Selbst Fachleute wunderten sich: Ein Abrechnungsbetrug mit einem Millionenschaden, wie er gerade in Kitzingen und weit darüber hinaus für Aufsehen sorgte, dürfte so gar nicht möglich gewesen sein, sagen Experten. Das betroffene Haus in Kitzingen wirkt von außen wie eine ganz normale Wohnanlage: ein Neubau aus dem Jahr 2018, darin 26 barrierefreien Wohnungen.
Wichtig: Es handelt sich nicht um ein offiziell deklariertes und anerkanntes Pflegeheim, wie die Ermittler der Staatsanwaltschaft Würzburg betonen. Die fünf betagten Menschen, die in dem Haus offenbar völlig ungenügend und unzureichend gepflegt worden waren, sind anderweitig untergebracht worden. Jetzt wird wegen Betruges und Körperverletzung ermittelt.
Vom verfallenen Gasthaus zur dubiosen Einrichtung mitten in Kitzingen
Die Frage, die aktuell viele Kitzingerinnen und Kitzinger umtreibt: Wenn es keine Pflegeeinrichtung war – was war es dann? Und wie kann ein derartiger Betrug und eine derartige Verwahrlosung einfach so im Herzen ihrer Stadt geschehen? Denn zentraler geht es kaum: Die Wohnanlage liegt an dem markanten Eisenbahnviadukt, direkt an der Bundesstraße B 8.
Ein Platz mit viel Geschichte, in die man in diesem Fall wohl auch ein wenig abtauchen muss: Bis zum Mai 2015 stand dort das Gasthaus "Goldener Löwe", das einer Erbengemeinschaft gehörte und zunehmen verfiel. Ein Käufer hatte sich zwar 2012 gefunden, doch die Pläne für einen Abriss des ehemaligen Traditionswirtshauses und für den Neubau einer Wohnanlage zogen sich über Jahre hin. Am Ende entstanden – ausweislich der damaligen Bautafel – 26 barrierefreie Wohnungen und ein Büro.
Jahrelanges Bemühen um betreutes Wohnen in der Stadt
Auf den Tisch des Kitzinger Stadtrats war das Vorhaben erstmals 2013 gekommen. Ein Sprecher des Würzburger Investors verbreitete damals viel Optimismus: Mitte 2014 könnten die ersten Bewohner im Haus einziehen, prophezeite er. Aber erst im April 2015 gab es vom Stadtrat ein grundsätzliches Ja für die Errichtung einer Anlage für betreutes Wohnen. Der Bescheid für das Bauvorhaben folgte im Oktober 2017.
Bei der Vorstellung der Pläne im Stadtrat war von einer Investitionssumme von drei Millionen Euro und von einer Bauzeit von einem Jahr die Rede gewesen. Im Mai 2015 begannen die Abrissarbeiten, danach lag das Gelände drei Jahre brach. Der Neubau begann 2018.
Was danach passierte, ist unklar. Irgendwann erschien ein Pflegedienst, der offenbar zumindest für einige der 26 Wohnungen verantwortlich war. Und es muss auch jemanden gegeben haben, der als Betreiber in Erscheinung trat und die Abrechnungen machte. Und durch den es eben auch zum jetzt entdeckten Abrechnungsbetrug gekommen sein muss.
Als Haus für Pflegebedürftige in der Übersicht des Landratsamtes Kitzingen gelistet
Eine Spur liegt dabei auf der Hand: Der damalige Käufer und Bauherr taucht auch namentlich auf der Internetseite als Mitbetreiber jenes Pflegedienstes auf, der sich zumindest um einen Teil der insgesamt 26 Bewohnerinnen und Bewohner kümmerte. Und ganz unbekannt war die Anlage nicht. In der Übersicht "Betreutes Wohnen" im Landkreis Kitzingen aus dem September 2020 auf der Internetseite des Landratsamtes ist das Projekt aufgeführt als "Barrierefreie Wohnanlage für Pflegebedürftige (ab Pflegegrad 1) in Kitzingen (mit Pflegedienstservice)".
Haus war wohl kein Fall für die Heimaufsicht
Trotz dieser Beschreibung blieb die Anlage unter dem öffentlichen Radar und fiel wohl auch nicht unter die Heimaufsicht. Von den untragbaren Zuständen bei den fünf Bewohnerinnen und Bewohnern, die in der vergangenen Woche auf Altenheime verteilt wurden und den es inzwischen den Umständen entsprechend gut gehen soll, bekam deshalb lange Zeit niemand etwas mit.
Auch die Stadt Kitzingen zeigt sich ratlos. Von den Zuständen sei "nichts bekannt", hieß es auf Anfrage aus dem Rathaus. Oberbürgermeister Stefan Güntner betonte zudem, dass "die gesamte Gesellschaft aufgerufen ist, wachsam zu sein und genau hinzuschauen".
Und das ohne jede öffentliche Kontrolle?
Die Frage bleibt: wer ist denn „zuständig“?
Wie so etwas zustande kommt, ist derweil schnell erklärt: Geld.
Dass „Pflege“ und „Betreuung“ lukrative Geschäftsfelder sind, bei denen so gut wie keine Kontrolle stattfindet, hat sich herumgesprochen.
Und wenn dann einzelne Mieter einen Vertrag mit einem Pflegedienst abschliessen ist das Privatsache der Mieter.