Den 15. August vor einem Jahr wird er nie vergessen. Es ist der Nachmittag, an dem die radikalislamischen Taliban innerhalb weniger Stunden Afghanistans Hauptstadt Kabul erobern und ihren Sieg verkünden. Es ist der Moment, in dem ihm klar wird: "Wir müssen Afghanistan verlassen, um unser Leben zu retten." Einen Tag später spielen sich dramatische Szenen am Flughafen in Kabul ab. Hunderte Männer, Frauen und Kinder halten sich auf dem Rollfeld auf. Verzweifelte Menschen klammern sich an startende Flugzeuge. Sie alle wollen nur eines: raus aus Afghanistan.
Er hat es geschafft. S. Perzada ist in Schweinfurt. In Sicherheit. Der 64-Jährige ist einer von 350 sogenannten Ortskräften aus Afghanistan, die jetzt in Unterfranken leben. Als Ortskräfte zählen jene Menschen, die den deutschen Sicherheitskräften bei ihrem Einsatz in Afghanistan halfen, übersetzten und wichtige Informationen lieferten. Seit der Machtübernahme der Taliban gelten sie in ihrer Heimat als Verräter und müssen um ihr Leben fürchten. Über Hundert Morde an ehemaligen Ortskräften haben die Vereinten Nationen bereits dokumentiert. Mehrere tausend Ortskräfte und ihre Familien warten immer noch in Afghanistan auf ihre Evakuierung.
Keine Fotos, auf denen man die Familie erkennen könnte
Nicht S. Perzada. Deshalb wird er die Nacht des 17. März 2022 auch nie vergessen. Es ist die Nacht, als er mit seiner Frau und vier Kindern nach sieben Monaten, vielen Umwegen und bangem Warten auf die ersehnten Visa in Schweinfurt ankommt. Jetzt sitzt der 64-Jährige am Tisch im Aufenthaltsraum eines Übergangswohnheims der Regierung von Unterfranken. Neben ihm seine Frau und die 20-jährige Tochter, die davon träumt, in Schweinfurt eine Ausbildung zur Krankenpflegerin zu machen. Als er mit dieser Redaktion spricht, ist ihm wichtig: Keine Fotos, auf denen man ihn oder seine Familie erkennen könnte - weil dieser Artikel auch im Internet erscheint.
Andernfalls könnte es für seine vier erwachsenen Kinder und die zehn Enkel, die er in Afghanistan zurücklassen musste, lebensgefährlich werden, sagt der 64-Jährige. Sie seien in Gefahr, weil er fast 18 Jahre lang im Auftrag der Deutschen Welthungerhilfe als Agraringenieur gearbeitet und in der Provinz Nangahar im Osten des Landes für die Hilfsorganisation Projekte zur ländlichen Entwicklung und Ernährungssicherheit geleitet hat.
Vier Kinder und zehn Enkel blieben in Afghanistan
Das Gespräch führen wir auf Englisch. Auch Russisch, Dari und Paschto wären für den Agraringenieur kein Problem. Weil ihm das Warten auf seinen Deutschkurs in Schweinfurt zu lange dauert, habe er angefangen, im Internet selbst deutsch zu lernen, sagt er. "Kommunikation ist das erste, was du lernen musst, wenn du irgendwo neu ankommst." Mit den Kindern und Enkeln in Afghanistan bleibt er über WhatsApp in Kontakt. Sie würden immer wieder von den Taliban gefragt, wo der Rest der Familie sei, berichtet er. Sie hätten Probleme bekommen.
Trotzdem ist er froh, hier zu sein. Er blickt seine Tochter an. Die 20-Jährige habe es geschafft, in Afghanistan noch die High School zu beenden. "Sie ist clever", sagt der Vater stolz. Jetzt möchte sie so schnell wie möglich Deutsch lernen und eine Ausbildung machen, sagt die junge Frau. In Afghanistan sei das nicht möglich. Dort müssten Mädchen nach der 6. Klasse die Schule verlassen. "Die Taliban erlauben den Frauen nicht zu studieren. Sie sind extremistisch", sagt ihr Vater.
In Deutschland haben afghanische Ortskräfte ein befristetes Aufenthaltsrecht. Sie dürfen arbeiten und haben Anspruch auf Sozialleistungen. Für Kinder besteht Schulpflicht.
Dankbar für Religions- und Meinungsfreiheit
Wie er sich nach vier Monaten in Deutschland fühle? Bei dieser Frage lacht der 64-Jährige. Anfangs sei es schwierig gewesen, in einem fremden Land ganz neu anzufangen. Seine Familie sei gläubig. Der Islam sei für sie sehr wichtig. Deutschland sei ein christliches Land. Dass in Schweinfurt viele verschiedene Religionen friedlich nebeneinander leben, sei wichtig: "Hier gibt es Meinungs- und Religionsfreiheit. Wir können uns integrieren, hier arbeiten und dabei unsere eigenen Traditionen bewahren. Das wird sogar von der Verfassung garantiert! Dafür sind wir sehr glücklich und dankbar."
Mit Informationen von dpa
Warum mischen wir uns überall ein?
dass diese integratiomswilligen Neubürger jetzt hier sind.
Und der jungen Frau sollte eigentlich mit Beginn der Ausbildung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt werden.
Die bislang üblichen Kettenbefristungen zermürben Menschen und viele wandern dann weiter in Länder wie Kanada, wo Arbeitskräfte gerne angenommen werden.
Deutschland steht seiner Zukunft oft selbst im Wege durch Bürokratie und einer Menschensicht aus einem vergangenen Jahrhundert..