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Kitzingen
Anklage nach Razzia bei Pflegedienst in Kitzingen: Leistungen in Millionenhöhe illegal abgerechnet?
Führten ein Ehepaar und sein Sohn ein Luxus-Leben auf Kosten von Pflegebedürftigen? Wie die Anklage lautet und was die Ermittler über den ambulanten Dienst herausfanden.
Sechs Monate nach der Durchsuchung einer Senioren-Wohnanlage in Kitzingen sollen die Betreiber vor Gericht. Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat Anklage erhoben.
Foto: Hans Will (Archivbild) | Sechs Monate nach der Durchsuchung einer Senioren-Wohnanlage in Kitzingen sollen die Betreiber vor Gericht. Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat Anklage erhoben.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 15.07.2024 12:19 Uhr

Der Betrugsverdacht in Millionenhöhe hat sich sechs Monate nach der spektakulären Razzia erhärtet: Ein Pflegedienst in Kitzingen soll mehr als 4,7 Millionen Euro für Leistungen kassiert haben, die gar nicht erbracht worden sind. Gegen die drei Verantwortlichen des ambulanten Dienstes haben die Sonderermittler in Nürnberg jetzt Anklage erhoben, teilte Pressesprecher Matthias Held von der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) am Dienstag mit.

Anklage: Bandenmäßiger Betrug in über 1000 Fällen

Die bayernweit tätige Sonderabteilung der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg ermittelte in dem Kitzinger Fall zusammen mit dem Fachkommissariat K3 der Kriminalpolizei Würzburg - wegen Betruges. Strafbar gemacht haben sich laut Anklage ein Ehepaar und sein Sohn wegen bandenmäßigen Betrugs in 1022 Fällen.

Bei der Razzia im September 2022 hatten die Ermittler auch Seniorinnen und Senioren in völlig vernachlässigtem Gesundheitszustand angetroffen. Die Betroffenen mussten umgehend in andere Einrichtungen verlegt werden. In diesen Fällen ermittelt zusätzlich zu der Nürnberger Behörde die Staatsanwaltschaft Würzburg wegen Körperverletzung gegen die drei Betreiber des Pflegdienstes.

Alle drei Beschuldigten wegen Fluchtgefahr in U-Haft

Der 56-jährige Beschuldigte, seine 47 Jahre alte Ehefrau und ihr 26-jähriger Sohn, die den ambulanten Pflegedienst in Würzburg und Kitzingen betrieben hatten, sind wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft.

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Verantwortlichen sich die Bezahlung qualifizierten Personals sparten. Gesetzlich vorgeschrieben gewesen wäre eine fachlich besonders qualifizierte "Verantwortliche Pflegefachkraft". Diese "hat die Aufgabe, die Pflegequalität zu sichern und Pflegemängel durch eine angemessene Organisation und Kontrolle der Pflegeprozesse zu vermeiden", wie Oberstaatsanwalt  Matthias Held erläutert.

Am qualifizierten Personal gespart und Kassen getäuscht

Da man sich dies offenbar sparte, soll es in dem Fall möglich gewesen sein, "die Dokumentation der Leistungen nach eigenem Ermessen zu ändern, um nicht erbrachte Leistungen vorzutäuschen und die Qualität der Leistungen des Pflegedienstes auf ein Minimum zu reduzieren", erklärt Held.

Das Ehepaar soll dies schon seit Jahren unbemerkt getan haben. Ab September 2017 soll sein Sohn als Bürokraft angestellt und zumindest ab Januar 2018 auch an der Organisation des Pflegedienstes und den angeklagten Taten beteiligt gewesen sein. Mit den Erlösen sollen die Angeschuldigten den luxuriösen Lebensunterhalt der Familie bestritten haben.

Von Pflegekassen über Jahre insgesamt  4,7 Millionen Euro kassiert

Der Anklagebehörde zufolge sollen die Betreiber im strafrechtlich nicht verjährten Zeitraum Januar 2018 bis September 2022 Leistungen zu Unrecht abgerechnet haben. Die Pflegeleistungen seien mangels verantwortlicher Pflegefachkraft nach den sozialrechtlichen Vorgaben überhaupt nicht abrechenbar gewesen, teilt die Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) mit. Laut Anklage sollen die Beschuldigten "vor allem von der AOK Bayern, aber auch von anderen Kranken- und Pflegekassen Auszahlungen in Höhe von insgesamt knapp 3,5 Millionen Euro unberechtigt erhalten haben".

Der finanzielle Schaden reicht offenbar darüber hinaus. Schon vor 2018 soll das Ehepaar weitere über 1,2 Millionen Euro unberechtigt erhalten haben. Die vorgeworfenen Fälle sind jedoch verjährt. Doch die ZKG will die Einziehung von 4,7 Millionen Euro im Rahmen der Hauptverhandlung erreichen. Zur Sicherung des Einziehungsbetrags seien bereits Hypotheken in sieben bebaute Grundstücke eingetragen, heißt es in der Mitteilung von Dienstag. Darüber hinaus seien Vermögenswerte von über 1,6 Millionen Euro - ohne die Grundstücke - gesichert worden. "Welcher Betrag durch die Hypotheken erlöst werden kann, ist noch nicht abschätzbar", sagt Oberstaatsanwalt Held.

Anonyme Informationen in Hinweisgebersystem erhalten

In Gang gekommen waren die Ermittlungen aufgrund eines anonymen Hinweises im neuartigen webbasierten Hinweisgebersystem der Zentralstelle. Das System sichert Hinweisgebern Anonymität zu durch die technische Möglichkeit, unerkannt als Anzeigeerstatter mit den Strafverfolgern zu kommunizieren. Das ermöglicht eine wesentlich bessere Einschätzung und Bewertung des geschilderten Sachverhalts.

Im Ermittlungsverfahren räumte die 47-jährige Angeschuldigte den Angaben zufolge den Sachverhalt teilweise ein. Der 56-jährige Ehemann und der 26-jährige Sohn haben sich laut Anklagebehörde zum Tatvorwurf nicht geäußert. Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens muss jetzt das Landgericht Nürnberg-Fürth entscheiden, das bayernweit für solche Verfahren zuständig ist.

 
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  • A. H.
    Wahnsinn! Man sollte jede Pflegedienst überprüfen. Was ist bloß in Deutschland los. Wie kann man das Sozialsystem manipulieren? Schon der Betrug mit Corona-Tests scheint bewiesen, wie einfach man an Geld kommt...
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  • E. W.
    Die Krankenkassen betreiben einen riesigen Aufwand, wenn es um die Gewährung von Hilfsmitteln oder Kuren für Schwerkranke geht.

    Aber anscheinend werden Millionenbeträge für dubiose Pflegedienste ungeprüft und unbekümmert durchgewunken. Gibt es bei der AOK niemanden, der dafür verantwortlich ist und funktioniert das - anders als beim kleinen Beitragszahler - alles ohne viel Rechnen und Kontrolle?
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  • M. S.
    Sie schreiben es. Hilfsmittel werden geprüft und Millionenbeträge für Pflegefirmen nicht. Der Sachbearbeiter hat nur begrenzte Zeit. Hilfsmittel sind leichter zu prüfen als Millionenbeträge. Also was wird in der zur Verfügung stehenden Zeit geprüft? Der Sachbearbeiter braucht auch eine Daseinsberechtigung.
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  • E. W.
    Im Prinzip sollte man dann aber solche Sachbearbeiter auch einsparen, oder zumindest penibel prüfen ob sie bei solchen Skandalfällen nicht ein Mitverschulden, oder gar ein Mitwirken durch Unterlassen trifft.

    Es muss hier auch Codes of Conduct und Compliance-Regeln geben mit denen dann nachlässig oder sachwidrig handelnde Sachbearbeiter zur Verantwortung gezogen und in Regress genommen werden können.

    Es gäbe da sicher auch einen Prüfbedarf durch eine Art Innenrevision, die nicht in die üblichen Netzwerke eingebunden und obendrein mit besonderen Vollmachten ausgestattet ist.
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  • M. S.
    Das Problem liegt nicht unbedingt am Sachbearbeiter, sondern am System. Um große "Fälle" genauer prüfen zu könne, bräuchte es mehr Personal. Das hat man nicht oder will es nicht. Sicher gibt es eine Innenrevision, jedoch wenn ein Fall auffällig ist, wird als Stellungnahme "wird künftig beachtet" abgegeben und die Sache hat sich erledigt. Nur wenn was an die Presse gelangt, wird Aktionismus betrieben und der betreffende Sachbearbeiter ist der Dumme.
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  • H. Z.
    Die vermutliche "Abzock-Familie" dürfte wohl kein Einzellfall sein. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Beiträge zur Pflegeversicherung exorbitant steigen. Und die Kassen, die ja sonst jeden EURO hinterfragen, waren wieder mal' auf dem Standstreifen. Da lobe ich mir die städtische Kitzinger "Knöllchen-Verteilcrew": bei denen fällt innerhalb von gefühlten 10 min schon alles auf. Leider.
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  • E. W.
    Es scheint ein Kinderspiel zu sein, Millionenbeträge von den Kassen abzuzocken.

    Aber wenn ein Versicherter dringend ein Hilfsmittel oder eine Kur braucht, dann wird tausendmal geprüft, gerechnet und am Ende doch abgelehnt.

    Wird hier mit zweierlei Maß gemessen und am Ende gar nach Gutsherrenart und "partnerschaftlichem Vertrauen" gehandelt? Wie die eventuelle Abzocke funktionieren konnte sollte penibel hinterfragt werden. Falls die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann darf auch nichts unter den Teppich gekehrt werden und wenn sträfliche Fahrlässigkeit und institutionelles Versagen im Spiel waren, muss es zu Konsequenzen kommen.
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  • M. K.
    Hoffentlich werden die drei verurteilt!
    Und jeder der ähnliches weiß muss das bekannt machen.
    Solche Taten sind einfach schändlich.
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