
Es ist die erste öffentliche Knetzgauer Gemeinderatssitzung nach der Sommerpause. Draußen läuten die Kirchenglocken 20 Uhr, drinnen, im Rats- und Kultursaal, wartet der letzte Punkt auf der Tagesordnung. Zumindest auf dem Papier.
"Das ist eine Unverschämtheit!", ruft die grüne Gemeinderätin Nina Köberich. Ziel ihrer Verärgerung ist der Vorsitzende der Runde, Bürgermeister Stefan Paulus (CWG/SPD). Er hatte den Punkt "Informationen und Anfragen" kurzfristig von der Agenda genommen, aus Zeitgründen, wie er betont. Köberich aber hat etwas zu sagen. An diesem Montagabend im September kommt sie nicht mehr zu Wort. Paulus beendet die öffentliche Sitzung.
Kritik am Knetzgauer Bürgermeister kein Einzelfall
Einen Tag später wird die Grünenpolitikerin das Vorgehen des Bürgermeisters erneut scharf kommentieren: "Wir Gemeinderäte in Knetzgau sind ja schon einiges gewohnt, aber gestern war wirklich wieder ein Punkt, an dem ich dachte: Wir haben echt ein Problem", erklärt sie in einem Video, das sie auf verschiedenen sozialen Netzwerken veröffentlicht.
Tatsächlich ist Köberichs Kritik kein Einzelfall. Inzwischen scheint das Verhältnis zwischen Paulus und großen Teilen des Gemeinderats belastet, wenn nicht gar zerrüttet, das zeigen Gespräche dieser Redaktion mit Mitgliedern aller Parteien, die in dem Gremium vertreten sind. Sie erheben teils schwere Vorwürfe gegen den Bürgermeister, fürchten, dass die aktuelle Situation dem Wohl der Gemeinde schade. Zudem prüft die Kommunalaufsicht im Landratsamt derzeit offenbar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Paulus, doch dazu später mehr.
Der Macher Paulus: meinungsstark und streitbar
Paulus selbst reagiert auf Nachfrage zurückhaltend. Er betont, offen zu sein für persönliche Gespräche, nicht aber für eine öffentliche Auseinandersetzung in den Medien. Weiter möchte er sich nicht zu etwaigen Vorwürfen äußern.
Dabei gilt der Bürgermeister durchaus als meinungsstark und streitbar. Insbesondere, wenn es um seine Visionen für die Gemeinde geht. Denn Paulus, der seit 2008 im Knetzgauer Rathaus sitzt, wird ein beinah unbändiger Gestaltungswille nachgesagt. Er gilt als jemand, der Dinge anpackt und umsetzt – wenn nötig mit dem Kopf durch die Wand. Mit diesem Vorgehen hat sich Paulus in der Vergangenheit nicht nur Freunde gemacht, vor allem im Gemeinderat.
Streit um Gemeindefinanzen endet im Schlagabtausch
Das zeigt sich nun beim Streit um die Gemeindefinanzen. Knetzgau, das lange als eine wirtschaftlich besonders kräftige Kommune galt, ist in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Situation, so wiederholten Paulus und dessen Kämmerer Marco Depner zuletzt mantraartig, drohe sich in den kommenden Jahren zu verschärfen – wenn nicht gegengesteuert werde.

Doch genau in dieser Frage, nämlich wie Knetzgau das Ruder herumreißen kann, herrscht Uneinigkeit. So hatte der Bürgermeister im Juli zur Konsolidierung des Haushaltes teils drastische Gebührenerhöhungen gefordert, etwa für die Kindergartenbetreuung. Der Gemeinderat aber stimmte für eine deutlich sanftere Anhebung, um die Bürgerinnen und Bürger nicht zu stark zu belasten. Der Streit eskalierte und führte zu einem offenen Schlagabtausch: Während Paulus seine Abrechnung mit dem Gremium im Knetzgauer Amtsblatt veröffentlichte, konterte der Gemeinderat geschlossen in einem offenen Brief auf die Vorwürfe aus dem Rathaus. Sogar das politische Lager des Bürgermeisters, bestehend aus SPD und CWG, unterstützte die Kritik.
Für viele hat Paulus mit seinem Vorgehen eine rote Linie überschritten. Er missbrauche das Mitteilungsblatt der Gemeinde, um demokratische Mehrheitsentscheidungen zu konterkarieren, erklärt etwa Mark Zehe (CSU), der zu den größten kommunalpolitischen Kontrahenten und Kritikern des Knetzgauer Rathauschef zählt, im Gespräch mit dieser Redaktion.

Paulus wiederum betonte in der jüngsten Gemeinderatssitzung, den Bürgerinnen und Bürgern nur die aus seiner Sicht finanzpolitisch verheerenden Folgen der Ratsentscheidung deutlich gemacht zu haben. "Wir werden Kindergartengruppen schließen und Personal abbauen müssen", rief er in einer Mischung aus Verzweiflung und Ärger in die Runde, als das Thema erneut auf der Tagesordnung stand.
Über die Parteigrenzen hinweg im Unmut vereint
In ihrem Unmut über Stefan Paulus sind die Gemeinderäte über die Parteigrenzen hinweg vereint. Von einer "schrecklichen Stimmung" spricht Bernhard Jilke (FDP/Freie Bürger). Robert Beetz (CWG), bereits seit 28 Jahren Mitglied des Gemeinderats, nennt es eine "schlimme Periode". Und Johannes Betz (Junge Liste) beschreibt die Situation als "kleine Katastrophe" für die Gemeinde.
Die Verantwortung für die Verwerfungen sehen die Gemeinderätinnen und -räte, mit denen diese Redaktion gesprochenen hat, vor allem beim Bürgermeister: "Er macht, was er will, da fühle ich mich nicht ernst genommen", sagt Nina Körberich, der Paulus kurz vor dem Ende der jüngsten Sitzung das Wort entzog. Immer wieder gebe es Verstöße gegen die Geschäftsordnung, die sich der Gemeinderat bei seiner Konstituierung gegeben habe. Etwa der willkürliche Umgang mit dem Tagesordnungspunkt "Informationen und Anfragen". Paulus sei das egal.

"Wir sind in seinen Augen nur ein notwendiges Übel, das alles abnickt, was uns vorgelegt wird", so Köberich weiter. Der Gemeinderat sei wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Es fehle an ausreichender Kommunikation aus dem Rathaus und an ausgiebigen Vorberatungen bei empfindlichen Themen und Entscheidungen, das betonen alle Gesprächspartner und -partnerinnen.
"Man hat es einfacher, wenn man die Leute mitnimmt", versucht Paulus' Parteifreund Sebastian Schierling (SPD) die Wogen zu glätten. Der Sozialdemokrat attestiert seinem Bürgermeister, trotz aller Differenzen im Umgang mit dem Gemeinderat, eine "sehr aktive und engagierte" Arbeit.
2020 an der Wahlurne mit 69 Prozent im Amt bestätigt
Vergleichbares dürfte die Knetzgauer Wählerinnen und Wähler vor vier Jahren dazu bewegt haben, Paulus an der Urne 69 Prozent ihrer Stimmen zu geben. Ein souveräner Sieg, der den Rathauschef darin bestätigt, ja, bekräftigt haben dürfte, seinen bisherigen Weg, der nur wenige Konfrontationen ausließ, weiterzugehen. Doch an diesem Tag wählten die Bürgerinnen und Bürger auch einen neuen Gemeinderat, der sich in der Rolle des Abnickers nicht sehr gut gefällt.
Das und die fehlenden finanziellen Mittel wird die verbleibende Amtszeit zu den wohl herausforderndsten Jahren seit seiner ersten Wahl zum Bürgermeister machen. Nun droht dem Macher Stefan Paulus, anders als in den vergangenen Jahren, nur noch verwalten, statt gestalten zu können. Zumindest, wenn es nach einem Teil des Gemeinderats geht: "Wir müssen Leuchtturm- und Prestigeprojekte hinten anstellen und so Geld einsparen, nicht aber durch eine übertriebene Belastung der Bürgerinnen und Bürger", beschreibt etwa Sebastian Schierling seinen Weg zur Haushaltskonsolidierung.
Es droht die nächste Zerreißprobe.
Immerhin: Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit scheint in weiten Teilen des Gemeinderats vorhanden. "Zum Wohle Knetzgaus wäre es so wichtig, dass wir ein Team bilden und nicht gegeneinander arbeiten", mahnt nicht nur Bernhard Jilke an.
Doch offenbar sehen das nicht alle in dem Gremium so: So erhob Mark Zehe, der 2008 im Rennen ums Knetzgauer Rathaus erfolglos gegen Paulus angetreten war, Ende August Rechts- und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den amtierenden Bürgermeister. Das dreiseitige Papier liegt dieser Redaktion vor. Darin wirft Zehe Paulus vor, den Zweiten Bürgermeister und die Dritte Bürgermeisterin der Gemeinde wiederholt unzureichend über dienstliche Abwesenheiten informiert zu haben, und so der Gemeinde zu schaden.
Das Landratsamt bestätigt auf Nachfrage, dass eine entsprechende Beschwerde gerade geprüft werde. Fraglich bleibt, ob diese Beschwerde einen Beitrag zur Entspannung des Konflikts leisten wird.
Ein kleiner Lichtblick könnte sich ausgerechnet in der jüngsten Gemeinderatssitzung wiederfinden. Zwar scheiterte der Vorschlag der Verwaltung, die Geschwisterermäßigung in Kindergärten abzuschaffen und so 14.000 Euro einzusparen. Doch immerhin fiel die Entscheidung mit zehn zu acht Stimmen vergleichsweise knapp aus. Unüberwindbar scheint der Graben zwischen Stefan Paulus und dem Knetzgauer Gemeinderat also noch nicht.