Einen Monat nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 flüchtete Abdul Rasheed Sameem aus seiner Heimat. Über Russland, Weißrussland und Polen kam der 29-Jährige aus Afghanistan nach Deutschland und schließlich in den Landkreis Haßberge. Hier ist er nun seit Kurzem in einer dezentralen Unterkunft des Landratsamts untergebracht. Sie liegt im Maroldsweisacher Ortsteil Altenstein. Sameem lebt dort zusammen mit 19 weiteren Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien.
Sameem spricht Englisch, was die Verständigung erleichtert. Und dann ist da noch Parisa Herawi. Die Alltagsbetreuerin der Caritas stammt selbst aus Afghanistan und kam 2015 nach Deutschland. Jetzt hilft sie anderen Geflüchteten bei der Integration. Auf Persisch (Dari) spricht Herawi mit ihren Landsleuten. Sie begleitet die Geflüchteten, etwa bei Arztbesuchen, und vermittelt ihnen, welche Gepflogenheiten und Regeln in Deutschland gelten. "Zum Beispiel, dass der Fahrradweg nicht mitten auf der Straße verläuft", sagt sie mit einem Schmunzeln.
Aktuell gibt es 15 dezentrale Unterkünfte im Landkreis Haßberge
Das Ganze ist keine leichte Aufgabe. Schließlich müssen sich die Geflüchteten in einem fremden Land mit einer fremden Kultur und einer fremden Sprache zurechtfinden. Gleichzeitig ist Herawi nicht nur für die Geflüchteten in Altenstein zuständig. Sie ist im gesamten Landkreis unterwegs. Da bleibt "nicht so viel Zeit für alle". Denn in den vergangenen Wochen und Monaten sind wieder deutlich mehr Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, in den Haßbergkreis gekommen.
Sie wurden aus der Anker-Einrichtung hierher verlegt, damit diese "aufnahmefähig" bleibt, wie die Regierung von Unterfranken Anfang November auf Anfrage berichtete. Es kämen aktuell wieder vermehrt Menschen aus Syrien, die sich bisher unter anderem in der Türkei aufgehalten hätten, und Menschen aus Afghanistan, die vor dem Taliban-Regime flüchteten. Das Zugangsgeschehen aus der Ukraine sei in den letzten Monaten "moderat" gewesen, das Zugangsgeschehen allgemein hingegen sehr stark. Die Kreisverwaltungsbehörden seien aufgefordert, dezentrale Unterkünfte zu schaffen.
15 dieser dezentralen Unterkünfte gibt es im Landkreis Haßberge aktuell, wie das Landratsamt auf Anfrage berichtet. Sie liegen in der Gemeinde Aidhausen (2), der Stadt Eltmann (4), der Stadt Haßfurt (3), der Stadt Königsberg (1), der Gemeinde Maroldsweisach (1), der Gemeinde Sand (1), der Gemeinde Theres (2) und in der Gemeinde Wonfurt (1). Bei Letzterer handelt es sich dem Landratsamt zufolge um eine "kleine Notunterkunft", die nur für Vertriebene aus der Ukraine gedacht ist.
Information über die Unterbringung Geflüchteter erfolgt kurzfristig
Die Unterkünfte, die erst kürzlich – im Oktober 2022 – vom Landratsamt angemietet wurden, sind die in Altenstein sowie eine in der Gemeinde Aidhausen. Dort kamen zuletzt 14 junge Männer aus Afghanistan, Algerien und dem Jemen unter. Mitte Oktober fand in der Aidhausener Mehrgenerationenwerkstatt ein Kennenlernabend für die Geflüchteten und die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde statt.
Jeder der Geflüchteten habe auf Deutsch seinen Namen gesagt und erzählt, wo er herkomme, berichtet Kerstin Brückner. Sie koordiniert in der Gemeinde-Allianz Hofheimer Land das Projekt "Wir & Hier". Für die Geflüchteten ist sie damit zwar nicht zuständig, wichtig sind ihr aber Info-Veranstaltungen für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, wie sie erklärt. Es sei eine "unschöne Situation", dass die Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch die Gemeinden selbst vorab nur kurzfristig oder gar nicht über eine Unterbringung von Geflüchteten informiert würden.
Das Landratsamt erklärt hierzu, dass man, wenn möglich, die Gemeinden frühzeitig einbinde. Man erhalte in jüngster Zeit aber nähere Informationen zur Verteilung von Geflüchteten oft auch erst sehr kurzfristig. "Eine zuverlässige Vorinformation, mit wem die Unterkunft belegt wird – Nationalität, Anzahl, Familien oder Einzelpersonen, Ukrainevertriebene oder Asylsuchende –, ist derzeit nicht möglich", so das Amt. Ein passendes Unterstützungsnetzwerk könne deshalb erst organisiert werden, wenn die Geflüchteten angekommen sind.
Seit Anfang 2022 werden wieder dezentrale Unterkünfte angemietet
Allgemein muss der Landkreis gegenüber der Regierung von Unterfranken eine gewisse Quote erfüllen, was die Aufnahme von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern betrifft. "Beim Erfüllungsgrad belegt das Landratsamt Haßberge derzeit den letzten Platz in Unterfranken", informiert die Behörde auf Anfrage. Man habe bis Ende 2020 "in Erfüllung der damaligen Weisungslage des Freistaates" alle angemieteten Unterkünfte aufgelöst. Andere Kreisverwaltungsbehörden hätten sich in Mietverträgen länger gebunden, "sodass zunächst andernorts vorhandene Leerstände aufzufüllen waren".
Ende 2021 habe die Regierung von Unterfranken dann das Landratsamt Haßberge aufgefordert, erneut in die dezentrale Unterbringung einzusteigen. "Seit Anfang 2022 wird diese Zug um Zug wieder hochgefahren." Der aktuelle Erfüllungsgrad liege in Bezug auf Asylsuchende bei 55 Prozent. Ob beziehungsweise wann die 100 Prozent erreicht werden, sei nicht absehbar, weil im Gebiet anderer Kreisverwaltungsbehörden ebenfalls kontinuierlich weiter angemietet werde.
Klar ist, es kommen wieder mehr Geflüchtete. "Da die allgemeine Entwicklung bei der Fluchtmigration in nächster Zeit eine verstärkte Zuweisung in den Landkreis erwarten lässt, werden die Akquisitionsbemühungen derzeit verstärkt", informiert das Landratsamt. Die Zahl der aktuell 15 dezentralen Unterkünfte sei daher nur eine Momentaufnahme.