht.
    Im Versorgungsbereich der N-Ergie befindet sich das Pumpspeicher Kraftwerk Happurg, das grösste in Bayern. Leider ist es seit 2011 defekt und der Eigentümer Uniper hat sich auf dem Gasmarkt durch Bindung an nur einen Lieferanten verzockt.
    Da könnte man doch was in Sachen Speichertechnik machen weil Uniper derzeit verstaatlicht ist. Habeck anrufen, ihm das Kraftwerk abschwatzen, reparieren und fertig ist ein grosser Stromspeicher.
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