Pflegenotstand in Bayern ausgerechnet in einem Wahljahr? Vor allem für die CSU ist das Thema politisch brisant, auch weil sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kurz nach seinem Amtsantritt 2018 weit aus dem Fester gelehnt hatte: "Alle Pflegebedürftigen ab Pflegegrad 2 erhalten bis 2023 einen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz", kündigte er damals in einer Regierungserklärung vollmundig an.
Ein Versprechen, dass Söders Regierung nun faktisch einkassiert hat – auch wenn Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) dies nicht offen eingestehen will: Es gehe beim Thema Pflege nicht um ein Wort, wehrt er mit Blick auf den Rechtsanspruch ab. Es gehe vielmehr darum "Strukturen zu schaffen, die für die Menschen verbindlich und zuverlässig sind". Ein Netzwerk aus stationärer Pflege und Pflege daheim mit professionellen Pflegern, Ehrenamtlichen und pflegenden Angehörigen soll den Rechtsanspruch in Bayern nun ersetzen.
Bis 2028 sollen 8000 neue Pflegeplätze geschaffen werden
Im Wochentakt präsentierten CSU und Freie Wähler (FW) deshalb zuletzt Initiativen zur Verbesserung: Konkret kündigte Holetschek Ende Januar die Förderung von Springerpools an, bei denen für eine oder mehrere Einrichtungen Pflegekräfte bereitstehen, die bei kurzfristigen Personalausfällen einspringen können. So sollen Zusatzschichten und Überstunden vermieden werden.
Der Ministerpräsident kündigte zudem an, bis 2028 rund 8000 zusätzliche Pflegeplätze in Bayern schaffen zu wollen. Denn auch ohne Rechtsanspruch bleibe es das Ziel, "dass jeder Pflegebedürftige, der das will, einen Platz bekommen soll", bekräftigt Holetschek. Es sei allerdings schon jetzt "keine Frage der Plätze", räumt der Minister ein: "Die Frage ist, wo kommen die Menschen her, die an den Plätzen stehen."
Die Landtagsfraktionen von CSU und Freien Wählern legten ein ganzes Paket an Vorschlägen zur Verbesserung der Pflege vor – von der Anwerbung arbeitsloser Jugendlicher in Südeuropa über "Rückholaktionen" ausgeschiedener Pfleger bis hin zur psychologischen Betreuung aktiver Pflegekräfte.
Grüne: Bei Personalnot lässt keine Einrichtung Pflegekräfte anderswo einspringen
In Unterfranken rufen die Pläne zwiespältige Reaktionen hervor: Holetscheks Aktionismus sei "ein hilfloser Versuch in einer akuten Notsituation die eigenen Versäumnisse zu kaschieren", sagt Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina. Springerkonzepte seien zwar wichtig, allerdings werde in der aktuellen Not keine Einrichtung eigene Kräfte "in andere Einrichtungen springen lassen". Für eine attraktivere Pflegeausbildung fehle es an Geld, für eine Entlastung der Pflegekräfte an konkreten Konzepten. Statt das eigene Scheitern bei der Pflegeplatz-Garantie einzuräumen, baue Söder "wieder nur Luftschlösser, aber keine Pflegeheimplätze", kritisiert die Sozialpolitikerin.
Die CSU-Sozialexpertin Barbara Becker findet den Verzicht auf einen Rechtsanspruch dagegen richtig. Dieser würde nur flexible Strukturen abwürgen, die für eine bestmögliche Pflege notwendig seien, meint die Landtagsabgeordnete aus dem Landkreis Kitzingen. Sie will den für die Pflegeeinstufung zuständigen Medizinischen Dienst eindampfen: "Das würde tausende Pflegekräfte freisetzen".
Carsten Bräumer, Vorstand des Diakonischen Werkes Schweinfurt, begrüßt zwar grundsätzlich die "Pflege-Impulse" aus München. "Die Förderung von Bauten wird das Problem nicht lösen", fürchtet aber auch er. Solange es für die neu zu schaffenden Plätze kein Personal gebe, seien sie nicht realistisch. Im Gegenteil: "Wir gehen eher davon aus, dass sich die Zahl stationärer Plätze aufgrund von Personalmangel noch reduzieren wird". Nötig sind aus Bräumers Sicht stattdessen "mutige Entscheidungen", etwa ein "gesellschaftliches Pflichtjahr" in der Pflege.
Die Förderung von Pflegeplätzen sei aktuell "nicht zielführend oder gar kontraproduktiv", sagt auch Walter Herberth, Oberpflegeamtsdirektor und Leiter der Stiftung Juliusspital in Würzburg. Dadurch sei noch keine zusätzliche Pflegekraft gewonnen und das vorhandene Personal müsse sich auf mehr Pflegebetten verteilen. Schon jetzt könnten viele Plätze in und um Würzburg nicht belegt werden.
Weniger Bürokratie und Maßnahmen gegen Leiharbeit nötig
Sonja Schwab, Leiterin Soziale Dienste im Caritasverband für die Diözese Würzburg, hält die Millionen-Förderung des Freistaats dennoch für wichtig, auch um bestehende Einrichtungen sanieren zu können. Darüber hinaus müsse man "verschiedene und neue Wege gehen und denken", sagt Schwab. Dazu gehöre das geplante Springermodell.
Auch Juliusspital-Chef Herberth hält Springerkonzepte für "sehr sinnvoll", um Dienstpläne verlässlich gestalten zu können – zumindest in der Theorie. In einem Praxisversuch sei es im Juliusspital vor drei Jahren nur kurzzeitig gelungen, fünf selbst finanzierte Springerstellen zu besetzen. Trotzdem sei das ein richtiger Ansatz, um etwa Berufsaussteiger zurück zu gewinnen, betont Herberth. Daneben mahnt er aber auch die 35-Stunden-Woche, weniger Bürokratie und Maßnahmen gegen Leiharbeit in der Pflege an.
Sprich Mitarbeiter werden in ihrer Freizeit angerufen und sollen noch zusätzlich Arbeiten. Überstunden und Überstundenzuschläge gibt es nicht in der Pflege. Stattdessen laufen die zusätzlich gearbeiteten Stunden auf ein Konto. Diese Konten werden nicht durch Freizeitausgleich bereinigt, da zu wenig Personal und nicht ausbezahlt, da zu wenig Geld.
Das Ergebnis war und ist eine Berufsflucht und es wird auch kaum jemand zurückkehren, nachdem man einen neuen Beruf gelernt hat, in einer anderen Branche in dem Arbeitnehmer nicht nur Pflichten sondern auch Rechte haben.
Herr Holetscheck es wäre schon eine Verbesserung wenn sie dafür Sorgen, dass alle Pflegeeinrichtungen das Arbeitszeitgesetz einhalten.